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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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Wolken blasend, offenbar in tiefes Nachdenken ver¬
loren. Neben ihm auf dem Sopha lagen die Briefe,
die er in dem Repositorium der Registratur gefunden.
Es waren ihrer nicht viele, alle von derselben zier¬
lichen Hand auf ziemlich graues Papier geschrieben,
wie man es noch vor einigen Jahrzehnten ganz all¬
gemein selbst zu Briefen benutzte. Die Briefe mußten
wohl dieses Alter haben, denn die Tinte war ganz
vergilbt und konnte so einigermaßen das Datum er¬
setzen, das in sämmtlichen Briefen fehlte.

"Es muß sich etwas mit diesen Briefen anfangen
lassen", sagte Albert, leise mit seinem besten Freunde
und einzigen Vertrauten, seinem eigenen lieben Selbst,
redend, "ich weiß nur nicht gleich was. Wenn es
mir gelänge, die Antworten dazu zu finden, so müßte
es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein so schlauer
Kopf, wie der meine, dem großen Geheimniß nicht
bis in seine verborgenste Höhle nachspürte. Auf der
richtigen Spur, deute ich, bin ich schon jetzt. Daß
Mutter und Kind gestorben sein sollten, ist so un¬
wahrscheinlich wie möglich. Die Marie war allem
Anschein nach ein wahres Kernmädel und das bischen
Jammer und Kummer wird ihr das Herz schon nicht
gebrochen haben. Das Kind aber aus dieser wilden
Ehe hat sich jedenfalls des legitimen Vorrechts aller

Wolken blaſend, offenbar in tiefes Nachdenken ver¬
loren. Neben ihm auf dem Sopha lagen die Briefe,
die er in dem Repoſitorium der Regiſtratur gefunden.
Es waren ihrer nicht viele, alle von derſelben zier¬
lichen Hand auf ziemlich graues Papier geſchrieben,
wie man es noch vor einigen Jahrzehnten ganz all¬
gemein ſelbſt zu Briefen benutzte. Die Briefe mußten
wohl dieſes Alter haben, denn die Tinte war ganz
vergilbt und konnte ſo einigermaßen das Datum er¬
ſetzen, das in ſämmtlichen Briefen fehlte.

„Es muß ſich etwas mit dieſen Briefen anfangen
laſſen“, ſagte Albert, leiſe mit ſeinem beſten Freunde
und einzigen Vertrauten, ſeinem eigenen lieben Selbſt,
redend, „ich weiß nur nicht gleich was. Wenn es
mir gelänge, die Antworten dazu zu finden, ſo müßte
es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein ſo ſchlauer
Kopf, wie der meine, dem großen Geheimniß nicht
bis in ſeine verborgenſte Höhle nachſpürte. Auf der
richtigen Spur, deute ich, bin ich ſchon jetzt. Daß
Mutter und Kind geſtorben ſein ſollten, iſt ſo un¬
wahrſcheinlich wie möglich. Die Marie war allem
Anſchein nach ein wahres Kernmädel und das bischen
Jammer und Kummer wird ihr das Herz ſchon nicht
gebrochen haben. Das Kind aber aus dieſer wilden
Ehe hat ſich jedenfalls des legitimen Vorrechts aller

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[216/0226] Wolken blaſend, offenbar in tiefes Nachdenken ver¬ loren. Neben ihm auf dem Sopha lagen die Briefe, die er in dem Repoſitorium der Regiſtratur gefunden. Es waren ihrer nicht viele, alle von derſelben zier¬ lichen Hand auf ziemlich graues Papier geſchrieben, wie man es noch vor einigen Jahrzehnten ganz all¬ gemein ſelbſt zu Briefen benutzte. Die Briefe mußten wohl dieſes Alter haben, denn die Tinte war ganz vergilbt und konnte ſo einigermaßen das Datum er¬ ſetzen, das in ſämmtlichen Briefen fehlte. „Es muß ſich etwas mit dieſen Briefen anfangen laſſen“, ſagte Albert, leiſe mit ſeinem beſten Freunde und einzigen Vertrauten, ſeinem eigenen lieben Selbſt, redend, „ich weiß nur nicht gleich was. Wenn es mir gelänge, die Antworten dazu zu finden, ſo müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein ſo ſchlauer Kopf, wie der meine, dem großen Geheimniß nicht bis in ſeine verborgenſte Höhle nachſpürte. Auf der richtigen Spur, deute ich, bin ich ſchon jetzt. Daß Mutter und Kind geſtorben ſein ſollten, iſt ſo un¬ wahrſcheinlich wie möglich. Die Marie war allem Anſchein nach ein wahres Kernmädel und das bischen Jammer und Kummer wird ihr das Herz ſchon nicht gebrochen haben. Das Kind aber aus dieſer wilden Ehe hat ſich jedenfalls des legitimen Vorrechts aller

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/226>, abgerufen am 26.11.2024.