Tod Hektor's entlockte ihm Thränen des Mitleids und des Zornes, und der moralische Unwille, der ihn er¬ faßte, wenn er vor seinen Augen eine Ungerechtigkeit, eine Grausamkeit verüben sah, war so groß, daß er in ihm ein physisches Unwohlsein zu Wege brachte.
So fand Oswald, als er in der Nacht nach diesem Vorfall an Bruno's Bett trat, daß sein Liebling gegen seine Gewohnheit noch wach war. Das mehr als sonst blasse Gesicht des Knaben und der kalte Schweiß auf seiner Stirn machten ihn besorgt, und der Knabe gestand denn auch nach einigem Zögern, daß er, nur um seinen Freund nicht zu ängstigen, sein Unwohlsein verheimlicht habe, und jetzt große Schmerzen leide. Oswald wollte sogleich die Leute wecken und nach dem Doctor schicken, aber Bruno bat ihn, davon abzustehen, da dergleichen in dem Schlosse immer sogleich zu einer Haupt- und Staatsaction gemacht werde, und ihn die Umständlichkeit, die man bei solchen Gelegenheiten be¬ wiese, nur beängstige und noch kränker mache.
"Uebrigens," sagte er, "bin ich an diese Anfälle schon gewöhnt und wenn Sie die Güte haben wollen, nur etwas Thee zu bereiten und mir ein paar Tropfen von der Essenz zu geben, die der Doctor neulich für mich verschrieben hat -- das Fläschchen steht auf mei¬ nem Pult -- so sollen Sie sehen, geht es bald vorüber."
Tod Hektor's entlockte ihm Thränen des Mitleids und des Zornes, und der moraliſche Unwille, der ihn er¬ faßte, wenn er vor ſeinen Augen eine Ungerechtigkeit, eine Grauſamkeit verüben ſah, war ſo groß, daß er in ihm ein phyſiſches Unwohlſein zu Wege brachte.
So fand Oswald, als er in der Nacht nach dieſem Vorfall an Bruno's Bett trat, daß ſein Liebling gegen ſeine Gewohnheit noch wach war. Das mehr als ſonſt blaſſe Geſicht des Knaben und der kalte Schweiß auf ſeiner Stirn machten ihn beſorgt, und der Knabe geſtand denn auch nach einigem Zögern, daß er, nur um ſeinen Freund nicht zu ängſtigen, ſein Unwohlſein verheimlicht habe, und jetzt große Schmerzen leide. Oswald wollte ſogleich die Leute wecken und nach dem Doctor ſchicken, aber Bruno bat ihn, davon abzuſtehen, da dergleichen in dem Schloſſe immer ſogleich zu einer Haupt- und Staatsaction gemacht werde, und ihn die Umſtändlichkeit, die man bei ſolchen Gelegenheiten be¬ wieſe, nur beängſtige und noch kränker mache.
„Uebrigens,“ ſagte er, „bin ich an dieſe Anfälle ſchon gewöhnt und wenn Sie die Güte haben wollen, nur etwas Thee zu bereiten und mir ein paar Tropfen von der Eſſenz zu geben, die der Doctor neulich für mich verſchrieben hat — das Fläſchchen ſteht auf mei¬ nem Pult — ſo ſollen Sie ſehen, geht es bald vorüber.“
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Tod Hektor's entlockte ihm Thränen des Mitleids und
des Zornes, und der moraliſche Unwille, der ihn er¬
faßte, wenn er vor ſeinen Augen eine Ungerechtigkeit,
eine Grauſamkeit verüben ſah, war ſo groß, daß er in
ihm ein phyſiſches Unwohlſein zu Wege brachte.
So fand Oswald, als er in der Nacht nach dieſem
Vorfall an Bruno's Bett trat, daß ſein Liebling gegen
ſeine Gewohnheit noch wach war. Das mehr als
ſonſt blaſſe Geſicht des Knaben und der kalte Schweiß
auf ſeiner Stirn machten ihn beſorgt, und der Knabe
geſtand denn auch nach einigem Zögern, daß er, nur
um ſeinen Freund nicht zu ängſtigen, ſein Unwohlſein
verheimlicht habe, und jetzt große Schmerzen leide.
Oswald wollte ſogleich die Leute wecken und nach dem
Doctor ſchicken, aber Bruno bat ihn, davon abzuſtehen,
da dergleichen in dem Schloſſe immer ſogleich zu einer
Haupt- und Staatsaction gemacht werde, und ihn die
Umſtändlichkeit, die man bei ſolchen Gelegenheiten be¬
wieſe, nur beängſtige und noch kränker mache.
„Uebrigens,“ ſagte er, „bin ich an dieſe Anfälle
ſchon gewöhnt und wenn Sie die Güte haben wollen,
nur etwas Thee zu bereiten und mir ein paar Tropfen
von der Eſſenz zu geben, die der Doctor neulich für
mich verſchrieben hat — das Fläſchchen ſteht auf mei¬
nem Pult — ſo ſollen Sie ſehen, geht es bald vorüber.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/65>, abgerufen am 25.11.2024.
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