So raunte und flüsterte ihm der Dämon der Eifer¬ sucht wilde, schlimme Gedanken ins Ohr, die sein Blut sieden machten und ihm kalte Tropfen auf die Stirn trieben -- was Wunder, wenn er so Herrn Bem¬ perlein's Erzählung nur wie im Traume hörte. Nur so viel begriff er, daß der wunderliche, brave Mann erst jetzt, nachdem die Noth des Lebens für ihn vorbei war und er in der grünen Einsamkeit von Berkow frei von aller Sorge aufathmen durfte, zum ersten Mal über seine sogenannte Wissenschaft, die zu prüfen, ihm bis dahin die Zeit gefehlt hatte, nachzudenken begann; daß er jetzt zum ersten Male mit den Heroen der neueren Literatur, vor allem mit Shakespeare, Be¬ kanntschaft machte, daß er von den Dichtern auf die Philosophen kam, und wie ihm vor allem in Spinoza eine Welt aufging, von der er, der Zögling theolo¬ gischer Scholastik, keine Ahnung hatte; daß er von Spinoza, später von Schopenhauer angeregt, sich auf das Studium der Natur, auf Botanik, Mineralogie, Physik geworfen, sich mit Hülfe des alten Baumann ein kleines Laboratorium eingerichtet und fleißig expe¬ rimentirt habe, und daß auf seinen Retorten und Ti¬ geln der Glaube an die alleinseligmachende Kraft der Professoren-Religion, den ihm die Lectüre der Philo¬
So raunte und flüſterte ihm der Dämon der Eifer¬ ſucht wilde, ſchlimme Gedanken ins Ohr, die ſein Blut ſieden machten und ihm kalte Tropfen auf die Stirn trieben — was Wunder, wenn er ſo Herrn Bem¬ perlein's Erzählung nur wie im Traume hörte. Nur ſo viel begriff er, daß der wunderliche, brave Mann erſt jetzt, nachdem die Noth des Lebens für ihn vorbei war und er in der grünen Einſamkeit von Berkow frei von aller Sorge aufathmen durfte, zum erſten Mal über ſeine ſogenannte Wiſſenſchaft, die zu prüfen, ihm bis dahin die Zeit gefehlt hatte, nachzudenken begann; daß er jetzt zum erſten Male mit den Heroen der neueren Literatur, vor allem mit Shakeſpeare, Be¬ kanntſchaft machte, daß er von den Dichtern auf die Philoſophen kam, und wie ihm vor allem in Spinoza eine Welt aufging, von der er, der Zögling theolo¬ giſcher Scholaſtik, keine Ahnung hatte; daß er von Spinoza, ſpäter von Schopenhauer angeregt, ſich auf das Studium der Natur, auf Botanik, Mineralogie, Phyſik geworfen, ſich mit Hülfe des alten Baumann ein kleines Laboratorium eingerichtet und fleißig expe¬ rimentirt habe, und daß auf ſeinen Retorten und Ti¬ geln der Glaube an die alleinſeligmachende Kraft der Profeſſoren-Religion, den ihm die Lectüre der Philo¬
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So raunte und flüſterte ihm der Dämon der Eifer¬
ſucht wilde, ſchlimme Gedanken ins Ohr, die ſein Blut
ſieden machten und ihm kalte Tropfen auf die Stirn
trieben — was Wunder, wenn er ſo Herrn Bem¬
perlein's Erzählung nur wie im Traume hörte. Nur
ſo viel begriff er, daß der wunderliche, brave Mann
erſt jetzt, nachdem die Noth des Lebens für ihn vorbei
war und er in der grünen Einſamkeit von Berkow
frei von aller Sorge aufathmen durfte, zum erſten Mal
über ſeine ſogenannte Wiſſenſchaft, die zu prüfen, ihm
bis dahin die Zeit gefehlt hatte, nachzudenken begann;
daß er jetzt zum erſten Male mit den Heroen der
neueren Literatur, vor allem mit Shakeſpeare, Be¬
kanntſchaft machte, daß er von den Dichtern auf die
Philoſophen kam, und wie ihm vor allem in Spinoza
eine Welt aufging, von der er, der Zögling theolo¬
giſcher Scholaſtik, keine Ahnung hatte; daß er von
Spinoza, ſpäter von Schopenhauer angeregt, ſich auf
das Studium der Natur, auf Botanik, Mineralogie,
Phyſik geworfen, ſich mit Hülfe des alten Baumann
ein kleines Laboratorium eingerichtet und fleißig expe¬
rimentirt habe, und daß auf ſeinen Retorten und Ti¬
geln der Glaube an die alleinſeligmachende Kraft der
Profeſſoren-Religion, den ihm die Lectüre der Philo¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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