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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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"Baron Oldenburg hat auch so eine öffentliche Er¬
ziehung, wie sie es nennen, genossen, und ich denke,
die Resultate sind danach. Freilich hat man mit den
Hauslehrern auch seine liebe Noth."

"Sie haben ja jetzt einen neuen, nicht wahr?" sagte
Melitta, die aufgestanden war und sich in die Thür
lehnte; "wie ist er denn?"

Die Baronin zuckte die Achseln.

"Aber wie kann man das auch fragen," sagte Me¬
litta lachend. "Er wird sein, wie alle Andern: ent¬
setzlich gelehrt, eckig, pedantisch, langweilig. Bemper¬
lein, Bauer -- das ist Alles ein Genre. Ich will
einen Hauslehrer auf hundert Schritt erkennen. Ah!
wer ist der junge Mann, der da mit Bruno über die
Wiese kommt?"

Die Frage blieb unbeantwortet, da in diesem Augen¬
blick Mademoiselle Marguerite in das Zimmer getreten
und die Baronin aufgestanden war, ihr einige Auf¬
träge wegen der Abendmahlzeit zu geben. Melitta
wandte sich um, aber die Baronin hatte mit einem:
Entschuldigen Sie mich! das Zimmer verlassen. Melitta
blieb allein, und mußte selbst die Antwort auf ihre
Frage zu finden suchen. Sie zog sich ein wenig aus
der Thür zurück und musterte mit ihren scharfen Augen
die Erscheinung des unbekannten jungen Mannes.


„Baron Oldenburg hat auch ſo eine öffentliche Er¬
ziehung, wie ſie es nennen, genoſſen, und ich denke,
die Reſultate ſind danach. Freilich hat man mit den
Hauslehrern auch ſeine liebe Noth.“

„Sie haben ja jetzt einen neuen, nicht wahr?“ ſagte
Melitta, die aufgeſtanden war und ſich in die Thür
lehnte; „wie iſt er denn?“

Die Baronin zuckte die Achſeln.

„Aber wie kann man das auch fragen,“ ſagte Me¬
litta lachend. „Er wird ſein, wie alle Andern: ent¬
ſetzlich gelehrt, eckig, pedantiſch, langweilig. Bemper¬
lein, Bauer — das iſt Alles ein Genre. Ich will
einen Hauslehrer auf hundert Schritt erkennen. Ah!
wer iſt der junge Mann, der da mit Bruno über die
Wieſe kommt?“

Die Frage blieb unbeantwortet, da in dieſem Augen¬
blick Mademoiſelle Marguerite in das Zimmer getreten
und die Baronin aufgeſtanden war, ihr einige Auf¬
träge wegen der Abendmahlzeit zu geben. Melitta
wandte ſich um, aber die Baronin hatte mit einem:
Entſchuldigen Sie mich! das Zimmer verlaſſen. Melitta
blieb allein, und mußte ſelbſt die Antwort auf ihre
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[71/0081] „Baron Oldenburg hat auch ſo eine öffentliche Er¬ ziehung, wie ſie es nennen, genoſſen, und ich denke, die Reſultate ſind danach. Freilich hat man mit den Hauslehrern auch ſeine liebe Noth.“ „Sie haben ja jetzt einen neuen, nicht wahr?“ ſagte Melitta, die aufgeſtanden war und ſich in die Thür lehnte; „wie iſt er denn?“ Die Baronin zuckte die Achſeln. „Aber wie kann man das auch fragen,“ ſagte Me¬ litta lachend. „Er wird ſein, wie alle Andern: ent¬ ſetzlich gelehrt, eckig, pedantiſch, langweilig. Bemper¬ lein, Bauer — das iſt Alles ein Genre. Ich will einen Hauslehrer auf hundert Schritt erkennen. Ah! wer iſt der junge Mann, der da mit Bruno über die Wieſe kommt?“ Die Frage blieb unbeantwortet, da in dieſem Augen¬ blick Mademoiſelle Marguerite in das Zimmer getreten und die Baronin aufgeſtanden war, ihr einige Auf¬ träge wegen der Abendmahlzeit zu geben. Melitta wandte ſich um, aber die Baronin hatte mit einem: Entſchuldigen Sie mich! das Zimmer verlaſſen. Melitta blieb allein, und mußte ſelbſt die Antwort auf ihre Frage zu finden ſuchen. Sie zog ſich ein wenig aus der Thür zurück und muſterte mit ihren ſcharfen Augen die Erſcheinung des unbekannten jungen Mannes.

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/81>, abgerufen am 27.11.2024.