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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
durchbrechen will/ als vester sie sich eingebildet/ die göttliche ehre erfordere
ein solches. Wie solten wir denn glauben können/ daß unser weiseste Hey-
land/ der seiner kinder und diener schwachheit wohl verstehet/ solte eine solche
macht uns einzel oder etlichen eines standes personen aufgetragen haben/
mit dero mißbrauch/ der aus bekanter unserer menschlichen schwachheit so
leicht zu sorgen ist/ so wol uns mit schwerer verschuldung als der gemeinde
mit vielen ärgernüß und zurüttung so gefährlich und schädlich seyn würde?
viel anders haben wir von der ewigen güte und weißheit unsers GOttes
uns zu versehen. Und gesetzt/ es finden sich unter den predigern solche/
denen es weder an treue noch weißheit in dieser sache manglete/ und wel-
chen also diese gewalt nützlich anvertrauet werden könte/ welcherley sich etwa
zu finden/ ich nicht allerdings leugnen will/ so ist man doch derselben nicht auf
immer so versichert/ indem auch diese zu gewissen zeiten sich etwa möchten
von ihrer schwachheit übereilen lassen/ ohne dem daß immer mehrere teufel
sind/ die frommen predigern zusetzen als andern/ wo man aufs wenigste
keine gewißheit hat/ daß derselbige ihnen nicht zuweilen ein bein unter-
schlagen möchte. Ferner können die göttliche verordnungen nicht eben in ab-
sicht derer allein gemachet seyn/ dero wir allezeit die wenigste sich zu finden
glauben müssen/ sondern sie müssen so bewandt seyn/ daß sie sich nach dem-
jenigen richten/ wie die meiste sind/ oder zu seyn besorglich ist: Dahero ge-
wiß zu glauben/ der HErr könne seine ordnung nicht also eingerichtet ha-
ben/ daß dadurch die kirche stäts in gröster gefahr ohne gnugsames mittel da-
gegen/ aufs wenigste bey den meisten/ stehen würde.

§. 12. Hingegen ist der göttlichen weißheit viel gemässer/ daß sie
diejenige gewalt/ an dero so hoch gelegen/ der gesamten gemeinde an-
vertrauet hat. Dann ob zwar in derselben jede oder die singuli eben dieje-
nige verderbnüß des fleisches an sich tragen/ welche wir prediger an uns
fühlen und erfahren/ so ist doch moraliter so viel als unmöglich/ oder doch
selten zu besorgen/ wie wir prediger einzele aber doch wenige von unsern
affecten leicht können eingenommen und überworffen werden/ daß so leicht
alle übrige sich durch gleiche affecten solten überwinden lassen/ sondern ist
vielmehr hoffnung/ wo auch die meiste unter den vielen anfangs möchten
sich von denselben einnehmen lassen/ daß immer aus GOttes regierung
einige auftreten/ gegen-remonstration mit guten gründen thun/ und also
uns und den übrigen sich besser zu begreiffen anlaß geben werden. Aus
welcher ursach es allemal am klügsten gethan/ wo solche dinge/ dero ge-
walt wegen des mißbrauchs gefährlich ist/ in mehrer/ nicht aber in weni-
ger/ handen stehen. Wie nun oben gemeldet/ daß diejenige art der gött-

lichen

Das ſiebende Capitel.
durchbrechen will/ als veſter ſie ſich eingebildet/ die goͤttliche ehre erfordere
ein ſolches. Wie ſolten wir denn glauben koͤnnen/ daß unſer weiſeſte Hey-
land/ der ſeiner kinder und diener ſchwachheit wohl verſtehet/ ſolte eine ſolche
macht uns einzel oder etlichen eines ſtandes perſonen aufgetragen haben/
mit dero mißbrauch/ der aus bekanter unſerer menſchlichen ſchwachheit ſo
leicht zu ſorgen iſt/ ſo wol uns mit ſchwerer verſchuldung als der gemeinde
mit vielen aͤrgernuͤß und zuruͤttung ſo gefaͤhrlich und ſchaͤdlich ſeyn wuͤrde?
viel anders haben wir von der ewigen guͤte und weißheit unſers GOttes
uns zu verſehen. Und geſetzt/ es finden ſich unter den predigern ſolche/
denen es weder an treue noch weißheit in dieſer ſache manglete/ und wel-
chen alſo dieſe gewalt nuͤtzlich anvertrauet werden koͤnte/ welcherley ſich etwa
zu finden/ ich nicht allerdings leugnen will/ ſo iſt man doch derſelben nicht auf
immer ſo verſichert/ indem auch dieſe zu gewiſſen zeiten ſich etwa moͤchten
von ihrer ſchwachheit uͤbereilen laſſen/ ohne dem daß immer mehrere teufel
ſind/ die frommen predigern zuſetzen als andern/ wo man aufs wenigſte
keine gewißheit hat/ daß derſelbige ihnen nicht zuweilen ein bein unter-
ſchlagen moͤchte. Ferner koͤnnen die goͤttliche verordnungen nicht eben in ab-
ſicht derer allein gemachet ſeyn/ dero wir allezeit die wenigſte ſich zu finden
glauben muͤſſen/ ſondern ſie muͤſſen ſo bewandt ſeyn/ daß ſie ſich nach dem-
jenigen richten/ wie die meiſte ſind/ oder zu ſeyn beſorglich iſt: Dahero ge-
wiß zu glauben/ der HErr koͤnne ſeine ordnung nicht alſo eingerichtet ha-
ben/ daß dadurch die kirche ſtaͤts in groͤſter gefahr ohne gnugſames mittel da-
gegen/ aufs wenigſte bey den meiſten/ ſtehen wuͤrde.

§. 12. Hingegen iſt der goͤttlichen weißheit viel gemaͤſſer/ daß ſie
diejenige gewalt/ an dero ſo hoch gelegen/ der geſamten gemeinde an-
vertrauet hat. Dann ob zwar in derſelben jede oder die ſinguli eben dieje-
nige verderbnuͤß des fleiſches an ſich tragen/ welche wir prediger an uns
fuͤhlen und erfahren/ ſo iſt doch moraliter ſo viel als unmoͤglich/ oder doch
ſelten zu beſorgen/ wie wir prediger einzele aber doch wenige von unſern
affecten leicht koͤnnen eingenommen und uͤberworffen werden/ daß ſo leicht
alle uͤbrige ſich durch gleiche affecten ſolten uͤberwinden laſſen/ ſondern iſt
vielmehr hoffnung/ wo auch die meiſte unter den vielen anfangs moͤchten
ſich von denſelben einnehmen laſſen/ daß immer aus GOttes regierung
einige auftreten/ gegen-remonſtration mit guten gruͤnden thun/ und alſo
uns und den uͤbrigen ſich beſſer zu begreiffen anlaß geben werden. Aus
welcher urſach es allemal am kluͤgſten gethan/ wo ſolche dinge/ dero ge-
walt wegen des mißbrauchs gefaͤhrlich iſt/ in mehrer/ nicht aber in weni-
ger/ handen ſtehen. Wie nun oben gemeldet/ daß diejenige art der goͤtt-

lichen
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[286/0298] Das ſiebende Capitel. durchbrechen will/ als veſter ſie ſich eingebildet/ die goͤttliche ehre erfordere ein ſolches. Wie ſolten wir denn glauben koͤnnen/ daß unſer weiſeſte Hey- land/ der ſeiner kinder und diener ſchwachheit wohl verſtehet/ ſolte eine ſolche macht uns einzel oder etlichen eines ſtandes perſonen aufgetragen haben/ mit dero mißbrauch/ der aus bekanter unſerer menſchlichen ſchwachheit ſo leicht zu ſorgen iſt/ ſo wol uns mit ſchwerer verſchuldung als der gemeinde mit vielen aͤrgernuͤß und zuruͤttung ſo gefaͤhrlich und ſchaͤdlich ſeyn wuͤrde? viel anders haben wir von der ewigen guͤte und weißheit unſers GOttes uns zu verſehen. Und geſetzt/ es finden ſich unter den predigern ſolche/ denen es weder an treue noch weißheit in dieſer ſache manglete/ und wel- chen alſo dieſe gewalt nuͤtzlich anvertrauet werden koͤnte/ welcherley ſich etwa zu finden/ ich nicht allerdings leugnen will/ ſo iſt man doch derſelben nicht auf immer ſo verſichert/ indem auch dieſe zu gewiſſen zeiten ſich etwa moͤchten von ihrer ſchwachheit uͤbereilen laſſen/ ohne dem daß immer mehrere teufel ſind/ die frommen predigern zuſetzen als andern/ wo man aufs wenigſte keine gewißheit hat/ daß derſelbige ihnen nicht zuweilen ein bein unter- ſchlagen moͤchte. Ferner koͤnnen die goͤttliche verordnungen nicht eben in ab- ſicht derer allein gemachet ſeyn/ dero wir allezeit die wenigſte ſich zu finden glauben muͤſſen/ ſondern ſie muͤſſen ſo bewandt ſeyn/ daß ſie ſich nach dem- jenigen richten/ wie die meiſte ſind/ oder zu ſeyn beſorglich iſt: Dahero ge- wiß zu glauben/ der HErr koͤnne ſeine ordnung nicht alſo eingerichtet ha- ben/ daß dadurch die kirche ſtaͤts in groͤſter gefahr ohne gnugſames mittel da- gegen/ aufs wenigſte bey den meiſten/ ſtehen wuͤrde. §. 12. Hingegen iſt der goͤttlichen weißheit viel gemaͤſſer/ daß ſie diejenige gewalt/ an dero ſo hoch gelegen/ der geſamten gemeinde an- vertrauet hat. Dann ob zwar in derſelben jede oder die ſinguli eben dieje- nige verderbnuͤß des fleiſches an ſich tragen/ welche wir prediger an uns fuͤhlen und erfahren/ ſo iſt doch moraliter ſo viel als unmoͤglich/ oder doch ſelten zu beſorgen/ wie wir prediger einzele aber doch wenige von unſern affecten leicht koͤnnen eingenommen und uͤberworffen werden/ daß ſo leicht alle uͤbrige ſich durch gleiche affecten ſolten uͤberwinden laſſen/ ſondern iſt vielmehr hoffnung/ wo auch die meiſte unter den vielen anfangs moͤchten ſich von denſelben einnehmen laſſen/ daß immer aus GOttes regierung einige auftreten/ gegen-remonſtration mit guten gruͤnden thun/ und alſo uns und den uͤbrigen ſich beſſer zu begreiffen anlaß geben werden. Aus welcher urſach es allemal am kluͤgſten gethan/ wo ſolche dinge/ dero ge- walt wegen des mißbrauchs gefaͤhrlich iſt/ in mehrer/ nicht aber in weni- ger/ handen ſtehen. Wie nun oben gemeldet/ daß diejenige art der goͤtt- lichen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/298>, abgerufen am 25.11.2024.