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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. VI. SECTIO II.
sichtbare kirche, die nichts anders ist, als die menge dererjenigen, die sich zu dem
bund GOttes bekennen, und dahero GOttes gnaden-mittel noch eusserlich gebrau-
chen, gleichwol einen grossen vorzug vor allen andern hauffen in der gantzen welt,
nicht alleine wegen der unter denselben verborgenen wahren glieder der unsichtba-
ren kirchen (so zwar das vornehmste ist) sondern auch was ihre eusserliche gemein-
schafft anlanget wegen der noch übrigen gnaden-mitteln. Daher der HErr an ge-
dachten orten einen solchen acker mit weitzen und unkraut, das netz voll guter und
fauler fische, nicht nur etwa ein welt-reich, sondern das himmel-reich nennet, und
sind also alle ihre euserliche glieder in gewissen verstand bürger des himmel-reichs,
nicht zwar durch eine innerliche gemeinschafft der wahren geistlichen güter, dero sie
unfähig sind, sondern in einem ihnen zukommenden recht zu den euserlichen gnaden-
mitteln. Also obwol in dem alten bund nicht alle Jsraeliten der innern gnade GOt-
tes, gerechtigkeit des Messiae und des Heiligen Geistes theilhafftig gewesen, und
aus dem glauben selig worden sind, daher die krafft des bundes genossen haben; so
hatte doch ein jeder Jsraelite (als lange er den bund GOttes nicht öffentlich an
sich vernichtet hat, und von dem volcke ausgangen ist) oder auch wer sich von fremd-
lingen durch die beschneidung zu dem volcke gefüget, nicht allein die würde und na-
men ein glied des volcks GOttes zu seyn, sondern auch das recht zu allen eusserlichen
gnaden-gütern des A. T. zu opffern, passah, und dergleichen, GOtt ließ auch durch
seine diener immer an ihnen arbeiten, auf daß alle, die es nicht unfruchtbar an sich
lassen würden, auch zu der innerlichen gemeinschafft kommen möchten, ohne welche
der bund seinen letzten zweck an ihnen nicht erhielte.
IV. Ob ich nun zwischen der alten jüdischen kirchen und der christlichen neu-
en nicht eine völlige gleichheit mache, sondern wol weiß, daß in jener mehr eusserli-
ches, in dieser mehr geistliches, sich gefunden, so muß doch erkant werden, daß zu die-
ser zeit auch die christliche kirche eine analogi[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]m mit jener alten darinnen habe, und
also auch ihr vermischter zustand des namens des himmelreichs gewürdiget werde,
der nicht ein leerer name seyn kan; sondern einige rechte mit sich führen muß, die
auch denen zukommen, denen es am innerlichen mangelt, dermassen daß auch das
unkraut der pflege, die mit begiessen und auf andre weise dem weitzen wiederfähret,
und gemeine ist, mit geniesset, ob es wol daher nur desto mehr bösen Saamen trä-
get. Also ist wahrhafftig aller hauffen, der sich eusserlich zu der lehre CHristi be-
kennet, und der gnaden-mittel gebraucht, wahrhafftig die kirche CHristi, nicht
nach ihrer unsichtbaren art, sondern nach der eusserlichen verfassung, und hat an-
noch den vorzug vor andern hauffen, welchen das auch verderbteste volck Jsrael
hatte vor den heydnischen völckern: sie ist aber reiner und unreiner, nicht allein nach
der bewandnüsse der lehre, sondern auch der wenigern oder mehrern anzahl der in
dem eusserlichen hauffen befindlicher glieder der unsichtbaren kirchen.
V. Wo
IV. Theil. s s s s
ARTIC. VI. SECTIO II.
ſichtbare kirche, die nichts anders iſt, als die menge dererjenigen, die ſich zu dem
bund GOttes bekennen, und dahero GOttes gnaden-mittel noch euſſerlich gebrau-
chen, gleichwol einen groſſen vorzug vor allen andern hauffen in der gantzen welt,
nicht alleine wegen der unter denſelben verborgenen wahren glieder der unſichtba-
ren kirchen (ſo zwar das vornehmſte iſt) ſondern auch was ihre euſſerliche gemein-
ſchafft anlanget wegen der noch uͤbrigen gnaden-mitteln. Daher der HErr an ge-
dachten orten einen ſolchen acker mit weitzen und unkraut, das netz voll guter und
fauler fiſche, nicht nur etwa ein welt-reich, ſondern das himmel-reich nennet, und
ſind alſo alle ihre euſerliche glieder in gewiſſen verſtand buͤrger des himmel-reichs,
nicht zwar durch eine innerliche gemeinſchafft der wahren geiſtlichen guͤter, dero ſie
unfaͤhig ſind, ſondern in einem ihnen zukommenden recht zu den euſerlichen gnaden-
mitteln. Alſo obwol in dem alten bund nicht alle Jſraeliten der innern gnade GOt-
tes, gerechtigkeit des Meſſiæ und des Heiligen Geiſtes theilhafftig geweſen, und
aus dem glauben ſelig worden ſind, daher die krafft des bundes genoſſen haben; ſo
hatte doch ein jeder Jſraelite (als lange er den bund GOttes nicht oͤffentlich an
ſich vernichtet hat, und von dem volcke ausgangen iſt) oder auch wer ſich von fremd-
lingen durch die beſchneidung zu dem volcke gefuͤget, nicht allein die wuͤrde und na-
men ein glied des volcks GOttes zu ſeyn, ſondern auch das recht zu allen euſſerlichen
gnaden-guͤtern des A. T. zu opffern, paſſah, und dergleichen, GOtt ließ auch durch
ſeine diener immer an ihnen arbeiten, auf daß alle, die es nicht unfruchtbar an ſich
laſſen wuͤrden, auch zu der innerlichen gemeinſchafft kommen moͤchten, ohne welche
der bund ſeinen letzten zweck an ihnen nicht erhielte.
IV. Ob ich nun zwiſchen der alten juͤdiſchen kirchen und der chriſtlichen neu-
en nicht eine voͤllige gleichheit mache, ſondern wol weiß, daß in jener mehr euſſerli-
ches, in dieſer mehr geiſtliches, ſich gefunden, ſo muß doch erkant werden, daß zu die-
ſer zeit auch die chriſtliche kirche eine analogi[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]m mit jener alten darinnen habe, und
alſo auch ihr vermiſchter zuſtand des namens des himmelreichs gewuͤrdiget werde,
der nicht ein leerer name ſeyn kan; ſondern einige rechte mit ſich fuͤhren muß, die
auch denen zukommen, denen es am innerlichen mangelt, dermaſſen daß auch das
unkraut der pflege, die mit begieſſen und auf andre weiſe dem weitzen wiederfaͤhret,
und gemeine iſt, mit genieſſet, ob es wol daher nur deſto mehr boͤſen Saamen traͤ-
get. Alſo iſt wahrhafftig aller hauffen, der ſich euſſerlich zu der lehre CHriſti be-
kennet, und der gnaden-mittel gebraucht, wahrhafftig die kirche CHriſti, nicht
nach ihrer unſichtbaren art, ſondern nach der euſſerlichen verfaſſung, und hat an-
noch den vorzug vor andern hauffen, welchen das auch verderbteſte volck Jſrael
hatte vor den heydniſchen voͤlckern: ſie iſt aber reiner und unreiner, nicht allein nach
der bewandnuͤſſe der lehre, ſondern auch der wenigern oder mehrern anzahl der in
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IV. Theil. ſ ſ ſ ſ
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[689/0701] ARTIC. VI. SECTIO II. ſichtbare kirche, die nichts anders iſt, als die menge dererjenigen, die ſich zu dem bund GOttes bekennen, und dahero GOttes gnaden-mittel noch euſſerlich gebrau- chen, gleichwol einen groſſen vorzug vor allen andern hauffen in der gantzen welt, nicht alleine wegen der unter denſelben verborgenen wahren glieder der unſichtba- ren kirchen (ſo zwar das vornehmſte iſt) ſondern auch was ihre euſſerliche gemein- ſchafft anlanget wegen der noch uͤbrigen gnaden-mitteln. Daher der HErr an ge- dachten orten einen ſolchen acker mit weitzen und unkraut, das netz voll guter und fauler fiſche, nicht nur etwa ein welt-reich, ſondern das himmel-reich nennet, und ſind alſo alle ihre euſerliche glieder in gewiſſen verſtand buͤrger des himmel-reichs, nicht zwar durch eine innerliche gemeinſchafft der wahren geiſtlichen guͤter, dero ſie unfaͤhig ſind, ſondern in einem ihnen zukommenden recht zu den euſerlichen gnaden- mitteln. Alſo obwol in dem alten bund nicht alle Jſraeliten der innern gnade GOt- tes, gerechtigkeit des Meſſiæ und des Heiligen Geiſtes theilhafftig geweſen, und aus dem glauben ſelig worden ſind, daher die krafft des bundes genoſſen haben; ſo hatte doch ein jeder Jſraelite (als lange er den bund GOttes nicht oͤffentlich an ſich vernichtet hat, und von dem volcke ausgangen iſt) oder auch wer ſich von fremd- lingen durch die beſchneidung zu dem volcke gefuͤget, nicht allein die wuͤrde und na- men ein glied des volcks GOttes zu ſeyn, ſondern auch das recht zu allen euſſerlichen gnaden-guͤtern des A. T. zu opffern, paſſah, und dergleichen, GOtt ließ auch durch ſeine diener immer an ihnen arbeiten, auf daß alle, die es nicht unfruchtbar an ſich laſſen wuͤrden, auch zu der innerlichen gemeinſchafft kommen moͤchten, ohne welche der bund ſeinen letzten zweck an ihnen nicht erhielte. IV. Ob ich nun zwiſchen der alten juͤdiſchen kirchen und der chriſtlichen neu- en nicht eine voͤllige gleichheit mache, ſondern wol weiß, daß in jener mehr euſſerli- ches, in dieſer mehr geiſtliches, ſich gefunden, ſo muß doch erkant werden, daß zu die- ſer zeit auch die chriſtliche kirche eine analogi_m mit jener alten darinnen habe, und alſo auch ihr vermiſchter zuſtand des namens des himmelreichs gewuͤrdiget werde, der nicht ein leerer name ſeyn kan; ſondern einige rechte mit ſich fuͤhren muß, die auch denen zukommen, denen es am innerlichen mangelt, dermaſſen daß auch das unkraut der pflege, die mit begieſſen und auf andre weiſe dem weitzen wiederfaͤhret, und gemeine iſt, mit genieſſet, ob es wol daher nur deſto mehr boͤſen Saamen traͤ- get. Alſo iſt wahrhafftig aller hauffen, der ſich euſſerlich zu der lehre CHriſti be- kennet, und der gnaden-mittel gebraucht, wahrhafftig die kirche CHriſti, nicht nach ihrer unſichtbaren art, ſondern nach der euſſerlichen verfaſſung, und hat an- noch den vorzug vor andern hauffen, welchen das auch verderbteſte volck Jſrael hatte vor den heydniſchen voͤlckern: ſie iſt aber reiner und unreiner, nicht allein nach der bewandnuͤſſe der lehre, ſondern auch der wenigern oder mehrern anzahl der in dem euſſerlichen hauffen befindlicher glieder der unſichtbaren kirchen. V. Wo IV. Theil. ſ ſ ſ ſ

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/701>, abgerufen am 22.11.2024.