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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XV.
gleichem fleiß auf beyden zu legen nicht möglich wäre, ich eher mit hindanse-
tzung der Hebreischen auf das Griechische treiben würde. Weil wir zwar
auch einen unschätzbaren schatz der göttlichen wahrheit in dem alten Testa-
ment finden, aber uns in dem neuen Testament die grund-lehren, und was
uns das allernöthigste ist, undisputirlich offenbarer und deutlicher vorgele-
get werden: Daher wer in der gemeinde GOttes einen lehrer abgeben solle,
zum allerfordersten sich in diesem meistens gründen, aber wo er so viel gewin-
nen kan, auch des andern nicht vergessen solle.
7. Was die musicalische Hebreische sprüche anlangt, conformire ich
mich fast allerdings der oben allegirten meinung eines guten freundes: kön-
te zu einem verleger nicht die wenigste hoffnung machen. Und weil allezeit
in einem stück gantz wenige worte vorkommen, ob man solche in die gedächt-
nüß brächte, sorgte ich, daß es die mühe nicht wohl belohnen, sondern leichter
werden solte, die blosse wort zu memoriren. Dieses aber halte ich vor eine
arbeit, die des fleisses der Music verständiger leute, welche ohn verabsäumung
anderer nöthiger dinge dazu zeit finden möchten, würdig wäre, ob man et-
was von der alten der Hebräer music, auf welche die psalmen, und et-
wa andere in der schrifft befindliche lieder gemacht worden, und sich
zweiffel frey auf das nachtrücklichste schicken, wieder hervor bringen kön-
te. Da möchte manches etwa fast anfangen lebendiger zu lauten, so itzt
bey der unwissenheit des metri und melodie nicht recht zu klappen schei-
net.
8. Jch komme nun auf die gebet in der original-sprach. Wo ich
zum fördersten dieses insgesamt zur auferbauung sehr dienlich achte, auch in
allen gebets-formulen sich der worte, welcher sich die schrifft bedienet, in un-
sern verständlichen sprachen, viel zu bedienen, die ich von nicht weniger
krafft zu seyn halte. Jch wolte auch nicht zweiffeln, wem die original-
sprachen also bekant wären wie seine mutter-sprach, daß er ohne vieles acht-
geben und nachsinnen der wort in dem gebet mit GOTT zu handlen ver-
möchte, daß alsdann das nechste bleiben bey den worten des texts so viel-
mehr bewegung und andacht in dem hertzen erwecken möchte. Wie es aber
bey uns insgemein, wo wir fast am weitesten in der sprach gekommen sind,
hergehet, daß wir solcher sprachen gleichwol nicht so mächtig werden,
daß nicht immer in dem reden derselben, eine ziemliche attention erst auf
die wort, dero formation und construction, geschlagen werden muß, so
bekenne ich gern, daß ich sorge, es werde die andacht durch solche aufs wenig-
ste uns ungemeinere sprachen mehr geschlagen als entzündet und befordert
werden. Jch bin der lateinischen sprach von jugend auf ziemlich gewohnet,
und darinnen etwa vor deme so viel geübt gewesen, wegen der stätigen hal-
ten-
IV. Theil. l
ARTIC. I. SECTIO XV.
gleichem fleiß auf beyden zu legen nicht moͤglich waͤre, ich eher mit hindanſe-
tzung der Hebreiſchen auf das Griechiſche treiben wuͤrde. Weil wir zwar
auch einen unſchaͤtzbaren ſchatz der goͤttlichen wahrheit in dem alten Teſta-
ment finden, aber uns in dem neuen Teſtament die grund-lehren, und was
uns das allernoͤthigſte iſt, undiſputirlich offenbarer und deutlicher vorgele-
get werden: Daher wer in der gemeinde GOttes einen lehrer abgeben ſolle,
zum allerforderſten ſich in dieſem meiſtens gruͤnden, aber wo er ſo viel gewin-
nen kan, auch des andern nicht vergeſſen ſolle.
7. Was die muſicaliſche Hebreiſche ſpruͤche anlangt, conformire ich
mich faſt allerdings der oben allegirten meinung eines guten freundes: koͤn-
te zu einem verleger nicht die wenigſte hoffnung machen. Und weil allezeit
in einem ſtuͤck gantz wenige worte vorkommen, ob man ſolche in die gedaͤcht-
nuͤß braͤchte, ſorgte ich, daß es die muͤhe nicht wohl belohnen, ſondern leichter
werden ſolte, die bloſſe wort zu memoriren. Dieſes aber halte ich vor eine
arbeit, die des fleiſſes der Muſic verſtaͤndiger leute, welche ohn verabſaͤumung
anderer noͤthiger dinge dazu zeit finden moͤchten, wuͤrdig waͤre, ob man et-
was von der alten der Hebraͤer muſic, auf welche die pſalmen, und et-
wa andere in der ſchrifft befindliche lieder gemacht worden, und ſich
zweiffel frey auf das nachtruͤcklichſte ſchicken, wieder hervor bringen koͤn-
te. Da moͤchte manches etwa faſt anfangen lebendiger zu lauten, ſo itzt
bey der unwiſſenheit des metri und melodie nicht recht zu klappen ſchei-
net.
8. Jch komme nun auf die gebet in der original-ſprach. Wo ich
zum foͤrderſten dieſes insgeſamt zur auferbauung ſehr dienlich achte, auch in
allen gebets-formulen ſich der worte, welcher ſich die ſchrifft bedienet, in un-
ſern verſtaͤndlichen ſprachen, viel zu bedienen, die ich von nicht weniger
krafft zu ſeyn halte. Jch wolte auch nicht zweiffeln, wem die original-
ſprachen alſo bekant waͤren wie ſeine mutter-ſprach, daß er ohne vieles acht-
geben und nachſinnen der wort in dem gebet mit GOTT zu handlen ver-
moͤchte, daß alsdann das nechſte bleiben bey den worten des texts ſo viel-
mehr bewegung und andacht in dem hertzen erwecken moͤchte. Wie es aber
bey uns insgemein, wo wir faſt am weiteſten in der ſprach gekommen ſind,
hergehet, daß wir ſolcher ſprachen gleichwol nicht ſo maͤchtig werden,
daß nicht immer in dem reden derſelben, eine ziemliche attention erſt auf
die wort, dero formation und conſtruction, geſchlagen werden muß, ſo
bekenne ich gern, daß ich ſorge, es werde die andacht durch ſolche aufs wenig-
ſte uns ungemeinere ſprachen mehr geſchlagen als entzuͤndet und befordert
werden. Jch bin der lateiniſchen ſprach von jugend auf ziemlich gewohnet,
und darinnen etwa vor deme ſo viel geuͤbt geweſen, wegen der ſtaͤtigen hal-
ten-
IV. Theil. l
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[81/0093] ARTIC. I. SECTIO XV. gleichem fleiß auf beyden zu legen nicht moͤglich waͤre, ich eher mit hindanſe- tzung der Hebreiſchen auf das Griechiſche treiben wuͤrde. Weil wir zwar auch einen unſchaͤtzbaren ſchatz der goͤttlichen wahrheit in dem alten Teſta- ment finden, aber uns in dem neuen Teſtament die grund-lehren, und was uns das allernoͤthigſte iſt, undiſputirlich offenbarer und deutlicher vorgele- get werden: Daher wer in der gemeinde GOttes einen lehrer abgeben ſolle, zum allerforderſten ſich in dieſem meiſtens gruͤnden, aber wo er ſo viel gewin- nen kan, auch des andern nicht vergeſſen ſolle. 7. Was die muſicaliſche Hebreiſche ſpruͤche anlangt, conformire ich mich faſt allerdings der oben allegirten meinung eines guten freundes: koͤn- te zu einem verleger nicht die wenigſte hoffnung machen. Und weil allezeit in einem ſtuͤck gantz wenige worte vorkommen, ob man ſolche in die gedaͤcht- nuͤß braͤchte, ſorgte ich, daß es die muͤhe nicht wohl belohnen, ſondern leichter werden ſolte, die bloſſe wort zu memoriren. Dieſes aber halte ich vor eine arbeit, die des fleiſſes der Muſic verſtaͤndiger leute, welche ohn verabſaͤumung anderer noͤthiger dinge dazu zeit finden moͤchten, wuͤrdig waͤre, ob man et- was von der alten der Hebraͤer muſic, auf welche die pſalmen, und et- wa andere in der ſchrifft befindliche lieder gemacht worden, und ſich zweiffel frey auf das nachtruͤcklichſte ſchicken, wieder hervor bringen koͤn- te. Da moͤchte manches etwa faſt anfangen lebendiger zu lauten, ſo itzt bey der unwiſſenheit des metri und melodie nicht recht zu klappen ſchei- net. 8. Jch komme nun auf die gebet in der original-ſprach. Wo ich zum foͤrderſten dieſes insgeſamt zur auferbauung ſehr dienlich achte, auch in allen gebets-formulen ſich der worte, welcher ſich die ſchrifft bedienet, in un- ſern verſtaͤndlichen ſprachen, viel zu bedienen, die ich von nicht weniger krafft zu ſeyn halte. Jch wolte auch nicht zweiffeln, wem die original- ſprachen alſo bekant waͤren wie ſeine mutter-ſprach, daß er ohne vieles acht- geben und nachſinnen der wort in dem gebet mit GOTT zu handlen ver- moͤchte, daß alsdann das nechſte bleiben bey den worten des texts ſo viel- mehr bewegung und andacht in dem hertzen erwecken moͤchte. Wie es aber bey uns insgemein, wo wir faſt am weiteſten in der ſprach gekommen ſind, hergehet, daß wir ſolcher ſprachen gleichwol nicht ſo maͤchtig werden, daß nicht immer in dem reden derſelben, eine ziemliche attention erſt auf die wort, dero formation und conſtruction, geſchlagen werden muß, ſo bekenne ich gern, daß ich ſorge, es werde die andacht durch ſolche aufs wenig- ſte uns ungemeinere ſprachen mehr geſchlagen als entzuͤndet und befordert werden. Jch bin der lateiniſchen ſprach von jugend auf ziemlich gewohnet, und darinnen etwa vor deme ſo viel geuͤbt geweſen, wegen der ſtaͤtigen hal- ten- IV. Theil. l

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/93>, abgerufen am 22.11.2024.