Einfälle streifen. Vor sechs Jahren kam die Isabel zum ersten Male in unsere Gegend. Sie war damals vielleicht zwanzig Jahre -- vielleicht, denn genau weiß sie es selbst nicht. Ihr Kind, die Ezika, war vier Jahre alt; das wußte sie, denn es war wirklich ihr eigenes Kind und keine gestohlene Prinzessin oder der¬ gleichen."
"Woher wissen Sie das?"
"Aus der frappanten Aehnlichkeit zwischen Mutter und Kind, die Ihnen doch auch aufgefallen sein muß. Beide waren damals bildschön, so schön, wie ich nie wieder etwas gesehen habe. Ich glaube kein Mensch hätte ungerührt bleiben können bei dem Anblick dieser so jugendlichen Mutter mit ihrem prächtigen Kinde, das in seiner wunderlichen Tracht und seinen üppigen dunklen Locken so gut für einen Knaben wie für ein Mädchen gelten konnte. Ich habe nur auf Murillo's Sonne-getränkten, Leidenschaft-durchglühten Bildern später etwas Aehnliches gesehen. Ich, die ich die Schwäche habe, mich auf malerische Schönheit ver¬ stehen zu wollen, und selbst ein wenig in dieser herr¬ lichen Kunst pfusche, zeichnete und malte damals vom Morgen bis in den Abend Zigeunerköpfe. Ich vergaß nämlich zu sagen, daß ich die Beiden ein paar Tage lang hier in Berkow festhielt. Zufällig mußte ich da¬
Einfälle ſtreifen. Vor ſechs Jahren kam die Iſabel zum erſten Male in unſere Gegend. Sie war damals vielleicht zwanzig Jahre — vielleicht, denn genau weiß ſie es ſelbſt nicht. Ihr Kind, die Ezika, war vier Jahre alt; das wußte ſie, denn es war wirklich ihr eigenes Kind und keine geſtohlene Prinzeſſin oder der¬ gleichen.“
„Woher wiſſen Sie das?“
„Aus der frappanten Aehnlichkeit zwiſchen Mutter und Kind, die Ihnen doch auch aufgefallen ſein muß. Beide waren damals bildſchön, ſo ſchön, wie ich nie wieder etwas geſehen habe. Ich glaube kein Menſch hätte ungerührt bleiben können bei dem Anblick dieſer ſo jugendlichen Mutter mit ihrem prächtigen Kinde, das in ſeiner wunderlichen Tracht und ſeinen üppigen dunklen Locken ſo gut für einen Knaben wie für ein Mädchen gelten konnte. Ich habe nur auf Murillo's Sonne-getränkten, Leidenſchaft-durchglühten Bildern ſpäter etwas Aehnliches geſehen. Ich, die ich die Schwäche habe, mich auf maleriſche Schönheit ver¬ ſtehen zu wollen, und ſelbſt ein wenig in dieſer herr¬ lichen Kunſt pfuſche, zeichnete und malte damals vom Morgen bis in den Abend Zigeunerköpfe. Ich vergaß nämlich zu ſagen, daß ich die Beiden ein paar Tage lang hier in Berkow feſthielt. Zufällig mußte ich da¬
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Einfälle ſtreifen. Vor ſechs Jahren kam die Iſabel
zum erſten Male in unſere Gegend. Sie war damals
vielleicht zwanzig Jahre — vielleicht, denn genau weiß
ſie es ſelbſt nicht. Ihr Kind, die Ezika, war vier
Jahre alt; das wußte ſie, denn es war wirklich ihr
eigenes Kind und keine geſtohlene Prinzeſſin oder der¬
gleichen.“
„Woher wiſſen Sie das?“
„Aus der frappanten Aehnlichkeit zwiſchen Mutter
und Kind, die Ihnen doch auch aufgefallen ſein muß.
Beide waren damals bildſchön, ſo ſchön, wie ich nie
wieder etwas geſehen habe. Ich glaube kein Menſch
hätte ungerührt bleiben können bei dem Anblick dieſer
ſo jugendlichen Mutter mit ihrem prächtigen Kinde,
das in ſeiner wunderlichen Tracht und ſeinen üppigen
dunklen Locken ſo gut für einen Knaben wie für ein
Mädchen gelten konnte. Ich habe nur auf Murillo's
Sonne-getränkten, Leidenſchaft-durchglühten Bildern
ſpäter etwas Aehnliches geſehen. Ich, die ich die
Schwäche habe, mich auf maleriſche Schönheit ver¬
ſtehen zu wollen, und ſelbſt ein wenig in dieſer herr¬
lichen Kunſt pfuſche, zeichnete und malte damals vom
Morgen bis in den Abend Zigeunerköpfe. Ich vergaß
nämlich zu ſagen, daß ich die Beiden ein paar Tage
lang hier in Berkow feſthielt. Zufällig mußte ich da¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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