"Von Baron Oldenburg," erwiederte dieser; "des Barons Wagen hält vor der Thür."
Oswald erbrach das Billet und las:
"Lieber Freund! Wenn Sie die lehrbegierige Brut loswerden können und sonst nichts Besseres zu thun haben, wollen Sie nicht einem einsamen Hypochonder auf ein paar Stunden Gesellschaft leisten und sich bei der Gelegenheit überzeugen, wie gut unserm Heide¬ blümchen die Versetzung in das fremde Erdreich be¬ kommt? Mein Kutscher ist der Ueberbringer dieses. Er hat den Auftrag, mit Ihnen oder auf Ihnen zurück¬ zukommen. Also -- wählen Sie! Ihr Oldenburg."
Oswald schwankte, was er thun sollte. Mit dem Sonnenschein war die Sehnsucht nach Melitta mächtig in seinem Herzen erwacht. Er konnte es nicht be¬ greifen, daß er drei volle Tage hatte vorübergehen lassen, ohne auch nur einen Versuch zu machen, sie zu sehen. Und dennoch, trotzdem er wußte, daß die Wolke, die sich an dem Ballabend zwischen sie und ihn gelagert hatte, längst verschwunden war, trotzdem er ihr sein Unrecht tausend und tausendmal im Herzen abgebeten hatte, scheute er sich, den ersten Schritt zur Versöhnung zu thun. -- Wer kennte nicht die Wider¬ sprüche, in die sich ein junges Herz so leicht verirrt, wenn Stolz und Liebe sich in ihm streiten! und
„Von Baron Oldenburg,“ erwiederte dieſer; „des Barons Wagen hält vor der Thür.“
Oswald erbrach das Billet und las:
„Lieber Freund! Wenn Sie die lehrbegierige Brut loswerden können und ſonſt nichts Beſſeres zu thun haben, wollen Sie nicht einem einſamen Hypochonder auf ein paar Stunden Geſellſchaft leiſten und ſich bei der Gelegenheit überzeugen, wie gut unſerm Heide¬ blümchen die Verſetzung in das fremde Erdreich be¬ kommt? Mein Kutſcher iſt der Ueberbringer dieſes. Er hat den Auftrag, mit Ihnen oder auf Ihnen zurück¬ zukommen. Alſo — wählen Sie! Ihr Oldenburg.“
Oswald ſchwankte, was er thun ſollte. Mit dem Sonnenſchein war die Sehnſucht nach Melitta mächtig in ſeinem Herzen erwacht. Er konnte es nicht be¬ greifen, daß er drei volle Tage hatte vorübergehen laſſen, ohne auch nur einen Verſuch zu machen, ſie zu ſehen. Und dennoch, trotzdem er wußte, daß die Wolke, die ſich an dem Ballabend zwiſchen ſie und ihn gelagert hatte, längſt verſchwunden war, trotzdem er ihr ſein Unrecht tauſend und tauſendmal im Herzen abgebeten hatte, ſcheute er ſich, den erſten Schritt zur Verſöhnung zu thun. — Wer kennte nicht die Wider¬ ſprüche, in die ſich ein junges Herz ſo leicht verirrt, wenn Stolz und Liebe ſich in ihm ſtreiten! und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0020"n="10"/><p>„Von Baron Oldenburg,“ erwiederte dieſer; „des<lb/>
Barons Wagen hält vor der Thür.“</p><lb/><p>Oswald erbrach das Billet und las:</p><lb/><p>„Lieber Freund! Wenn Sie die lehrbegierige Brut<lb/>
loswerden können und ſonſt nichts Beſſeres zu thun<lb/>
haben, wollen Sie nicht einem einſamen Hypochonder<lb/>
auf ein paar Stunden Geſellſchaft leiſten und ſich bei<lb/>
der Gelegenheit überzeugen, wie gut unſerm Heide¬<lb/>
blümchen die Verſetzung in das fremde Erdreich be¬<lb/>
kommt? Mein Kutſcher iſt der Ueberbringer dieſes.<lb/>
Er hat den Auftrag, mit Ihnen oder auf Ihnen zurück¬<lb/>
zukommen. Alſo — wählen Sie! Ihr Oldenburg.“</p><lb/><p>Oswald ſchwankte, was er thun ſollte. Mit dem<lb/>
Sonnenſchein war die Sehnſucht nach Melitta mächtig<lb/>
in ſeinem Herzen erwacht. Er konnte es nicht be¬<lb/>
greifen, daß er drei volle Tage hatte vorübergehen<lb/>
laſſen, ohne auch nur einen Verſuch zu machen, ſie zu<lb/>ſehen. Und dennoch, trotzdem er wußte, daß die<lb/>
Wolke, die ſich an dem Ballabend zwiſchen ſie und<lb/>
ihn gelagert hatte, längſt verſchwunden war, trotzdem<lb/>
er ihr ſein Unrecht tauſend und tauſendmal im Herzen<lb/>
abgebeten hatte, ſcheute er ſich, den erſten Schritt zur<lb/>
Verſöhnung zu thun. — Wer kennte nicht die Wider¬<lb/>ſprüche, in die ſich ein junges Herz ſo leicht verirrt,<lb/>
wenn Stolz und Liebe ſich in ihm ſtreiten! und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[10/0020]
„Von Baron Oldenburg,“ erwiederte dieſer; „des
Barons Wagen hält vor der Thür.“
Oswald erbrach das Billet und las:
„Lieber Freund! Wenn Sie die lehrbegierige Brut
loswerden können und ſonſt nichts Beſſeres zu thun
haben, wollen Sie nicht einem einſamen Hypochonder
auf ein paar Stunden Geſellſchaft leiſten und ſich bei
der Gelegenheit überzeugen, wie gut unſerm Heide¬
blümchen die Verſetzung in das fremde Erdreich be¬
kommt? Mein Kutſcher iſt der Ueberbringer dieſes.
Er hat den Auftrag, mit Ihnen oder auf Ihnen zurück¬
zukommen. Alſo — wählen Sie! Ihr Oldenburg.“
Oswald ſchwankte, was er thun ſollte. Mit dem
Sonnenſchein war die Sehnſucht nach Melitta mächtig
in ſeinem Herzen erwacht. Er konnte es nicht be¬
greifen, daß er drei volle Tage hatte vorübergehen
laſſen, ohne auch nur einen Verſuch zu machen, ſie zu
ſehen. Und dennoch, trotzdem er wußte, daß die
Wolke, die ſich an dem Ballabend zwiſchen ſie und
ihn gelagert hatte, längſt verſchwunden war, trotzdem
er ihr ſein Unrecht tauſend und tauſendmal im Herzen
abgebeten hatte, ſcheute er ſich, den erſten Schritt zur
Verſöhnung zu thun. — Wer kennte nicht die Wider¬
ſprüche, in die ſich ein junges Herz ſo leicht verirrt,
wenn Stolz und Liebe ſich in ihm ſtreiten! und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/20>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.