Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861.Gleich Richard von der Normandie, Fürcht' sich mein Held im Leben nie, Wem bangte nicht, sobald er schrie: Kikriki! "Das ist naiv!" sagte Oswald. "Nicht wahr?" sagte Primula. Am späten Abend schwärmt er nie, Doch munter ist er Morgens früh, Drum haßt ihn auch das faule Vieh. Kikriki! Für's Liebchen scheut er keine Müh', Bald kratzt er dort, bald kratz er hie, Und fand er was, so ruft er sie: Kikriki! Und ist mein Held auch kein Genie, Und sein Gesang nicht Poesie, So stimmt mich doch, ich weiß nicht wie, Sein kikriki! "Nun was sagen Sie, lieber Freund?" "Was soll ich sagen," erwiderte Oswald, "als daß Gleich Richard von der Normandie, Fürcht' ſich mein Held im Leben nie, Wem bangte nicht, ſobald er ſchrie: Kikriki! „Das iſt naiv!“ ſagte Oswald. „Nicht wahr?“ ſagte Primula. Am ſpäten Abend ſchwärmt er nie, Doch munter iſt er Morgens früh, Drum haßt ihn auch das faule Vieh. Kikriki! Für's Liebchen ſcheut er keine Müh', Bald kratzt er dort, bald kratz er hie, Und fand er was, ſo ruft er ſie: Kikriki! Und iſt mein Held auch kein Genie, Und ſein Geſang nicht Poeſie, So ſtimmt mich doch, ich weiß nicht wie, Sein kikriki! „Nun was ſagen Sie, lieber Freund?“ „Was ſoll ich ſagen,“ erwiderte Oswald, „als daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0136" n="126"/> <lg type="poem"> <l>Gleich Richard von der Normandie,</l><lb/> <l>Fürcht' ſich mein Held im Leben nie,</l><lb/> <l>Wem bangte nicht, ſobald er ſchrie:</l><lb/> <l rendition="#c">Kikriki!</l><lb/> </lg> <p>„Das iſt naiv!“ ſagte Oswald.<lb/></p> <p>„Nicht wahr?“ ſagte Primula.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Am ſpäten Abend ſchwärmt er nie,</l><lb/> <l>Doch munter iſt er Morgens früh,</l><lb/> <l>Drum haßt ihn auch das faule Vieh.</l><lb/> <l rendition="#c">Kikriki!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Für's Liebchen ſcheut er keine Müh',</l><lb/> <l>Bald kratzt er dort, bald kratz er hie,</l><lb/> <l>Und fand er was, ſo ruft er ſie:</l><lb/> <l rendition="#c">Kikriki!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und iſt mein Held auch kein Genie,</l><lb/> <l>Und ſein Geſang nicht Poeſie,</l><lb/> <l>So ſtimmt mich doch, ich weiß nicht wie,</l><lb/> <l rendition="#c">Sein kikriki!</l><lb/> </lg> </lg> <p>„Nun was ſagen Sie, lieber Freund?“</p><lb/> <p>„Was ſoll ich ſagen,“ erwiderte Oswald, „als daß<lb/> Sie Ihre Abſicht vollkommen erreicht haben. Der<lb/> Hörer glaubt ſich auf den Hühnerhof verſetzt. Die<lb/> Töne, die Sie hier anſchlagen, ſind wahre Naturtöne,<lb/> aus dem Herzen der Dinge heraus. Das Gedicht<lb/> iſt ein kleines Meiſterſtück im modern realiſtiſchen Ge¬<lb/> ſchmack. Aber jetzt, verehrte Frau, eine Bitte: Wie<lb/> ſehr es den Werth der Gedichte auch erhöht, ſie aus<lb/> dem wohllautenden Munde der Dichterin zu hören —<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [126/0136]
Gleich Richard von der Normandie,
Fürcht' ſich mein Held im Leben nie,
Wem bangte nicht, ſobald er ſchrie:
Kikriki!
„Das iſt naiv!“ ſagte Oswald.
„Nicht wahr?“ ſagte Primula.
Am ſpäten Abend ſchwärmt er nie,
Doch munter iſt er Morgens früh,
Drum haßt ihn auch das faule Vieh.
Kikriki!
Für's Liebchen ſcheut er keine Müh',
Bald kratzt er dort, bald kratz er hie,
Und fand er was, ſo ruft er ſie:
Kikriki!
Und iſt mein Held auch kein Genie,
Und ſein Geſang nicht Poeſie,
So ſtimmt mich doch, ich weiß nicht wie,
Sein kikriki!
„Nun was ſagen Sie, lieber Freund?“
„Was ſoll ich ſagen,“ erwiderte Oswald, „als daß
Sie Ihre Abſicht vollkommen erreicht haben. Der
Hörer glaubt ſich auf den Hühnerhof verſetzt. Die
Töne, die Sie hier anſchlagen, ſind wahre Naturtöne,
aus dem Herzen der Dinge heraus. Das Gedicht
iſt ein kleines Meiſterſtück im modern realiſtiſchen Ge¬
ſchmack. Aber jetzt, verehrte Frau, eine Bitte: Wie
ſehr es den Werth der Gedichte auch erhöht, ſie aus
dem wohllautenden Munde der Dichterin zu hören —
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