Frauen, die vollkommen indifferent dagegegen sind, welchen Eindruck sie auf ihre Umgebung hervorbringen, und Melitta gehörte durchaus nicht zu diesen wenigen Frauen, wohl aber zu jenen Naturen von leicht erreg¬ licher Sinnlichkeit, die sich durch gefällige und schöne Formen in einer Weise bestechen lassen, die kälteren Temperamenten unbegreiflich ist. Nun war Oswald, ohne das zu sein, was man einen schönen Mann nennt, von der Mutter Natur nichts weniger als stiefmütter¬ lich ausgestattet, und die gute Gesellschaft, in der er sich stets bewegt, hatte die natürliche Grazie seiner Manieren noch erhöht. Das Alles überraschte Me¬ litta um so angenehmer, als sie es bei einem Manne von einer nach ihren Begriffen so untergeordneten Stellung am wenigsten erwartet hatte. Oswald er¬ schien ihr mit jedem Augenblick bedeutender; sie fing an, ihre brüske Einladung von vorhin doch recht un¬ passend zu finden, und zugleich entzückte sie der Ge¬ danke, den liebenswürdigen jungen Mann so bald bei sich zu sehen. Es schmeichelte ihr, wenn, was über Tische mehr als einmal geschah, Oswalds Blicke den ihren begegneten, und doch senkte sie jedesmal die Wimpern vor einem Augenpaar, das bei aller Unbe¬ fangenheit so beredt und forschend blicken konnte.
Nach Beendigung der Mahlzeit brachte die Baronin,
Frauen, die vollkommen indifferent dagegegen ſind, welchen Eindruck ſie auf ihre Umgebung hervorbringen, und Melitta gehörte durchaus nicht zu dieſen wenigen Frauen, wohl aber zu jenen Naturen von leicht erreg¬ licher Sinnlichkeit, die ſich durch gefällige und ſchöne Formen in einer Weiſe beſtechen laſſen, die kälteren Temperamenten unbegreiflich iſt. Nun war Oswald, ohne das zu ſein, was man einen ſchönen Mann nennt, von der Mutter Natur nichts weniger als ſtiefmütter¬ lich ausgeſtattet, und die gute Geſellſchaft, in der er ſich ſtets bewegt, hatte die natürliche Grazie ſeiner Manieren noch erhöht. Das Alles überraſchte Me¬ litta um ſo angenehmer, als ſie es bei einem Manne von einer nach ihren Begriffen ſo untergeordneten Stellung am wenigſten erwartet hatte. Oswald er¬ ſchien ihr mit jedem Augenblick bedeutender; ſie fing an, ihre brüske Einladung von vorhin doch recht un¬ paſſend zu finden, und zugleich entzückte ſie der Ge¬ danke, den liebenswürdigen jungen Mann ſo bald bei ſich zu ſehen. Es ſchmeichelte ihr, wenn, was über Tiſche mehr als einmal geſchah, Oswalds Blicke den ihren begegneten, und doch ſenkte ſie jedesmal die Wimpern vor einem Augenpaar, das bei aller Unbe¬ fangenheit ſo beredt und forſchend blicken konnte.
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Frauen, die vollkommen indifferent dagegegen ſind,
welchen Eindruck ſie auf ihre Umgebung hervorbringen,
und Melitta gehörte durchaus nicht zu dieſen wenigen
Frauen, wohl aber zu jenen Naturen von leicht erreg¬
licher Sinnlichkeit, die ſich durch gefällige und ſchöne
Formen in einer Weiſe beſtechen laſſen, die kälteren
Temperamenten unbegreiflich iſt. Nun war Oswald,
ohne das zu ſein, was man einen ſchönen Mann nennt,
von der Mutter Natur nichts weniger als ſtiefmütter¬
lich ausgeſtattet, und die gute Geſellſchaft, in der er
ſich ſtets bewegt, hatte die natürliche Grazie ſeiner
Manieren noch erhöht. Das Alles überraſchte Me¬
litta um ſo angenehmer, als ſie es bei einem Manne
von einer nach ihren Begriffen ſo untergeordneten
Stellung am wenigſten erwartet hatte. Oswald er¬
ſchien ihr mit jedem Augenblick bedeutender; ſie fing
an, ihre brüske Einladung von vorhin doch recht un¬
paſſend zu finden, und zugleich entzückte ſie der Ge¬
danke, den liebenswürdigen jungen Mann ſo bald bei
ſich zu ſehen. Es ſchmeichelte ihr, wenn, was über
Tiſche mehr als einmal geſchah, Oswalds Blicke den
ihren begegneten, und doch ſenkte ſie jedesmal die
Wimpern vor einem Augenpaar, das bei aller Unbe¬
fangenheit ſo beredt und forſchend blicken konnte.
Nach Beendigung der Mahlzeit brachte die Baronin,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/89>, abgerufen am 27.11.2024.
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