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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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Du dann zerschmettert am Boden liegst und nicht
mehr leben magst und doch nicht sterben kannst --
dann, Melitta, dann vielleicht wirst Du die Qualen
begreifen, die ich erduldet; dann wirst Du mir im
Herzen das Unrecht abbitten, das Du mir gethan!
Wollte Gott, Du kämest nie zu dieser Erkenntniß!
Der Preis ist ungeheuer! aber, aber -- Du wirst
ihn doch bezahlen müssen. Leb wohl, Melitta! ver¬
zeihe, daß ich Dir weh gethan habe; es wird nicht
wieder geschehen; es ist das erste, und es ist das letzte
Mal, daß ich so zu Dir geredet. Leb wohl, Melitta!
-- Melitta, hast Du kein freundliches Wort zum Ab¬
schied für mich?"

Melitta hatte das Gesicht in die Hände gedrückt;
bei der Dämmerung, die in dem Gemache herrschte,
waren nur noch eben die Umrisse ihrer Gestalt zu er¬
kennen.- Sie wollte, oder konnte nicht antworten.

Der Baron hielt seine beiden Hände über das
schöne gebeugte Haupt.

"Gott segne Dich, Melitta!" sagte er, und die
Stimme des stolzen, harten Mannes klang weich und
mild wie eines Vaters Stimme.

Als Melitta die Thür sich hinter dem Baron
schließen hörte, sprang sie von dem Stuhle auf, und
that rasch einige Schritte, als wollte sie ihn zurück¬

Du dann zerſchmettert am Boden liegſt und nicht
mehr leben magſt und doch nicht ſterben kannſt —
dann, Melitta, dann vielleicht wirſt Du die Qualen
begreifen, die ich erduldet; dann wirſt Du mir im
Herzen das Unrecht abbitten, das Du mir gethan!
Wollte Gott, Du kämeſt nie zu dieſer Erkenntniß!
Der Preis iſt ungeheuer! aber, aber — Du wirſt
ihn doch bezahlen müſſen. Leb wohl, Melitta! ver¬
zeihe, daß ich Dir weh gethan habe; es wird nicht
wieder geſchehen; es iſt das erſte, und es iſt das letzte
Mal, daß ich ſo zu Dir geredet. Leb wohl, Melitta!
— Melitta, haſt Du kein freundliches Wort zum Ab¬
ſchied für mich?“

Melitta hatte das Geſicht in die Hände gedrückt;
bei der Dämmerung, die in dem Gemache herrſchte,
waren nur noch eben die Umriſſe ihrer Geſtalt zu er¬
kennen.– Sie wollte, oder konnte nicht antworten.

Der Baron hielt ſeine beiden Hände über das
ſchöne gebeugte Haupt.

„Gott ſegne Dich, Melitta!“ ſagte er, und die
Stimme des ſtolzen, harten Mannes klang weich und
mild wie eines Vaters Stimme.

Als Melitta die Thür ſich hinter dem Baron
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[199/0209] Du dann zerſchmettert am Boden liegſt und nicht mehr leben magſt und doch nicht ſterben kannſt — dann, Melitta, dann vielleicht wirſt Du die Qualen begreifen, die ich erduldet; dann wirſt Du mir im Herzen das Unrecht abbitten, das Du mir gethan! Wollte Gott, Du kämeſt nie zu dieſer Erkenntniß! Der Preis iſt ungeheuer! aber, aber — Du wirſt ihn doch bezahlen müſſen. Leb wohl, Melitta! ver¬ zeihe, daß ich Dir weh gethan habe; es wird nicht wieder geſchehen; es iſt das erſte, und es iſt das letzte Mal, daß ich ſo zu Dir geredet. Leb wohl, Melitta! — Melitta, haſt Du kein freundliches Wort zum Ab¬ ſchied für mich?“ Melitta hatte das Geſicht in die Hände gedrückt; bei der Dämmerung, die in dem Gemache herrſchte, waren nur noch eben die Umriſſe ihrer Geſtalt zu er¬ kennen.– Sie wollte, oder konnte nicht antworten. Der Baron hielt ſeine beiden Hände über das ſchöne gebeugte Haupt. „Gott ſegne Dich, Melitta!“ ſagte er, und die Stimme des ſtolzen, harten Mannes klang weich und mild wie eines Vaters Stimme. Als Melitta die Thür ſich hinter dem Baron ſchließen hörte, ſprang ſie von dem Stuhle auf, und that raſch einige Schritte, als wollte ſie ihn zurück¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/209>, abgerufen am 28.11.2024.