Baron, "aber er wird recht oft herkommen. Nicht wahr, Doctor?"
Die Thür nach dem Vorsaal wurde geöffnet und Madame Müller, oder Thusnelda, wie sie der Baron nannte, schaute herein.
"Ich kann sie nicht -- ah! da ist sie ja. Wo bist Du denn gewesen, mein Herzenspüppchen? komm, ich will Dich ein wenig zurecht machen. Wie Du wieder aussiehst -- ganz voll Haidekraut, wie ge¬ wöhnlich; was sollen die Herren von uns denken..."
So sprach die Matrone, das Kind mit sanfter Ge¬ walt an der Hand aus dem Zimmer führend.
"Sie müssen wissen, daß eine große Liebe zwischen den Beiden besteht," sagte der Baron. "Meine alte Amme hat viel blühende Kinder gehabt, die alle früh¬ zeitig gestorben sind. Anderer Frauen Herz wird durch solches Unglück oft verhärtet, aber Thusnelda's Herz ist weich geblieben, und jetzt liebt sie die Czika, als wäre sie ihr Erstgeborenes. Das ist nun aber gerade, als wenn eine Taube einen Falken ausgebrütet hätte. Czika's Tendenzen zu einem möglichst ungebundenen Dasein bringen die arme alte Dame alle Tage zehn¬ mal in die größte Noth und Verzweiflung. Und dann ist noch ein Umstand. Thusnelda ist gut kirchen¬ fromm -- und Czika hat -- horribile dictu -- gar
Baron, „aber er wird recht oft herkommen. Nicht wahr, Doctor?“
Die Thür nach dem Vorſaal wurde geöffnet und Madame Müller, oder Thusnelda, wie ſie der Baron nannte, ſchaute herein.
„Ich kann ſie nicht — ah! da iſt ſie ja. Wo biſt Du denn geweſen, mein Herzenspüppchen? komm, ich will Dich ein wenig zurecht machen. Wie Du wieder ausſiehſt — ganz voll Haidekraut, wie ge¬ wöhnlich; was ſollen die Herren von uns denken...“
So ſprach die Matrone, das Kind mit ſanfter Ge¬ walt an der Hand aus dem Zimmer führend.
„Sie müſſen wiſſen, daß eine große Liebe zwiſchen den Beiden beſteht,“ ſagte der Baron. „Meine alte Amme hat viel blühende Kinder gehabt, die alle früh¬ zeitig geſtorben ſind. Anderer Frauen Herz wird durch ſolches Unglück oft verhärtet, aber Thusnelda's Herz iſt weich geblieben, und jetzt liebt ſie die Czika, als wäre ſie ihr Erſtgeborenes. Das iſt nun aber gerade, als wenn eine Taube einen Falken ausgebrütet hätte. Czika's Tendenzen zu einem möglichſt ungebundenen Daſein bringen die arme alte Dame alle Tage zehn¬ mal in die größte Noth und Verzweiflung. Und dann iſt noch ein Umſtand. Thusnelda iſt gut kirchen¬ fromm — und Czika hat — horribile dictu — gar
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="32"/>
Baron, „aber er wird recht oft herkommen. Nicht<lb/>
wahr, Doctor?“</p><lb/><p>Die Thür nach dem Vorſaal wurde geöffnet und<lb/>
Madame Müller, oder Thusnelda, wie ſie der Baron<lb/>
nannte, ſchaute herein.</p><lb/><p>„Ich kann ſie nicht — ah! da iſt ſie ja. Wo<lb/>
biſt Du denn geweſen, mein Herzenspüppchen? komm,<lb/>
ich will Dich ein wenig zurecht machen. Wie Du<lb/>
wieder ausſiehſt — ganz voll Haidekraut, wie ge¬<lb/>
wöhnlich; was ſollen die Herren von uns denken...“</p><lb/><p>So ſprach die Matrone, das Kind mit ſanfter Ge¬<lb/>
walt an der Hand aus dem Zimmer führend.</p><lb/><p>„Sie müſſen wiſſen, daß eine große Liebe zwiſchen<lb/>
den Beiden beſteht,“ſagte der Baron. „Meine alte<lb/>
Amme hat viel blühende Kinder gehabt, die alle früh¬<lb/>
zeitig geſtorben ſind. Anderer Frauen Herz wird durch<lb/>ſolches Unglück oft verhärtet, aber Thusnelda's Herz<lb/>
iſt weich geblieben, und jetzt liebt ſie die Czika, als<lb/>
wäre ſie ihr Erſtgeborenes. Das iſt nun aber gerade,<lb/>
als wenn eine Taube einen Falken ausgebrütet hätte.<lb/>
Czika's Tendenzen zu einem möglichſt ungebundenen<lb/>
Daſein bringen die arme alte Dame alle Tage zehn¬<lb/>
mal in die größte Noth und Verzweiflung. Und dann<lb/>
iſt noch ein Umſtand. Thusnelda iſt gut kirchen¬<lb/>
fromm — und Czika hat —<hirendition="#aq">horribile dictu</hi>— gar<lb/></p></div></body></text></TEI>
[32/0042]
Baron, „aber er wird recht oft herkommen. Nicht
wahr, Doctor?“
Die Thür nach dem Vorſaal wurde geöffnet und
Madame Müller, oder Thusnelda, wie ſie der Baron
nannte, ſchaute herein.
„Ich kann ſie nicht — ah! da iſt ſie ja. Wo
biſt Du denn geweſen, mein Herzenspüppchen? komm,
ich will Dich ein wenig zurecht machen. Wie Du
wieder ausſiehſt — ganz voll Haidekraut, wie ge¬
wöhnlich; was ſollen die Herren von uns denken...“
So ſprach die Matrone, das Kind mit ſanfter Ge¬
walt an der Hand aus dem Zimmer führend.
„Sie müſſen wiſſen, daß eine große Liebe zwiſchen
den Beiden beſteht,“ ſagte der Baron. „Meine alte
Amme hat viel blühende Kinder gehabt, die alle früh¬
zeitig geſtorben ſind. Anderer Frauen Herz wird durch
ſolches Unglück oft verhärtet, aber Thusnelda's Herz
iſt weich geblieben, und jetzt liebt ſie die Czika, als
wäre ſie ihr Erſtgeborenes. Das iſt nun aber gerade,
als wenn eine Taube einen Falken ausgebrütet hätte.
Czika's Tendenzen zu einem möglichſt ungebundenen
Daſein bringen die arme alte Dame alle Tage zehn¬
mal in die größte Noth und Verzweiflung. Und dann
iſt noch ein Umſtand. Thusnelda iſt gut kirchen¬
fromm — und Czika hat — horribile dictu — gar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/42>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.