Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Doctor Braun überrascht, der vor einigen Minuten
gekommen war und die Einladung der Baronin, zu
Mittage auf dem Schlosse zu bleiben, angenommen
hatte.

Der Doctor erwies sich in dem größeren Kreise
als ein eben so bequem geselliger, fein gebildeter
Mann, wie ihn Oswald bis dahin gekannt hatte; ja,
Oswald hatte jetzt noch mehr Gelegenheit, die aus¬
gezeichnete Unterhaltungsgabe und die sichere Haltung
des jungen Arztes zu bewundern. Und was noch
mehr für Doctor Braun einnehmen mußte, und ihm
auch wirklich Aller, wenigstens aller Verständigen,
Herzen gewann, war, daß er sich seiner Vorzüge ent¬
weder wirklich nicht bewußt war, oder wenigstens
nicht bewußt zu sein schien. Nichts lag ihm ferner
als ein Geltenmachen seiner Person; im Gegentheil,
er hatte seine Freude daran, wenn er Andere zur
Entwickelung ihrer Ansichten bringen konnte: und so
war er ein nicht minder geduldiger und guter Zu¬
hörer, als gewandter Sprecher -- zwei Tugenden,
die sich so selten zusammen finden.

Oswald sah mit einigem Erstaunen, daß, wenn
der Doctor irgend Jemand in der Gesellschaft aus¬
zeichnete, es nur Fräulein Helene sein konnte, und
mit nicht minder großer Verwunderung, daß die junge

Doctor Braun überraſcht, der vor einigen Minuten
gekommen war und die Einladung der Baronin, zu
Mittage auf dem Schloſſe zu bleiben, angenommen
hatte.

Der Doctor erwies ſich in dem größeren Kreiſe
als ein eben ſo bequem geſelliger, fein gebildeter
Mann, wie ihn Oswald bis dahin gekannt hatte; ja,
Oswald hatte jetzt noch mehr Gelegenheit, die aus¬
gezeichnete Unterhaltungsgabe und die ſichere Haltung
des jungen Arztes zu bewundern. Und was noch
mehr für Doctor Braun einnehmen mußte, und ihm
auch wirklich Aller, wenigſtens aller Verſtändigen,
Herzen gewann, war, daß er ſich ſeiner Vorzüge ent¬
weder wirklich nicht bewußt war, oder wenigſtens
nicht bewußt zu ſein ſchien. Nichts lag ihm ferner
als ein Geltenmachen ſeiner Perſon; im Gegentheil,
er hatte ſeine Freude daran, wenn er Andere zur
Entwickelung ihrer Anſichten bringen konnte: und ſo
war er ein nicht minder geduldiger und guter Zu¬
hörer, als gewandter Sprecher — zwei Tugenden,
die ſich ſo ſelten zuſammen finden.

Oswald ſah mit einigem Erſtaunen, daß, wenn
der Doctor irgend Jemand in der Geſellſchaft aus¬
zeichnete, es nur Fräulein Helene ſein konnte, und
mit nicht minder großer Verwunderung, daß die junge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0172" n="162"/><choice><sic>Doctoe</sic><corr>Doctor</corr></choice> Braun überra&#x017F;cht, der vor einigen Minuten<lb/>
gekommen war und die Einladung der Baronin, zu<lb/>
Mittage auf dem Schlo&#x017F;&#x017F;e zu bleiben, angenommen<lb/>
hatte.</p><lb/>
        <p>Der Doctor erwies &#x017F;ich in dem größeren Krei&#x017F;e<lb/>
als ein eben &#x017F;o bequem ge&#x017F;elliger, fein gebildeter<lb/>
Mann, wie ihn Oswald bis dahin gekannt hatte; ja,<lb/>
Oswald hatte jetzt noch mehr Gelegenheit, die aus¬<lb/>
gezeichnete Unterhaltungsgabe und die &#x017F;ichere Haltung<lb/>
des jungen Arztes zu bewundern. Und was noch<lb/>
mehr für Doctor Braun einnehmen mußte, und ihm<lb/>
auch wirklich Aller, wenig&#x017F;tens aller Ver&#x017F;tändigen,<lb/>
Herzen gewann, war, daß er &#x017F;ich &#x017F;einer Vorzüge ent¬<lb/>
weder wirklich nicht bewußt war, oder wenig&#x017F;tens<lb/>
nicht bewußt zu &#x017F;ein &#x017F;chien. Nichts lag ihm ferner<lb/>
als ein Geltenmachen &#x017F;einer Per&#x017F;on; im Gegentheil,<lb/>
er hatte &#x017F;eine Freude daran, wenn er Andere zur<lb/>
Entwickelung ihrer An&#x017F;ichten bringen konnte: und &#x017F;o<lb/>
war er ein nicht minder geduldiger und guter Zu¬<lb/>
hörer, als gewandter Sprecher &#x2014; zwei Tugenden,<lb/>
die &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;elten zu&#x017F;ammen finden.</p><lb/>
        <p>Oswald &#x017F;ah mit einigem Er&#x017F;taunen, daß, wenn<lb/>
der Doctor irgend Jemand in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aus¬<lb/>
zeichnete, es nur Fräulein Helene &#x017F;ein konnte, und<lb/>
mit nicht minder großer Verwunderung, daß die junge<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0172] Doctor Braun überraſcht, der vor einigen Minuten gekommen war und die Einladung der Baronin, zu Mittage auf dem Schloſſe zu bleiben, angenommen hatte. Der Doctor erwies ſich in dem größeren Kreiſe als ein eben ſo bequem geſelliger, fein gebildeter Mann, wie ihn Oswald bis dahin gekannt hatte; ja, Oswald hatte jetzt noch mehr Gelegenheit, die aus¬ gezeichnete Unterhaltungsgabe und die ſichere Haltung des jungen Arztes zu bewundern. Und was noch mehr für Doctor Braun einnehmen mußte, und ihm auch wirklich Aller, wenigſtens aller Verſtändigen, Herzen gewann, war, daß er ſich ſeiner Vorzüge ent¬ weder wirklich nicht bewußt war, oder wenigſtens nicht bewußt zu ſein ſchien. Nichts lag ihm ferner als ein Geltenmachen ſeiner Perſon; im Gegentheil, er hatte ſeine Freude daran, wenn er Andere zur Entwickelung ihrer Anſichten bringen konnte: und ſo war er ein nicht minder geduldiger und guter Zu¬ hörer, als gewandter Sprecher — zwei Tugenden, die ſich ſo ſelten zuſammen finden. Oswald ſah mit einigem Erſtaunen, daß, wenn der Doctor irgend Jemand in der Geſellſchaft aus¬ zeichnete, es nur Fräulein Helene ſein konnte, und mit nicht minder großer Verwunderung, daß die junge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/172
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/172>, abgerufen am 24.11.2024.