des hübschen, leidenschaftlichen Kindes, das ihm in den wenigen Augenblicken so theuer geworden war. -- Die Liebe ist etwas so Wunderbares, daß schon das bloße Bewußtsein, diese dämonische Kraft in Anderen ent¬ fesselt zu haben, hinreicht in uns eine Empfindung zu erwecken, die, wenn sie nicht Liebe ist, der Liebe we¬ nigstens täuschend ähnlich sieht. Die Liebe ist ein Spiegel, der unser Bild so verklärt zurückstrahlt, daß selbst die Klügsten, selbst die Bescheidensten bei diesem Anblick sich eines Gefühles des Stolzes nicht erwehren können. Die Liebe macht uns zu einem Gott, und wir müßten nicht Menschen, nicht die Brüder des Phaeton und des Ixion sein, wenn es uns nicht Alle gelüstete, dann und wann ein wenig den Gott zu spielen, oder mindestens einmal an der Tafel der Götter zu speisen. Welcher Nektar aber kann so süß sein, wie die Küsse von den thaufrischen Lippen eines so holden jungen Geschöpfes? wie die Blicke aus den Augen eines Mädchens, dessen Busen sich zum ersten Male in Liebessehnsucht hebt? wie ihre verwirrte und doch so verständliche Rede, dem Gezwitscher eines jungen Vögleins vergleichbar, das aus voller Brust heraus¬ singen möchte, und doch die rechten Töne noch nicht finden kann? . . .
Und Oswald hatte noch vor wenigen Minuten
des hübſchen, leidenſchaftlichen Kindes, das ihm in den wenigen Augenblicken ſo theuer geworden war. — Die Liebe iſt etwas ſo Wunderbares, daß ſchon das bloße Bewußtſein, dieſe dämoniſche Kraft in Anderen ent¬ feſſelt zu haben, hinreicht in uns eine Empfindung zu erwecken, die, wenn ſie nicht Liebe iſt, der Liebe we¬ nigſtens täuſchend ähnlich ſieht. Die Liebe iſt ein Spiegel, der unſer Bild ſo verklärt zurückſtrahlt, daß ſelbſt die Klügſten, ſelbſt die Beſcheidenſten bei dieſem Anblick ſich eines Gefühles des Stolzes nicht erwehren können. Die Liebe macht uns zu einem Gott, und wir müßten nicht Menſchen, nicht die Brüder des Phaeton und des Ixion ſein, wenn es uns nicht Alle gelüſtete, dann und wann ein wenig den Gott zu ſpielen, oder mindeſtens einmal an der Tafel der Götter zu ſpeiſen. Welcher Nektar aber kann ſo ſüß ſein, wie die Küſſe von den thaufriſchen Lippen eines ſo holden jungen Geſchöpfes? wie die Blicke aus den Augen eines Mädchens, deſſen Buſen ſich zum erſten Male in Liebesſehnſucht hebt? wie ihre verwirrte und doch ſo verſtändliche Rede, dem Gezwitſcher eines jungen Vögleins vergleichbar, das aus voller Bruſt heraus¬ ſingen möchte, und doch die rechten Töne noch nicht finden kann? . . .
Und Oswald hatte noch vor wenigen Minuten
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des hübſchen, leidenſchaftlichen Kindes, das ihm in den
wenigen Augenblicken ſo theuer geworden war. — Die
Liebe iſt etwas ſo Wunderbares, daß ſchon das bloße
Bewußtſein, dieſe dämoniſche Kraft in Anderen ent¬
feſſelt zu haben, hinreicht in uns eine Empfindung zu
erwecken, die, wenn ſie nicht Liebe iſt, der Liebe we¬
nigſtens täuſchend ähnlich ſieht. Die Liebe iſt ein
Spiegel, der unſer Bild ſo verklärt zurückſtrahlt, daß
ſelbſt die Klügſten, ſelbſt die Beſcheidenſten bei dieſem
Anblick ſich eines Gefühles des Stolzes nicht erwehren
können. Die Liebe macht uns zu einem Gott, und
wir müßten nicht Menſchen, nicht die Brüder des
Phaeton und des Ixion ſein, wenn es uns nicht Alle
gelüſtete, dann und wann ein wenig den Gott zu ſpielen,
oder mindeſtens einmal an der Tafel der Götter zu
ſpeiſen. Welcher Nektar aber kann ſo ſüß ſein, wie
die Küſſe von den thaufriſchen Lippen eines ſo holden
jungen Geſchöpfes? wie die Blicke aus den Augen
eines Mädchens, deſſen Buſen ſich zum erſten Male
in Liebesſehnſucht hebt? wie ihre verwirrte und doch
ſo verſtändliche Rede, dem Gezwitſcher eines jungen
Vögleins vergleichbar, das aus voller Bruſt heraus¬
ſingen möchte, und doch die rechten Töne noch nicht
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/113>, abgerufen am 16.02.2025.
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