Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. IV. SECTIO XXX. christliche art abgewendet werden können: daher in dem gantzen geschäfft nichtszu übereilen/ damit mans nicht eben damit verderbe. Diese consideration da- bey ist das jenige/ so mir das werck am schwersten macht/ nachdem ich sehr sorge/ ob bey vielen der unter den göttlichen gemischte fleischliche eyffer sich durch christ- liche remonstrationes so stillen lassen möchte/ daß nicht noch mißlichere trennun- gen zu befahren seyn möchten. Jch komme auf die 5. und letzte frag: ob nicht ei- nige ceromonien und gebräuche/ die in der alten kirchen nicht ohne nutzen ge- wesen/ zum exempel offentlich gebet auf den knieen/ gewisse öffentliche fasten/ tägli- che bet-stunden/ kirchen-buß etc. mit ernst wieder einzusühren wären? Hiebey ist nun in acht zu nehmen/ daß in dieser gantzen sache so wol als in andern sehr grosse behutsamkeit gebraucht zu werden nöthig seyn würde/ zu verhütung der zerrüttung und anderer ungelegenheit/ so in der kirchen entstehen könte/ wo nicht sehr klüg- lich in der überlegung/ beschliessung und einführung einiger neuerungen verfahren würde/ dann leicht müglich wäre/ daß der daraus entstehende schade den verhoffen- den nutzen weit übertreffe. Sonderlich aber sehe ich nicht/ wie man zu dergleichen zu schreiten sich unterstehen solte/ ohne ausdrückliche dazuziehung des dritten stan- des/ deßen meinung nothwendig darüber einzunehmen/ und viel darauf zu sehen wä- re. Ferner ist auch wol zu bedencken/ daß die meiste dergleichen veränderungen nicht so wol als gebote und gesetze zu geben/ als mit wenigerem schein eines zwangs allgemach oder doch mehr recommendations-weise einzusühren das sicherste seyn möchte: Wie wir uns dann hundertmal zu bedencken haben/ ehe wir etwas als ein gebot geben/ u. damit die gewissen/ so allein an das göttliche gesetz verbunden sind/ verbietenwolten/ u. möchte auch noch darnach mißlich seyn/ wie darüber des lie- ben apostes Pauli bescheidenheit 1. Cor. 7/ 6. 12. 25. sehr merckwürdig ist. Ja auch al- le menschliche ordnungen welche nicht in der schrifft aufs wenigste einen grund ha- ben/ wo sie so eingeführet/ daß sie nun mehr gleichsam zu gesetzen werden/ haben viel gefährliches an sich/ und schläget sich leicht so viel mißbrauch dazu/ daß dieser grösser und schädlicher wird/ als aller von dem rechten gebrauch hoffender nutze seyn möchte. Wie wir das traurige exempel an dem beichtwesen und der/ ausser dem fall einer sonderlich geängsteten seelen üblichen/ privat-absolution haben. Dann da solches werck/ und sonderlich daß dadurch alle/ welche zu dem heili- gen sacrament gehen wolten/ zu desto würdigeren gebrauch möchten bereitet werden/ eingeführet worden/ welches einen herrlichen zweck gehabt/ und sich den urhebern/ wol ein zimlicher nutze der sache mag praesentiret haben/ hat sich doch bald so viel mißbrauch mit eingemischet/ daß ich nicht zweiffele/ aus solchem werck komme die meiste gewissens-beschwerung treuer diener GOTTES: ob wol- te r r r 3
ARTIC. IV. SECTIO XXX. chriſtliche art abgewendet werden koͤnnen: daher in dem gantzen geſchaͤfft nichtszu uͤbereilen/ damit mans nicht eben damit verderbe. Dieſe conſideration da- bey iſt das jenige/ ſo mir das werck am ſchwerſten macht/ nachdem ich ſehr ſorge/ ob bey vielen der unter den goͤttlichen gemiſchte fleiſchliche eyffer ſich durch chriſt- liche remonſtrationes ſo ſtillen laſſen moͤchte/ daß nicht noch mißlichere trennun- gen zu befahren ſeyn moͤchten. Jch komme auf die 5. und letzte frag: ob nicht ei- nige ceromonien und gebraͤuche/ die in der alten kirchen nicht ohne nutzen ge- weſen/ zum exempel offentlich gebet auf den knieen/ gewiſſe oͤffentliche faſten/ taͤgli- che bet-ſtunden/ kirchen-buß ꝛc. mit ernſt wieder einzuſuͤhren waͤren? Hiebey iſt nun in acht zu nehmen/ daß in dieſer gantzen ſache ſo wol als in andern ſehr groſſe behutſamkeit gebraucht zu werden noͤthig ſeyn wuͤrde/ zu verhuͤtung der zerruͤttung und anderer ungelegenheit/ ſo in der kirchen entſtehen koͤnte/ wo nicht ſehr kluͤg- lich in der uͤberlegung/ beſchlieſſung und einfuͤhrung einiger neuerungen verfahren wuͤrde/ dann leicht muͤglich waͤre/ daß der daraus entſtehende ſchade den verhoffen- den nutzen weit uͤbertreffe. Sonderlich aber ſehe ich nicht/ wie man zu dergleichen zu ſchreiten ſich unterſtehen ſolte/ ohne ausdruͤckliche dazuziehung des dritten ſtan- des/ deßen meinung nothwendig daruͤber einzunehmen/ und viel daꝛauf zu ſehen waͤ- re. Ferner iſt auch wol zu bedencken/ daß die meiſte dergleichen veraͤnderungen nicht ſo wol als gebote und geſetze zu geben/ als mit wenigerem ſchein eines zwangs allgemach oder doch mehr recommendations-weiſe einzuſuͤhren das ſicherſte ſeyn moͤchte: Wie wir uns dann hundertmal zu bedencken haben/ ehe wir etwas als ein gebot geben/ u. damit die gewiſſen/ ſo allein an das goͤttliche geſetz verbunden ſind/ verbietenwolten/ u. moͤchte auch noch darnach mißlich ſeyn/ wie daruͤber des lie- ben apoſtes Pauli beſcheidenheit 1. Cor. 7/ 6. 12. 25. ſehr merckwuͤrdig iſt. Ja auch al- le menſchliche ordnungen welche nicht in der ſchrifft aufs wenigſte einen grund ha- ben/ wo ſie ſo eingefuͤhret/ daß ſie nun mehr gleichſam zu geſetzen werden/ haben viel gefaͤhrliches an ſich/ und ſchlaͤget ſich leicht ſo viel mißbrauch dazu/ daß dieſer groͤſſer und ſchaͤdlicher wird/ als aller von dem rechten gebrauch hoffender nutze ſeyn moͤchte. Wie wir das traurige exempel an dem beichtweſen und der/ auſſer dem fall einer ſonderlich geaͤngſteten ſeelen uͤblichen/ privat-abſolution haben. Dann da ſolches werck/ und ſonderlich daß dadurch alle/ welche zu dem heili- gen ſacrament gehen wolten/ zu deſto wuͤrdigeren gebrauch moͤchten bereitet werden/ eingefuͤhret worden/ welches einen herrlichen zweck gehabt/ und ſich den urhebern/ wol ein zimlicher nutze der ſache mag præſentiret haben/ hat ſich doch bald ſo viel mißbrauch mit eingemiſchet/ daß ich nicht zweiffele/ aus ſolchem werck komme die meiſte gewiſſens-beſchwerung treuer diener GOTTES: ob wol- te r r r 3
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ARTIC. IV. SECTIO XXX.
chriſtliche art abgewendet werden koͤnnen: daher in dem gantzen geſchaͤfft nichts
zu uͤbereilen/ damit mans nicht eben damit verderbe. Dieſe conſideration da-
bey iſt das jenige/ ſo mir das werck am ſchwerſten macht/ nachdem ich ſehr ſorge/
ob bey vielen der unter den goͤttlichen gemiſchte fleiſchliche eyffer ſich durch chriſt-
liche remonſtrationes ſo ſtillen laſſen moͤchte/ daß nicht noch mißlichere trennun-
gen zu befahren ſeyn moͤchten. Jch komme auf die 5. und letzte frag: ob nicht ei-
nige ceromonien und gebraͤuche/ die in der alten kirchen nicht ohne nutzen ge-
weſen/ zum exempel offentlich gebet auf den knieen/ gewiſſe oͤffentliche faſten/ taͤgli-
che bet-ſtunden/ kirchen-buß ꝛc. mit ernſt wieder einzuſuͤhren waͤren? Hiebey iſt
nun in acht zu nehmen/ daß in dieſer gantzen ſache ſo wol als in andern ſehr groſſe
behutſamkeit gebraucht zu werden noͤthig ſeyn wuͤrde/ zu verhuͤtung der zerruͤttung
und anderer ungelegenheit/ ſo in der kirchen entſtehen koͤnte/ wo nicht ſehr kluͤg-
lich in der uͤberlegung/ beſchlieſſung und einfuͤhrung einiger neuerungen verfahren
wuͤrde/ dann leicht muͤglich waͤre/ daß der daraus entſtehende ſchade den verhoffen-
den nutzen weit uͤbertreffe. Sonderlich aber ſehe ich nicht/ wie man zu dergleichen
zu ſchreiten ſich unterſtehen ſolte/ ohne ausdruͤckliche dazuziehung des dritten ſtan-
des/ deßen meinung nothwendig daruͤber einzunehmen/ und viel daꝛauf zu ſehen waͤ-
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nicht ſo wol als gebote und geſetze zu geben/ als mit wenigerem ſchein eines zwangs
allgemach oder doch mehr recommendations-weiſe einzuſuͤhren das ſicherſte ſeyn
moͤchte: Wie wir uns dann hundertmal zu bedencken haben/ ehe wir etwas als
ein gebot geben/ u. damit die gewiſſen/ ſo allein an das goͤttliche geſetz verbunden
ſind/ verbietenwolten/ u. moͤchte auch noch darnach mißlich ſeyn/ wie daruͤber des lie-
ben apoſtes Pauli beſcheidenheit 1. Cor. 7/ 6. 12. 25. ſehr merckwuͤrdig iſt. Ja auch al-
le menſchliche ordnungen welche nicht in der ſchrifft aufs wenigſte einen grund ha-
ben/ wo ſie ſo eingefuͤhret/ daß ſie nun mehr gleichſam zu geſetzen werden/ haben
viel gefaͤhrliches an ſich/ und ſchlaͤget ſich leicht ſo viel mißbrauch dazu/ daß dieſer
groͤſſer und ſchaͤdlicher wird/ als aller von dem rechten gebrauch hoffender nutze
ſeyn moͤchte. Wie wir das traurige exempel an dem beichtweſen und der/ auſſer
dem fall einer ſonderlich geaͤngſteten ſeelen uͤblichen/ privat-abſolution haben.
Dann da ſolches werck/ und ſonderlich daß dadurch alle/ welche zu dem heili-
gen ſacrament gehen wolten/ zu deſto wuͤrdigeren gebrauch moͤchten bereitet
werden/ eingefuͤhret worden/ welches einen herrlichen zweck gehabt/ und ſich den
urhebern/ wol ein zimlicher nutze der ſache mag præſentiret haben/ hat ſich doch
bald ſo viel mißbrauch mit eingemiſchet/ daß ich nicht zweiffele/ aus ſolchem
werck komme die meiſte gewiſſens-beſchwerung treuer diener GOTTES: ob wol-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/513>, abgerufen am 24.06.2024. |