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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
ben/ daß sie der ihrigen zeitliche wohlfahrt der kirchen mehrerer erbauung
zuweilen gantz offenbarlich vorziehen/ und dergleichen durch eine sanction
beschliessen: folglich/ wie so gar schlecht es mit uns stehen würde/ wo un-
ser glaube und gesamtes christenthum nicht auf das blosse göttliche wort/
sondern auch auf Concilia und menschliche verordnungen gegründet wäre.
Die angeführte rationes sind ja der sachen gemäß/ nemlich/ wie diese unzim-
lich ist/ also jene ungereimet. Der witwen und wäysen solle man sich anneh-
men aus GOttes befehl; ist recht/ aber es muß dieses geschehen ohne nach-
theil der kirchen/ und daß diese ihr täglich brodt bekommen/ aus der heili-
gung seines namens/ der erweiterung seines reichs/ und der vollbringung
seines willens nichts abgehen/ welches aber durch dergleichen eine gewohn-
heit/ welche hindert/ daß die gemeinde nicht allezeit die ihnen nützlichste pre-
diger bekommet/ gewiß geschiehet/ daß alle solche wichtigere zweck nachmal
gar nicht/ insgemein aber weniger/ erreichet werden. Will man also an
witwen und wäysen liebe erzeigen/ wie man schuldig ist/ so suche man an-
dere mittel dazu auszufinden/ und sollen alle stände/ die Obrigkeit und die
gemeinde/ ja auch die prediger selbs/ deswegen zusammen treten/ um der-
gleichen anstalten zu machen/ daß die macht der kirchen frey bleibe/ und doch
die verlassene sich nicht über die gäntzliche verlassung beschweren dörffen.
Man könte witwen-siscos anordnen/ wie ander orten gebräuchlich/ daraus
die ärmere unterhalten würden/ und hingegen von denen einträglichern und
reichlichen pfarren etwas absondern/ das allezeit solchen witwen bliebe/
und hingegen der ordinar Pfarr-herr gleichwol seine unterhalt zur noth-
durfft hätte/ und was dergleichen arten mehr wären/ welche diejenige/ so
jedes orts beschaffenheit wissen/ am besten angeben können. Gedencket
man aber/ daß aufs wenigste viele witwen in mehrer dörfftigkeit alsdenn
würden ihr leben zubringen müssen als jetzt/ und solches dem predigamt
schimpff zuziehen/ so gedencke man ferner/ ob armuth der witwen/ ja auch
der prediger selbs/ bey christen vor einen grössern schimpff des predigtamts
geachtet werden solle/ oder die von dieser schlimmen gewohnheit entstehende
ärgernüß. Die exempel des alten Testaments lassen sich nicht anführen. Jn-
dem daselbs das priesterthum selbs aus GOttes verordnung erblich war/
und also wie in andern stämmen ohne das geschahe/ diese auch in den heyra-
then bey ihrem geschlecht blieben. So wenig nun jemand sich unterstehen wird/
unter uns das predigamt erblich zu machen/ oder sich zu sagen vermessen
wird/ daß solches der christlichen kirchen nützlich seyn würde/ so wenig kan
man mit solchem argument die successores an die witwen und töchter ver-
binden. Und wolten wir ja den Ezech. 44/ 22. anführen/ und hieher zu gehören
glauben/ so sehe man an/ was dabey stehet/ eine Jungfrau vom saamen

des

Das ſiebende Capitel.
ben/ daß ſie der ihrigen zeitliche wohlfahrt der kirchen mehrerer erbauung
zuweilen gantz offenbarlich vorziehen/ und dergleichen durch eine ſanction
beſchlieſſen: folglich/ wie ſo gar ſchlecht es mit uns ſtehen wuͤrde/ wo un-
ſer glaube und geſamtes chriſtenthum nicht auf das bloſſe goͤttliche wort/
ſondern auch auf Concilia und menſchliche verordnungen gegruͤndet waͤre.
Die angefuͤhrte rationes ſind ja der ſachen gemaͤß/ nemlich/ wie dieſe unzim-
lich iſt/ alſo jene ungereimet. Der witwen und waͤyſen ſolle man ſich anneh-
men aus GOttes befehl; iſt recht/ aber es muß dieſes geſchehen ohne nach-
theil der kirchen/ und daß dieſe ihr taͤglich brodt bekommen/ aus der heili-
gung ſeines namens/ der erweiterung ſeines reichs/ und der vollbringung
ſeines willens nichts abgehen/ welches aber durch dergleichen eine gewohn-
heit/ welche hindert/ daß die gemeinde nicht allezeit die ihnen nuͤtzlichſte pre-
diger bekommet/ gewiß geſchiehet/ daß alle ſolche wichtigere zweck nachmal
gar nicht/ insgemein aber weniger/ erreichet werden. Will man alſo an
witwen und waͤyſen liebe erzeigen/ wie man ſchuldig iſt/ ſo ſuche man an-
dere mittel dazu auszufinden/ und ſollen alle ſtaͤnde/ die Obrigkeit und die
gemeinde/ ja auch die prediger ſelbs/ deswegen zuſammen treten/ um der-
gleichen anſtalten zu machen/ daß die macht der kirchen frey bleibe/ und doch
die verlaſſene ſich nicht uͤber die gaͤntzliche verlaſſung beſchweren doͤrffen.
Man koͤnte witwen-ſiſcos anordnen/ wie ander orten gebraͤuchlich/ daraus
die aͤrmere unterhalten wuͤrden/ und hingegen von denen eintraͤglichern und
reichlichen pfarren etwas abſondern/ das allezeit ſolchen witwen bliebe/
und hingegen der ordinar Pfarr-herr gleichwol ſeine unterhalt zur noth-
durfft haͤtte/ und was dergleichen arten mehr waͤren/ welche diejenige/ ſo
jedes orts beſchaffenheit wiſſen/ am beſten angeben koͤnnen. Gedencket
man aber/ daß aufs wenigſte viele witwen in mehrer doͤrfftigkeit alsdenn
wuͤrden ihr leben zubringen muͤſſen als jetzt/ und ſolches dem predigamt
ſchimpff zuziehen/ ſo gedencke man ferner/ ob armuth der witwen/ ja auch
der prediger ſelbs/ bey chriſten vor einen groͤſſern ſchimpff des predigtamts
geachtet werden ſolle/ oder die von dieſer ſchlimmen gewohnheit entſtehende
aͤrgernuͤß. Die exempel des alten Teſtaments laſſen ſich nicht anfuͤhren. Jn-
dem daſelbs das prieſterthum ſelbs aus GOttes verordnung erblich war/
und alſo wie in andern ſtaͤmmen ohne das geſchahe/ dieſe auch in den heyra-
then bey ihrem geſchlecht blieben. So wenig nun jemand ſich unterſtehen wird/
unter uns das predigamt erblich zu machen/ oder ſich zu ſagen vermeſſen
wird/ daß ſolches der chriſtlichen kirchen nuͤtzlich ſeyn wuͤrde/ ſo wenig kan
man mit ſolchem argument die ſucceſſores an die witwen und toͤchter ver-
binden. Und wolten wir ja den Ezech. 44/ 22. anfuͤhren/ und hieher zu gehoͤren
glauben/ ſo ſehe man an/ was dabey ſtehet/ eine Jungfrau vom ſaamen

des
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[236/0248] Das ſiebende Capitel. ben/ daß ſie der ihrigen zeitliche wohlfahrt der kirchen mehrerer erbauung zuweilen gantz offenbarlich vorziehen/ und dergleichen durch eine ſanction beſchlieſſen: folglich/ wie ſo gar ſchlecht es mit uns ſtehen wuͤrde/ wo un- ſer glaube und geſamtes chriſtenthum nicht auf das bloſſe goͤttliche wort/ ſondern auch auf Concilia und menſchliche verordnungen gegruͤndet waͤre. Die angefuͤhrte rationes ſind ja der ſachen gemaͤß/ nemlich/ wie dieſe unzim- lich iſt/ alſo jene ungereimet. Der witwen und waͤyſen ſolle man ſich anneh- men aus GOttes befehl; iſt recht/ aber es muß dieſes geſchehen ohne nach- theil der kirchen/ und daß dieſe ihr taͤglich brodt bekommen/ aus der heili- gung ſeines namens/ der erweiterung ſeines reichs/ und der vollbringung ſeines willens nichts abgehen/ welches aber durch dergleichen eine gewohn- heit/ welche hindert/ daß die gemeinde nicht allezeit die ihnen nuͤtzlichſte pre- diger bekommet/ gewiß geſchiehet/ daß alle ſolche wichtigere zweck nachmal gar nicht/ insgemein aber weniger/ erreichet werden. Will man alſo an witwen und waͤyſen liebe erzeigen/ wie man ſchuldig iſt/ ſo ſuche man an- dere mittel dazu auszufinden/ und ſollen alle ſtaͤnde/ die Obrigkeit und die gemeinde/ ja auch die prediger ſelbs/ deswegen zuſammen treten/ um der- gleichen anſtalten zu machen/ daß die macht der kirchen frey bleibe/ und doch die verlaſſene ſich nicht uͤber die gaͤntzliche verlaſſung beſchweren doͤrffen. Man koͤnte witwen-ſiſcos anordnen/ wie ander orten gebraͤuchlich/ daraus die aͤrmere unterhalten wuͤrden/ und hingegen von denen eintraͤglichern und reichlichen pfarren etwas abſondern/ das allezeit ſolchen witwen bliebe/ und hingegen der ordinar Pfarr-herr gleichwol ſeine unterhalt zur noth- durfft haͤtte/ und was dergleichen arten mehr waͤren/ welche diejenige/ ſo jedes orts beſchaffenheit wiſſen/ am beſten angeben koͤnnen. Gedencket man aber/ daß aufs wenigſte viele witwen in mehrer doͤrfftigkeit alsdenn wuͤrden ihr leben zubringen muͤſſen als jetzt/ und ſolches dem predigamt ſchimpff zuziehen/ ſo gedencke man ferner/ ob armuth der witwen/ ja auch der prediger ſelbs/ bey chriſten vor einen groͤſſern ſchimpff des predigtamts geachtet werden ſolle/ oder die von dieſer ſchlimmen gewohnheit entſtehende aͤrgernuͤß. Die exempel des alten Teſtaments laſſen ſich nicht anfuͤhren. Jn- dem daſelbs das prieſterthum ſelbs aus GOttes verordnung erblich war/ und alſo wie in andern ſtaͤmmen ohne das geſchahe/ dieſe auch in den heyra- then bey ihrem geſchlecht blieben. So wenig nun jemand ſich unterſtehen wird/ unter uns das predigamt erblich zu machen/ oder ſich zu ſagen vermeſſen wird/ daß ſolches der chriſtlichen kirchen nuͤtzlich ſeyn wuͤrde/ ſo wenig kan man mit ſolchem argument die ſucceſſores an die witwen und toͤchter ver- binden. Und wolten wir ja den Ezech. 44/ 22. anfuͤhren/ und hieher zu gehoͤren glauben/ ſo ſehe man an/ was dabey ſtehet/ eine Jungfrau vom ſaamen des

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/248>, abgerufen am 23.11.2024.