durch Jugendreiz sich nicht eben ausgezeichnet haben könne, und wunderte sich auch nun nicht länger darüber daß der Tisch so klein und das Haus so still war. Die Frau Doctor kannte den Professor Berger, sie kannte mehre Familien, in denen Oswald eingeführt war. Das gab denn überreichen Stoff zu dem landes¬ üblichen Familienklatsch, bei welchem einige Damen, die ihrer Zeit der verblühten Superintendententochter zu nahe getreten sein mochten, erfahren konnten, welche zweischneidige Waffe die Zunge einer Landpastorin unter Umständen ist.
Unterdessen war der Nachtisch aufgetragen, und der Pastor hatte, nicht ohne einige Feierlichkeit eine zweite Flasche entkorkt, die Pastorin aber den Tisch verlassen, um anzuordnen, daß der Kaffee heute in der Garten¬ laube servirt werde. Der Pastor hatte sich eine Ci¬ garre angezündet, einen Knopf an seiner schwarzen Weste aufgemacht, augenscheinlich nur in der Absicht, sich in der Illusion, ein sybaritisches Mahl eingenom¬ men zu haben, zu bestärken -- denn die Weste saß schon schlotterig genug auf seinem hagern Leibe. Er forderte Oswald auf, mit ihm "auf das Wohl der hoch¬ mögenden Familie, in welcher er sich zu befinden das Glück habe," anzustoßen, eine Höflichkeit, die Oswald
durch Jugendreiz ſich nicht eben ausgezeichnet haben könne, und wunderte ſich auch nun nicht länger darüber daß der Tiſch ſo klein und das Haus ſo ſtill war. Die Frau Doctor kannte den Profeſſor Berger, ſie kannte mehre Familien, in denen Oswald eingeführt war. Das gab denn überreichen Stoff zu dem landes¬ üblichen Familienklatſch, bei welchem einige Damen, die ihrer Zeit der verblühten Superintendententochter zu nahe getreten ſein mochten, erfahren konnten, welche zweiſchneidige Waffe die Zunge einer Landpaſtorin unter Umſtänden iſt.
Unterdeſſen war der Nachtiſch aufgetragen, und der Paſtor hatte, nicht ohne einige Feierlichkeit eine zweite Flaſche entkorkt, die Paſtorin aber den Tiſch verlaſſen, um anzuordnen, daß der Kaffee heute in der Garten¬ laube ſervirt werde. Der Paſtor hatte ſich eine Ci¬ garre angezündet, einen Knopf an ſeiner ſchwarzen Weſte aufgemacht, augenſcheinlich nur in der Abſicht, ſich in der Illuſion, ein ſybaritiſches Mahl eingenom¬ men zu haben, zu beſtärken — denn die Weſte ſaß ſchon ſchlotterig genug auf ſeinem hagern Leibe. Er forderte Oswald auf, mit ihm „auf das Wohl der hoch¬ mögenden Familie, in welcher er ſich zu befinden das Glück habe,“ anzuſtoßen, eine Höflichkeit, die Oswald
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durch Jugendreiz ſich nicht eben ausgezeichnet haben
könne, und wunderte ſich auch nun nicht länger darüber
daß der Tiſch ſo klein und das Haus ſo ſtill war.
Die Frau Doctor kannte den Profeſſor Berger, ſie
kannte mehre Familien, in denen Oswald eingeführt
war. Das gab denn überreichen Stoff zu dem landes¬
üblichen Familienklatſch, bei welchem einige Damen,
die ihrer Zeit der verblühten Superintendententochter
zu nahe getreten ſein mochten, erfahren konnten, welche
zweiſchneidige Waffe die Zunge einer Landpaſtorin unter
Umſtänden iſt.
Unterdeſſen war der Nachtiſch aufgetragen, und der
Paſtor hatte, nicht ohne einige Feierlichkeit eine zweite
Flaſche entkorkt, die Paſtorin aber den Tiſch verlaſſen,
um anzuordnen, daß der Kaffee heute in der Garten¬
laube ſervirt werde. Der Paſtor hatte ſich eine Ci¬
garre angezündet, einen Knopf an ſeiner ſchwarzen
Weſte aufgemacht, augenſcheinlich nur in der Abſicht,
ſich in der Illuſion, ein ſybaritiſches Mahl eingenom¬
men zu haben, zu beſtärken — denn die Weſte ſaß
ſchon ſchlotterig genug auf ſeinem hagern Leibe. Er
forderte Oswald auf, mit ihm „auf das Wohl der hoch¬
mögenden Familie, in welcher er ſich zu befinden das
Glück habe,“ anzuſtoßen, eine Höflichkeit, die Oswald
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/127>, abgerufen am 26.11.2024.
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