"Ein wunderlicher Mensch, dieser Stein; sagte die Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬ liches. Es ist schlechterdings unmöglich, aus ihm klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe Helene?"
"Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber nachgedacht: und bei solchen Leuten kann eigentlich doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede sein. Ich dächte, sie wären sich alle gleich oder wenigstens sind die Unterschiede so gering, daß man sie nicht wohl bemerken kann; -- der Eine heißt Stein, der Andere Timm -- das ist doch im Grunde Alles."
"Du hast recht, liebe Tochter," sagte die Baronin. "Diese Leute sind Statisten, man sieht sie nur, wenn die handelnden Personen einmal abgetreten sind. Glücklicherweise kann ich Dir in allernächster Zukunft eine andere und bessere Gesellschaft versprechen."
"Und die wäre?"
"Dein Cousin Felix. Ich erhielt soeben einen Brief von ihm -- der Postbote ist noch draußen in der Küche, Du kannst ihm einen Brief mitgeben, wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg schreiben willst -- er meldet uns seinen Besuch auf morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache
„Ein wunderlicher Menſch, dieſer Stein; ſagte die Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬ liches. Es iſt ſchlechterdings unmöglich, aus ihm klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe Helene?“
„Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber nachgedacht: und bei ſolchen Leuten kann eigentlich doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede ſein. Ich dächte, ſie wären ſich alle gleich oder wenigſtens ſind die Unterſchiede ſo gering, daß man ſie nicht wohl bemerken kann; — der Eine heißt Stein, der Andere Timm — das iſt doch im Grunde Alles.“
„Du haſt recht, liebe Tochter,“ ſagte die Baronin. „Dieſe Leute ſind Statiſten, man ſieht ſie nur, wenn die handelnden Perſonen einmal abgetreten ſind. Glücklicherweiſe kann ich Dir in allernächſter Zukunft eine andere und beſſere Geſellſchaft verſprechen.“
„Und die wäre?“
„Dein Couſin Felix. Ich erhielt ſoeben einen Brief von ihm — der Poſtbote iſt noch draußen in der Küche, Du kannſt ihm einen Brief mitgeben, wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg ſchreiben willſt — er meldet uns ſeinen Beſuch auf morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0222"n="212"/><p>„Ein wunderlicher Menſch, dieſer Stein; ſagte die<lb/>
Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬<lb/>
liches. Es iſt ſchlechterdings unmöglich, aus ihm<lb/>
klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe<lb/>
Helene?“</p><lb/><p>„Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber<lb/>
nachgedacht: und bei ſolchen Leuten kann eigentlich<lb/>
doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede ſein.<lb/>
Ich dächte, ſie wären ſich alle gleich oder wenigſtens<lb/>ſind die Unterſchiede ſo gering, daß man ſie nicht<lb/>
wohl bemerken kann; — der Eine heißt Stein, der<lb/>
Andere Timm — das iſt doch im Grunde Alles.“</p><lb/><p>„Du haſt recht, liebe Tochter,“ſagte die Baronin.<lb/>„Dieſe Leute ſind Statiſten, man ſieht ſie nur, wenn<lb/>
die handelnden Perſonen einmal abgetreten ſind.<lb/>
Glücklicherweiſe kann ich Dir in allernächſter Zukunft<lb/>
eine andere und beſſere Geſellſchaft verſprechen.“</p><lb/><p>„Und die wäre?“</p><lb/><p>„Dein Couſin Felix. Ich erhielt ſoeben einen<lb/>
Brief von ihm — der Poſtbote iſt noch draußen in<lb/>
der Küche, Du kannſt ihm einen Brief mitgeben,<lb/>
wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg<lb/>ſchreiben willſt — er meldet uns ſeinen Beſuch auf<lb/>
morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht<lb/>
Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache<lb/></p></div></body></text></TEI>
[212/0222]
„Ein wunderlicher Menſch, dieſer Stein; ſagte die
Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬
liches. Es iſt ſchlechterdings unmöglich, aus ihm
klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe
Helene?“
„Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber
nachgedacht: und bei ſolchen Leuten kann eigentlich
doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede ſein.
Ich dächte, ſie wären ſich alle gleich oder wenigſtens
ſind die Unterſchiede ſo gering, daß man ſie nicht
wohl bemerken kann; — der Eine heißt Stein, der
Andere Timm — das iſt doch im Grunde Alles.“
„Du haſt recht, liebe Tochter,“ ſagte die Baronin.
„Dieſe Leute ſind Statiſten, man ſieht ſie nur, wenn
die handelnden Perſonen einmal abgetreten ſind.
Glücklicherweiſe kann ich Dir in allernächſter Zukunft
eine andere und beſſere Geſellſchaft verſprechen.“
„Und die wäre?“
„Dein Couſin Felix. Ich erhielt ſoeben einen
Brief von ihm — der Poſtbote iſt noch draußen in
der Küche, Du kannſt ihm einen Brief mitgeben,
wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg
ſchreiben willſt — er meldet uns ſeinen Beſuch auf
morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht
Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/222>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.