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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.

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sie mit dem freundlichsten Lächeln. Ich war so er¬
staunt über diese Worte, daß ich keine Antwort zu
finden wußte.

"Ich will Ihnen nur gestehen," fuhr sie mit himm¬
lischer Güte fort, "das ich die Zeit, die Sie jetzt hier
sind, nur als Probezeit angesehen, und Ihren Gehalt
darnach berechnet habe. Es ist mir niemals eingefallen,
zu glauben, daß ein Mann, dem ich die Erziehung
meines Kindes mit vollkommener Sicherheit anvertrauen
kann, überhaupt mit Geld zu bezahlen sei; und wenn
ich Sie jetzt bitte, mir zu erlauben, das geringe Ge¬
halt, das Sie bis jetzt bezogen haben, zu verdoppeln,
so bemerke ich dabei ausdrücklich, daß ich mich nach
wie vor als ihre Schuldnerin fühle."

War ich vorher noch nicht erstaunt gewesen, so
war ich es jetzt; oder vielmehr, ich war so gerührt --
weniger durch das großmüthige Geschenk selbst, --
als über die unbeschreibliche Liebenswürdigkeit, mit dem
es mir von der edlen Frau geboten wurde, daß mir
die Thränen über die Backen liefen. Ich stammelte
etwas von unmöglich annehmen können und dergleichen,
da aber wurde sie ordentlich zornig, daß ich nur schnell
einlenkte und sagte: ich nähme das Geschenk nicht für
mich, was unverantwortlich wäre, sondern nur, weil
ich für Andere sorgen müßte, die für sich selber noch

ſie mit dem freundlichſten Lächeln. Ich war ſo er¬
ſtaunt über dieſe Worte, daß ich keine Antwort zu
finden wußte.

„Ich will Ihnen nur geſtehen,“ fuhr ſie mit himm¬
liſcher Güte fort, „das ich die Zeit, die Sie jetzt hier
ſind, nur als Probezeit angeſehen, und Ihren Gehalt
darnach berechnet habe. Es iſt mir niemals eingefallen,
zu glauben, daß ein Mann, dem ich die Erziehung
meines Kindes mit vollkommener Sicherheit anvertrauen
kann, überhaupt mit Geld zu bezahlen ſei; und wenn
ich Sie jetzt bitte, mir zu erlauben, das geringe Ge¬
halt, das Sie bis jetzt bezogen haben, zu verdoppeln,
ſo bemerke ich dabei ausdrücklich, daß ich mich nach
wie vor als ihre Schuldnerin fühle.“

War ich vorher noch nicht erſtaunt geweſen, ſo
war ich es jetzt; oder vielmehr, ich war ſo gerührt —
weniger durch das großmüthige Geſchenk ſelbſt, —
als über die unbeſchreibliche Liebenswürdigkeit, mit dem
es mir von der edlen Frau geboten wurde, daß mir
die Thränen über die Backen liefen. Ich ſtammelte
etwas von unmöglich annehmen können und dergleichen,
da aber wurde ſie ordentlich zornig, daß ich nur ſchnell
einlenkte und ſagte: ich nähme das Geſchenk nicht für
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[248/0258] ſie mit dem freundlichſten Lächeln. Ich war ſo er¬ ſtaunt über dieſe Worte, daß ich keine Antwort zu finden wußte. „Ich will Ihnen nur geſtehen,“ fuhr ſie mit himm¬ liſcher Güte fort, „das ich die Zeit, die Sie jetzt hier ſind, nur als Probezeit angeſehen, und Ihren Gehalt darnach berechnet habe. Es iſt mir niemals eingefallen, zu glauben, daß ein Mann, dem ich die Erziehung meines Kindes mit vollkommener Sicherheit anvertrauen kann, überhaupt mit Geld zu bezahlen ſei; und wenn ich Sie jetzt bitte, mir zu erlauben, das geringe Ge¬ halt, das Sie bis jetzt bezogen haben, zu verdoppeln, ſo bemerke ich dabei ausdrücklich, daß ich mich nach wie vor als ihre Schuldnerin fühle.“ War ich vorher noch nicht erſtaunt geweſen, ſo war ich es jetzt; oder vielmehr, ich war ſo gerührt — weniger durch das großmüthige Geſchenk ſelbſt, — als über die unbeſchreibliche Liebenswürdigkeit, mit dem es mir von der edlen Frau geboten wurde, daß mir die Thränen über die Backen liefen. Ich ſtammelte etwas von unmöglich annehmen können und dergleichen, da aber wurde ſie ordentlich zornig, daß ich nur ſchnell einlenkte und ſagte: ich nähme das Geſchenk nicht für mich, was unverantwortlich wäre, ſondern nur, weil ich für Andere ſorgen müßte, die für ſich ſelber noch

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/258>, abgerufen am 22.06.2024.