"Nun, es ist jetzt so ein vierzig Jahr her, er wäre jetzt ebenso alt wie ich, zweiundachtzig Jahr, hm, hm, zweiundachtzig Jahr -- wie der wohl aussähe, -- auch so verschrumpft? und war ein schmucker Bursch -- ei, das war ein schmucker Bursch!"
Die Erinnerung an den drittletzten, längst verstor¬ benen Baron von Grenwitz, schien der Alten eine be¬ sonders merkwürdige zu sein; sie ließ die magern, braunen Hände mit dem Strickzeug in den Schooß sinken, und starrte gedankenvoll vor sich hin. "Ein schmucker Bursch," murmelte sie noch einmal, und die verschrumpften Züge erhellte ein freundliches Lächeln; dann traten zwei große Thränen aus den gesenkten Wimpern und rollten langsam über die runzligen braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände... Was mochte sie in diesem Augenblicke erschauen, die alte Frau? Sah sie sich wieder, wie sie vor fünfund¬ sechzig Jahren war, ein schlankes bildhübsches Ding mit großen grauen, blitzenden Augen und prächtigen reichen, dunkelblondem Haar, so wie sie damals war, als sie sich des Nachts heruntergestohlen hatte, in den Schloßgarten, um dem Junker ein Stelldichein zu geben, dem wilden Junker, mit dem sie zusammen auf¬ gewachsen war, wie eine Schwester, und den sie wie
„Wie lange iſt der nun todt?„
„Nun, es iſt jetzt ſo ein vierzig Jahr her, er wäre jetzt ebenſo alt wie ich, zweiundachtzig Jahr, hm, hm, zweiundachtzig Jahr — wie der wohl ausſähe, — auch ſo verſchrumpft? und war ein ſchmucker Burſch — ei, das war ein ſchmucker Burſch!“
Die Erinnerung an den drittletzten, längſt verſtor¬ benen Baron von Grenwitz, ſchien der Alten eine be¬ ſonders merkwürdige zu ſein; ſie ließ die magern, braunen Hände mit dem Strickzeug in den Schooß ſinken, und ſtarrte gedankenvoll vor ſich hin. „Ein ſchmucker Burſch,“ murmelte ſie noch einmal, und die verſchrumpften Züge erhellte ein freundliches Lächeln; dann traten zwei große Thränen aus den geſenkten Wimpern und rollten langſam über die runzligen braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände... Was mochte ſie in dieſem Augenblicke erſchauen, die alte Frau? Sah ſie ſich wieder, wie ſie vor fünfund¬ ſechzig Jahren war, ein ſchlankes bildhübſches Ding mit großen grauen, blitzenden Augen und prächtigen reichen, dunkelblondem Haar, ſo wie ſie damals war, als ſie ſich des Nachts heruntergeſtohlen hatte, in den Schloßgarten, um dem Junker ein Stelldichein zu geben, dem wilden Junker, mit dem ſie zuſammen auf¬ gewachſen war, wie eine Schweſter, und den ſie wie
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„Wie lange iſt der nun todt?„
„Nun, es iſt jetzt ſo ein vierzig Jahr her, er wäre
jetzt ebenſo alt wie ich, zweiundachtzig Jahr, hm,
hm, zweiundachtzig Jahr — wie der wohl ausſähe, —
auch ſo verſchrumpft? und war ein ſchmucker Burſch
— ei, das war ein ſchmucker Burſch!“
Die Erinnerung an den drittletzten, längſt verſtor¬
benen Baron von Grenwitz, ſchien der Alten eine be¬
ſonders merkwürdige zu ſein; ſie ließ die magern,
braunen Hände mit dem Strickzeug in den Schooß
ſinken, und ſtarrte gedankenvoll vor ſich hin. „Ein
ſchmucker Burſch,“ murmelte ſie noch einmal, und die
verſchrumpften Züge erhellte ein freundliches Lächeln;
dann traten zwei große Thränen aus den geſenkten
Wimpern und rollten langſam über die runzligen
braunen Wangen auf die runzligen braunen Hände...
Was mochte ſie in dieſem Augenblicke erſchauen, die
alte Frau? Sah ſie ſich wieder, wie ſie vor fünfund¬
ſechzig Jahren war, ein ſchlankes bildhübſches Ding
mit großen grauen, blitzenden Augen und prächtigen
reichen, dunkelblondem Haar, ſo wie ſie damals war,
als ſie ſich des Nachts heruntergeſtohlen hatte, in den
Schloßgarten, um dem Junker ein Stelldichein zu
geben, dem wilden Junker, mit dem ſie zuſammen auf¬
gewachſen war, wie eine Schweſter, und den ſie wie
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/289>, abgerufen am 25.11.2024.
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