"Unter solchen Umständen wäre es eine Kunst, nicht stark zu sein," antwortete er.
"Aber angegriffen hat es Sie doch, gestehen Sie es nur. Kommen Sie und setzen Sie sich zu mir; auf diesem Moossopha ist Platz für mehr als zwei."
Oswald ließ sich neben Melitta, die sich an den Stamm der Buche lehnte, in das weiche Moos sinken, stützte den Kopf auf den Arm und schaute sinnend em¬ por in ihr heiteres Antlitz. -- Nahte sich der Traum am Sumpfesrand der Erfüllung? wird sich das liebe, holde Gesicht zu ihm niederbeugen und ihn küssen, wie die Traumgestalt? Oder ist dies wieder nur ein Traum? . . . Es überkam Oswald das wunderliche Gefühl, als habe er dies Alles schon einmal erlebt; als kennte er diesen Platz: hier den dunkeln Hochwald, aus dem das Klopfen eines Spechtes ertönte, -- vor ihm die Wiese, über deren langes Gras rothe Abendlichter wogten, -- drüben den stillen Garten, aus dessen grünem Revier Melittas graues Schloß hervorragte -- seit vielen, vielen Jahren; -- als habe er Melitta selbst in seinem früheren Leben oft gesehen, als Knabe schon, wenn er sich recht tief in ein schönes, lauschiges Mährchen hin¬ eingelesen hatte, so daß zuletzt die holde Prinzessin or¬ dentlich leibhaftig vor ihm stand . . . und auch Melitta mußte Aehnliches empfinden, denn vollkommen unbe¬
13*
„Unter ſolchen Umſtänden wäre es eine Kunſt, nicht ſtark zu ſein,“ antwortete er.
„Aber angegriffen hat es Sie doch, geſtehen Sie es nur. Kommen Sie und ſetzen Sie ſich zu mir; auf dieſem Moosſopha iſt Platz für mehr als zwei.“
Oswald ließ ſich neben Melitta, die ſich an den Stamm der Buche lehnte, in das weiche Moos ſinken, ſtützte den Kopf auf den Arm und ſchaute ſinnend em¬ por in ihr heiteres Antlitz. — Nahte ſich der Traum am Sumpfesrand der Erfüllung? wird ſich das liebe, holde Geſicht zu ihm niederbeugen und ihn küſſen, wie die Traumgeſtalt? Oder iſt dies wieder nur ein Traum? . . . Es überkam Oswald das wunderliche Gefühl, als habe er dies Alles ſchon einmal erlebt; als kennte er dieſen Platz: hier den dunkeln Hochwald, aus dem das Klopfen eines Spechtes ertönte, — vor ihm die Wieſe, über deren langes Gras rothe Abendlichter wogten, — drüben den ſtillen Garten, aus deſſen grünem Revier Melittas graues Schloß hervorragte — ſeit vielen, vielen Jahren; — als habe er Melitta ſelbſt in ſeinem früheren Leben oft geſehen, als Knabe ſchon, wenn er ſich recht tief in ein ſchönes, lauſchiges Mährchen hin¬ eingeleſen hatte, ſo daß zuletzt die holde Prinzeſſin or¬ dentlich leibhaftig vor ihm ſtand . . . und auch Melitta mußte Aehnliches empfinden, denn vollkommen unbe¬
13*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0205"n="195"/><p>„Unter ſolchen Umſtänden wäre es eine Kunſt, nicht<lb/>ſtark zu ſein,“ antwortete er.</p><lb/><p>„Aber angegriffen hat es Sie doch, geſtehen Sie<lb/>
es nur. Kommen Sie und ſetzen Sie ſich zu mir;<lb/>
auf dieſem Moosſopha iſt Platz für mehr als zwei.“</p><lb/><p>Oswald ließ ſich neben Melitta, die ſich an den<lb/>
Stamm der Buche lehnte, in das weiche Moos ſinken,<lb/>ſtützte den Kopf auf den Arm und ſchaute ſinnend em¬<lb/>
por in ihr heiteres Antlitz. — Nahte ſich der Traum<lb/>
am Sumpfesrand der Erfüllung? wird ſich das liebe,<lb/>
holde Geſicht zu ihm niederbeugen und ihn küſſen, wie<lb/>
die Traumgeſtalt? Oder iſt dies wieder nur ein Traum?<lb/>
. . . Es überkam Oswald das wunderliche Gefühl, als<lb/>
habe er dies Alles ſchon einmal erlebt; als kennte er<lb/>
dieſen Platz: hier den dunkeln Hochwald, aus dem das<lb/>
Klopfen eines Spechtes ertönte, — vor ihm die Wieſe,<lb/>
über deren langes Gras rothe Abendlichter wogten, —<lb/>
drüben den ſtillen Garten, aus deſſen grünem Revier<lb/>
Melittas graues Schloß hervorragte —ſeit vielen,<lb/>
vielen Jahren; — als habe er Melitta ſelbſt in ſeinem<lb/>
früheren Leben oft geſehen, als Knabe ſchon, wenn er<lb/>ſich recht tief in ein ſchönes, lauſchiges Mährchen hin¬<lb/>
eingeleſen hatte, ſo daß zuletzt die holde Prinzeſſin or¬<lb/>
dentlich leibhaftig vor ihm ſtand . . . und auch Melitta<lb/>
mußte Aehnliches empfinden, denn vollkommen unbe¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[195/0205]
„Unter ſolchen Umſtänden wäre es eine Kunſt, nicht
ſtark zu ſein,“ antwortete er.
„Aber angegriffen hat es Sie doch, geſtehen Sie
es nur. Kommen Sie und ſetzen Sie ſich zu mir;
auf dieſem Moosſopha iſt Platz für mehr als zwei.“
Oswald ließ ſich neben Melitta, die ſich an den
Stamm der Buche lehnte, in das weiche Moos ſinken,
ſtützte den Kopf auf den Arm und ſchaute ſinnend em¬
por in ihr heiteres Antlitz. — Nahte ſich der Traum
am Sumpfesrand der Erfüllung? wird ſich das liebe,
holde Geſicht zu ihm niederbeugen und ihn küſſen, wie
die Traumgeſtalt? Oder iſt dies wieder nur ein Traum?
. . . Es überkam Oswald das wunderliche Gefühl, als
habe er dies Alles ſchon einmal erlebt; als kennte er
dieſen Platz: hier den dunkeln Hochwald, aus dem das
Klopfen eines Spechtes ertönte, — vor ihm die Wieſe,
über deren langes Gras rothe Abendlichter wogten, —
drüben den ſtillen Garten, aus deſſen grünem Revier
Melittas graues Schloß hervorragte — ſeit vielen,
vielen Jahren; — als habe er Melitta ſelbſt in ſeinem
früheren Leben oft geſehen, als Knabe ſchon, wenn er
ſich recht tief in ein ſchönes, lauſchiges Mährchen hin¬
eingeleſen hatte, ſo daß zuletzt die holde Prinzeſſin or¬
dentlich leibhaftig vor ihm ſtand . . . und auch Melitta
mußte Aehnliches empfinden, denn vollkommen unbe¬
13*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/205>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.