Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.sich auf sein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬ Er beugte sich über die Karte, die auf dem großen "Wenn das so fort geht, wird sich Anna-Maria ſich auf ſein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬ Er beugte ſich über die Karte, die auf dem großen „Wenn das ſo fort geht, wird ſich Anna-Maria <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0101" n="91"/> ſich auf ſein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬<lb/> ſtört über ſeine Aufgabe nachzudenken.</p><lb/> <p>Er beugte ſich über die Karte, die auf dem großen<lb/> Reißbrett aufgeſpannt war, und an der er ſeit der<lb/> Abreiſe der Familie, d. h. ſeit beinahe acht Tagen<lb/> nicht das Mindeſte gearbeitet hatte.</p><lb/> <p>„Wenn das ſo fort geht, wird ſich Anna-Maria<lb/> über meine Fortſchritte wundern,“ murmelte er; „es<lb/> iſt wirklich überraſchend, welch' ein ausgebildetes Ta¬<lb/> lent zur Faulheit, oder höflicher ausgedrückt: zum<lb/><hi rendition="#aq">dolce far niente</hi> in mir ſteckt. Es giebt offenbar im<lb/> Leben verwunſchene Lazzaronis, wie es verwunſchene<lb/> Prinzen in Märchen giebt; und ich bin augenſcheinlich<lb/> ſo ein, in die Jammergeſtalt eines im Schweiße ſeines<lb/> Angeſichts ſein Brod eſſenden Geometers verwunſche¬<lb/> ner Sohn des ſonnegetränkten Neapels. Aber wie<lb/> kommt es denn eigentlich, daß ich ſeit einer Woche ſo<lb/> ganz meiner natürlichen Tendenz folge? Die kleine<lb/> Marguerite iſt doch nicht allein daran ſchuld? rich¬<lb/> tig — jetzt beſinne ich mich — ich brauche eine Karte<lb/> aus der Regiſtratur und ließ mir ſchon vor acht Tagen<lb/> den Schlüſſel dazu geben. Die muß ich mir wenigſtens<lb/> holen, ſonſt — bei meiner heißen Liebe zur kleinen<lb/> Marguerite! — bleibt dieſe angefangene Karte ein<lb/> Fragment in Ewigkeit.“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0101]
ſich auf ſein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬
ſtört über ſeine Aufgabe nachzudenken.
Er beugte ſich über die Karte, die auf dem großen
Reißbrett aufgeſpannt war, und an der er ſeit der
Abreiſe der Familie, d. h. ſeit beinahe acht Tagen
nicht das Mindeſte gearbeitet hatte.
„Wenn das ſo fort geht, wird ſich Anna-Maria
über meine Fortſchritte wundern,“ murmelte er; „es
iſt wirklich überraſchend, welch' ein ausgebildetes Ta¬
lent zur Faulheit, oder höflicher ausgedrückt: zum
dolce far niente in mir ſteckt. Es giebt offenbar im
Leben verwunſchene Lazzaronis, wie es verwunſchene
Prinzen in Märchen giebt; und ich bin augenſcheinlich
ſo ein, in die Jammergeſtalt eines im Schweiße ſeines
Angeſichts ſein Brod eſſenden Geometers verwunſche¬
ner Sohn des ſonnegetränkten Neapels. Aber wie
kommt es denn eigentlich, daß ich ſeit einer Woche ſo
ganz meiner natürlichen Tendenz folge? Die kleine
Marguerite iſt doch nicht allein daran ſchuld? rich¬
tig — jetzt beſinne ich mich — ich brauche eine Karte
aus der Regiſtratur und ließ mir ſchon vor acht Tagen
den Schlüſſel dazu geben. Die muß ich mir wenigſtens
holen, ſonſt — bei meiner heißen Liebe zur kleinen
Marguerite! — bleibt dieſe angefangene Karte ein
Fragment in Ewigkeit.“
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