"Sollte sie wohl im Stande sein, die zu verstehen?" bemerkte Oswald.
Der Pfarrer sah Oswald wieder mit jenem eigen¬ thümlichen Blick über die Brillengläser an, als müsse er sich den Mann genauer betrachten, der den Muth hatte, eine Ansicht, welcher er im Stillen vollkommen beipflichtete, so ungenirt laut werden zu lassen. Er benügte sich indessen damit, die Mundwinkel herunter und die Schultern und Augenbrauen in die Höhe zu ziehen, eine Gebehrdensprache, die sich sein Besuch nach Belieben in: "Alles Schwindel, lieber Freund!" oder: "die Fähigkeiten dieser Frau sind incommensurabel" übersetzen konnte.
"Freilich," fuhr er fort, "Grünwald werden Sie vermissen; zumal den Umgang eines Mannes von einer so umfassenden Gelehrsamkeit, wie der Professor Berger. Aber geht es mir denn anders? Auch ich kann sagen: Barbarus hic ego sum, quia non intelligor ulli. Ich gelte hier für einen Sonderling, weil Niemand mich versteht. Unsre Gutsbesitzer sind ohne Zweifel treffliche, würdige, gottesfürchtige und treu-königlich ge¬ sinnte Männer; aber, im Vertrauen, die Bildung, ich meine natürlich nur die gelehrte, ist arg vernachlässigt. Ja, wenn die Herren sich in ihrer Jugend des un¬
„Sollte ſie wohl im Stande ſein, die zu verſtehen?“ bemerkte Oswald.
Der Pfarrer ſah Oswald wieder mit jenem eigen¬ thümlichen Blick über die Brillengläſer an, als müſſe er ſich den Mann genauer betrachten, der den Muth hatte, eine Anſicht, welcher er im Stillen vollkommen beipflichtete, ſo ungenirt laut werden zu laſſen. Er benügte ſich indeſſen damit, die Mundwinkel herunter und die Schultern und Augenbrauen in die Höhe zu ziehen, eine Gebehrdenſprache, die ſich ſein Beſuch nach Belieben in: „Alles Schwindel, lieber Freund!“ oder: „die Fähigkeiten dieſer Frau ſind incommenſurabel“ überſetzen konnte.
„Freilich,“ fuhr er fort, „Grünwald werden Sie vermiſſen; zumal den Umgang eines Mannes von einer ſo umfaſſenden Gelehrſamkeit, wie der Profeſſor Berger. Aber geht es mir denn anders? Auch ich kann ſagen: Barbarus hic ego sum, quia non intelligor ulli. Ich gelte hier für einen Sonderling, weil Niemand mich verſteht. Unſre Gutsbeſitzer ſind ohne Zweifel treffliche, würdige, gottesfürchtige und treu-königlich ge¬ ſinnte Männer; aber, im Vertrauen, die Bildung, ich meine natürlich nur die gelehrte, iſt arg vernachläſſigt. Ja, wenn die Herren ſich in ihrer Jugend des un¬
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„Sollte ſie wohl im Stande ſein, die zu verſtehen?“
bemerkte Oswald.
Der Pfarrer ſah Oswald wieder mit jenem eigen¬
thümlichen Blick über die Brillengläſer an, als müſſe
er ſich den Mann genauer betrachten, der den Muth
hatte, eine Anſicht, welcher er im Stillen vollkommen
beipflichtete, ſo ungenirt laut werden zu laſſen. Er
benügte ſich indeſſen damit, die Mundwinkel herunter
und die Schultern und Augenbrauen in die Höhe zu
ziehen, eine Gebehrdenſprache, die ſich ſein Beſuch nach
Belieben in: „Alles Schwindel, lieber Freund!“ oder:
„die Fähigkeiten dieſer Frau ſind incommenſurabel“
überſetzen konnte.
„Freilich,“ fuhr er fort, „Grünwald werden Sie
vermiſſen; zumal den Umgang eines Mannes von einer
ſo umfaſſenden Gelehrſamkeit, wie der Profeſſor Berger.
Aber geht es mir denn anders? Auch ich kann ſagen:
Barbarus hic ego sum, quia non intelligor ulli.
Ich gelte hier für einen Sonderling, weil Niemand
mich verſteht. Unſre Gutsbeſitzer ſind ohne Zweifel
treffliche, würdige, gottesfürchtige und treu-königlich ge¬
ſinnte Männer; aber, im Vertrauen, die Bildung, ich
meine natürlich nur die gelehrte, iſt arg vernachläſſigt.
Ja, wenn die Herren ſich in ihrer Jugend des un¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/115>, abgerufen am 27.11.2024.
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