Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.gesehen habe. Gehe Sie zu Bett, liebe Clausen; ich Und das mußte man der Tante lassen; wir be¬ geſehen habe. Gehe Sie zu Bett, liebe Clauſen; ich Und das mußte man der Tante laſſen; wir be¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0243" n="233"/> geſehen habe. Gehe Sie zu Bett, liebe Clauſen; ich<lb/> bemühe die Leute nicht gern unnöthiger Weiſe.“</p><lb/> <p>Und das mußte man der Tante laſſen; wir be¬<lb/> kamen nur ſehr ſelten ihre Klingel zu hören. Sie<lb/> zog ſich ſelbſt an und aus; freilich brauchte ſie mehre<lb/> Stunden dazu, aber Keiner von uns durfte ihr die<lb/> geringſte Hülfe leiſten; ja, ſeitdem eins der Mädchen<lb/> einmal, während ſie ſich anzog, in ihre Stube ge¬<lb/> kommen war, ſchloß ſie ſtets hinter ſich ab. Sie<lb/> hatte ſonderbare Gewohnheiten, die alte Frau. So<lb/> konnte ſie des Abends nicht müde werden, und ich<lb/> ſah ſie manchmal noch bis zum hellen Morgen in<lb/> ihrem Zimmer umherwandern, dafür ſchlief ſie aber<lb/> bis in den Nachmittag hinein. Bei Tiſche hatte ſie<lb/> nie Appetit, aber auf ihrem Zimmer konnte ſie deſto<lb/> mehr eſſen und trinken, manchmal zwei, drei Flaſchen<lb/> alten Wein an einem Tage. Aber was das Merk¬<lb/> würdigſte war, ſie ſchien heute fünfzig und morgen<lb/> achtzig Jahre alt zu ſein; ſie konnte in dieſer Minute<lb/> das leiſeſte Wort hören und in der nächſten war ſie<lb/> ſtocktaub; ſie ſchleppte ſich das eine Mal nur ſo an<lb/> ihrem Stocke fort und das andere Mal kam ſie die<lb/> Treppen ſchneller hinab, wie ich, obgleich ich damals<lb/> erſt ſechszig Jahre und noch vollkommen rüſtig war.<lb/> Mir war es ganz unheimlich bei der alten Frau, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [233/0243]
geſehen habe. Gehe Sie zu Bett, liebe Clauſen; ich
bemühe die Leute nicht gern unnöthiger Weiſe.“
Und das mußte man der Tante laſſen; wir be¬
kamen nur ſehr ſelten ihre Klingel zu hören. Sie
zog ſich ſelbſt an und aus; freilich brauchte ſie mehre
Stunden dazu, aber Keiner von uns durfte ihr die
geringſte Hülfe leiſten; ja, ſeitdem eins der Mädchen
einmal, während ſie ſich anzog, in ihre Stube ge¬
kommen war, ſchloß ſie ſtets hinter ſich ab. Sie
hatte ſonderbare Gewohnheiten, die alte Frau. So
konnte ſie des Abends nicht müde werden, und ich
ſah ſie manchmal noch bis zum hellen Morgen in
ihrem Zimmer umherwandern, dafür ſchlief ſie aber
bis in den Nachmittag hinein. Bei Tiſche hatte ſie
nie Appetit, aber auf ihrem Zimmer konnte ſie deſto
mehr eſſen und trinken, manchmal zwei, drei Flaſchen
alten Wein an einem Tage. Aber was das Merk¬
würdigſte war, ſie ſchien heute fünfzig und morgen
achtzig Jahre alt zu ſein; ſie konnte in dieſer Minute
das leiſeſte Wort hören und in der nächſten war ſie
ſtocktaub; ſie ſchleppte ſich das eine Mal nur ſo an
ihrem Stocke fort und das andere Mal kam ſie die
Treppen ſchneller hinab, wie ich, obgleich ich damals
erſt ſechszig Jahre und noch vollkommen rüſtig war.
Mir war es ganz unheimlich bei der alten Frau, und
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