Ein größerer Gegensatz war nicht leicht denkbar. Die Baronin von Grenwitz war kaum vierzig Jahre alt, aber die Strenge ihrer männlich festen Züge, die großen, kalten grauen Augen, die sie so forschend und so lange auf den Sprecher richtete, die Gemessenheit ihrer Bewegungen, ihre hohe, weit über das gewöhn¬ liche Frauenmaaß hinausreichende Gestalt, vorzüglich aber ihre eigenthümliche Art sich zu kleiden, ließen sie manchmal fast um zehn Jahre älter erscheinen. Sei es übergroße Einfachheit, sei es, wie Andere wollten, eine an Geiz grenzende Sparsamkeit, sie bevorzugte Stoffe, die sich, wie das Hochzeitskleid der würdigen Pfarrerin von Wakefield, mehr durch Dauerbarkeit, als durch irgend glänzende Eigenschaften empfahlen, und sie liebte einen Schnitt der Kleidung, von dem man deshalb nicht behaupten konnte, er sei nicht mehr mo¬ disch, weil er es eigentlich niemals gewesen war. Wie die Erscheinung der Baronin für den ersten Augenblick auf Jeden den Eindruck der Würde machte, so be¬ merkte auch der aufmerksame Beobachter in ihrer in jedem Momente musterhaften Haltung und vor allem an dem stets ruhigen, gleichmäßigen Ton ihrer etwas tiefen, wohllautenden Stimme und ihrer immer ge¬ wählten Sprache, die jeden vulgären Ausdruck sorg¬
Ein größerer Gegenſatz war nicht leicht denkbar. Die Baronin von Grenwitz war kaum vierzig Jahre alt, aber die Strenge ihrer männlich feſten Züge, die großen, kalten grauen Augen, die ſie ſo forſchend und ſo lange auf den Sprecher richtete, die Gemeſſenheit ihrer Bewegungen, ihre hohe, weit über das gewöhn¬ liche Frauenmaaß hinausreichende Geſtalt, vorzüglich aber ihre eigenthümliche Art ſich zu kleiden, ließen ſie manchmal faſt um zehn Jahre älter erſcheinen. Sei es übergroße Einfachheit, ſei es, wie Andere wollten, eine an Geiz grenzende Sparſamkeit, ſie bevorzugte Stoffe, die ſich, wie das Hochzeitskleid der würdigen Pfarrerin von Wakefield, mehr durch Dauerbarkeit, als durch irgend glänzende Eigenſchaften empfahlen, und ſie liebte einen Schnitt der Kleidung, von dem man deshalb nicht behaupten konnte, er ſei nicht mehr mo¬ diſch, weil er es eigentlich niemals geweſen war. Wie die Erſcheinung der Baronin für den erſten Augenblick auf Jeden den Eindruck der Würde machte, ſo be¬ merkte auch der aufmerkſame Beobachter in ihrer in jedem Momente muſterhaften Haltung und vor allem an dem ſtets ruhigen, gleichmäßigen Ton ihrer etwas tiefen, wohllautenden Stimme und ihrer immer ge¬ wählten Sprache, die jeden vulgären Ausdruck ſorg¬
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Ein größerer Gegenſatz war nicht leicht denkbar.
Die Baronin von Grenwitz war kaum vierzig Jahre
alt, aber die Strenge ihrer männlich feſten Züge, die
großen, kalten grauen Augen, die ſie ſo forſchend und
ſo lange auf den Sprecher richtete, die Gemeſſenheit
ihrer Bewegungen, ihre hohe, weit über das gewöhn¬
liche Frauenmaaß hinausreichende Geſtalt, vorzüglich
aber ihre eigenthümliche Art ſich zu kleiden, ließen ſie
manchmal faſt um zehn Jahre älter erſcheinen. Sei
es übergroße Einfachheit, ſei es, wie Andere wollten,
eine an Geiz grenzende Sparſamkeit, ſie bevorzugte
Stoffe, die ſich, wie das Hochzeitskleid der würdigen
Pfarrerin von Wakefield, mehr durch Dauerbarkeit, als
durch irgend glänzende Eigenſchaften empfahlen, und
ſie liebte einen Schnitt der Kleidung, von dem man
deshalb nicht behaupten konnte, er ſei nicht mehr mo¬
diſch, weil er es eigentlich niemals geweſen war. Wie
die Erſcheinung der Baronin für den erſten Augenblick
auf Jeden den Eindruck der Würde machte, ſo be¬
merkte auch der aufmerkſame Beobachter in ihrer in
jedem Momente muſterhaften Haltung und vor allem
an dem ſtets ruhigen, gleichmäßigen Ton ihrer etwas
tiefen, wohllautenden Stimme und ihrer immer ge¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/69>, abgerufen am 25.11.2024.
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