gelehrten Missionär und einem Stamme gutmüthiger wilder Menschen. Auch schien der Prediger selbst, ein kleiner, schmächtiger Mann von etwa vierzig Jahren mit einem durch trockene Studien ausgetrockneten Ge¬ sicht, dies recht wohl zu empfinden; denn er war Os¬ walds, in welchem er natürlich sofort den vielbespro¬ chenen neuen Hauslehrer von Grenwitz erkannte, kaum ansichtig geworden, als er seinen Vortrag hauptsächlich an ihn zu richten begann, als an den Einzigen, der im Stande sei, den Werth der gelehrten Perlen zu würdigen, die ihn hier, vor ungebildetes Rüsselvieh zu werfen, ein unverständiges Consistorium nöthigte.
"O, meine andächtigen Zuhörer," rief er, die be¬ brillten Augen auf Oswald richtend, der sich, so gut es gehen wollte, hinter dem blonden Lockenkopf ver¬ steckte, "o meine andächtigen Zuhörer, ihr sehet, ein wie schwaches Ding diesen ungeheuren Fragen gegen¬ über die menschliche Vernunft ist. Und dennoch, den¬ noch, Vielgeliebte, giebt es irrende Brüder und Schwe¬ stern, die noch immer dem Nachtlicht ihrer eitlen Ver¬ nunft vertrauen, nachdem schon längst auch für sie die Sonne aufgegangen ist. O ja! dieses Stümpfchen ihrer Unschlittkerze mag ihnen hell genug erscheinen in den Tagen der gedankenlosen Jugend, den Tagen des Festes, der Herrlichkeit und der Freude; aber nicht also in
F. Spielhagen, Problematische Naturen. I. 7
gelehrten Miſſionär und einem Stamme gutmüthiger wilder Menſchen. Auch ſchien der Prediger ſelbſt, ein kleiner, ſchmächtiger Mann von etwa vierzig Jahren mit einem durch trockene Studien ausgetrockneten Ge¬ ſicht, dies recht wohl zu empfinden; denn er war Os¬ walds, in welchem er natürlich ſofort den vielbeſpro¬ chenen neuen Hauslehrer von Grenwitz erkannte, kaum anſichtig geworden, als er ſeinen Vortrag hauptſächlich an ihn zu richten begann, als an den Einzigen, der im Stande ſei, den Werth der gelehrten Perlen zu würdigen, die ihn hier, vor ungebildetes Rüſſelvieh zu werfen, ein unverſtändiges Conſiſtorium nöthigte.
„O, meine andächtigen Zuhörer,“ rief er, die be¬ brillten Augen auf Oswald richtend, der ſich, ſo gut es gehen wollte, hinter dem blonden Lockenkopf ver¬ ſteckte, „o meine andächtigen Zuhörer, ihr ſehet, ein wie ſchwaches Ding dieſen ungeheuren Fragen gegen¬ über die menſchliche Vernunft iſt. Und dennoch, den¬ noch‚ Vielgeliebte, giebt es irrende Brüder und Schwe¬ ſtern, die noch immer dem Nachtlicht ihrer eitlen Ver¬ nunft vertrauen, nachdem ſchon längſt auch für ſie die Sonne aufgegangen iſt. O ja! dieſes Stümpfchen ihrer Unſchlittkerze mag ihnen hell genug erſcheinen in den Tagen der gedankenloſen Jugend, den Tagen des Feſtes, der Herrlichkeit und der Freude; aber nicht alſo in
F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. I. 7
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gelehrten Miſſionär und einem Stamme gutmüthiger
wilder Menſchen. Auch ſchien der Prediger ſelbſt, ein
kleiner, ſchmächtiger Mann von etwa vierzig Jahren
mit einem durch trockene Studien ausgetrockneten Ge¬
ſicht, dies recht wohl zu empfinden; denn er war Os¬
walds, in welchem er natürlich ſofort den vielbeſpro¬
chenen neuen Hauslehrer von Grenwitz erkannte, kaum
anſichtig geworden, als er ſeinen Vortrag hauptſächlich
an ihn zu richten begann, als an den Einzigen, der
im Stande ſei, den Werth der gelehrten Perlen zu
würdigen, die ihn hier, vor ungebildetes Rüſſelvieh zu
werfen, ein unverſtändiges Conſiſtorium nöthigte.
„O, meine andächtigen Zuhörer,“ rief er, die be¬
brillten Augen auf Oswald richtend, der ſich, ſo gut
es gehen wollte, hinter dem blonden Lockenkopf ver¬
ſteckte, „o meine andächtigen Zuhörer, ihr ſehet, ein
wie ſchwaches Ding dieſen ungeheuren Fragen gegen¬
über die menſchliche Vernunft iſt. Und dennoch, den¬
noch‚ Vielgeliebte, giebt es irrende Brüder und Schwe¬
ſtern, die noch immer dem Nachtlicht ihrer eitlen Ver¬
nunft vertrauen, nachdem ſchon längſt auch für ſie die
Sonne aufgegangen iſt. O ja! dieſes Stümpfchen ihrer
Unſchlittkerze mag ihnen hell genug erſcheinen in den
Tagen der gedankenloſen Jugend, den Tagen des Feſtes,
der Herrlichkeit und der Freude; aber nicht alſo in
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 1. Berlin, 1861, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische01_1861/107>, abgerufen am 28.11.2024.
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