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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO. IX.
gewehnet haben. Jch lasse es aber an seinem ort beruhen. Was derselbe
von der liebe und der erkäntniß/ wie sie sich gegen einander halten/ schreibet/
bekenne gern/ daß ich nach fleißigem und wiederholtem lesen keinen richtigen
conceptum, was dessen meinung seye/ zusammen bringen kan/ noch weiß/ was
er meine/ und ob wir mit einander einstimmig oder nicht seyen: trauete auch
fast/ wo ich es andern zeigen solte/ sie möchten wol eben so wenig einen gewissen
und richtigen verstand daraus bringen. Was auch mein werther bruder
von der zerstreueten analogia fidei sagt/ bekenne auch/ daß ich nicht fasse/ wo
aber damit solte gemeinet seyn/ als daß wir uns eine solche gewisse analogiam
fidei
gemacht hätten/ darnach sich alles folgends richten und drehen/ ja zwin-
gen lassen müste/ wäre mir leyd/ daß dergleichen beschuldigung auf die bahn
gebracht würde/ welche gewißlich der liebe und warheit/ als viel ich begreiffe/
einigen eintrag thäte. Jch dancke meinem GOtt/ daß er mir die gnade ge-
than/ die analogiam fidei unserer Evangelischen kirchen nicht obenhin anzu-
sehen/ sondern gründlich zu fassen/ daraus nachmal alle glaubens-puncten
dermassen lieblich und harmonice an einander hangen/ daß es keines beugens
bedarff/ sondern alles herrlich zusammen stimmet. Und bin ich versichert/ ha-
be es auch erfahren/ wo zuweilen eine und andere unsre glaubens-articul von
einigen in verdacht gezogen worden/ ob wären sie nicht einstimmig/ daß es alle
mal daran gemanglet/ daß sie die wahre analogiam nicht gründlich eingese-
hen haben. Jch will hie mit wenigen meine meinung (so ich weiß mit unserer
Evangelischen gesamten lehr zu accordiren) von obigen dingen sagen/ und
hoffe/ es werde sich darinnen keine zerstreuung finden/ sondern alles freundlich
mit einander einstimmen. Wer noch nicht bekehrt ist/ hat in sich noch kein
liecht oder krafft in dem geistlichen zu sehen/ und hält sichs also damit nicht wie
mit dem leiblichen sehen/ wo die facultas visiva schon in dem auge seyn muß/
ehe das eusserliche liecht dasselbe erleuchtet: Vielmehr ist bey uns nichts an-
ders als sinsternüß: wo aber der mensch dem heiligen Geist und seiner wir-
ckung in sich darinnen erstlich platz gelassen/ daß derselbe die buß/ reue und
haß der sünden gewircket/ und damit so zu reden die hindernüssen des göttli-
chen liechts weggeräumet hat/ so geschiehet ferner/ daß aus dem göttlichen
wort des Evangelii/ welches nicht nur buchstaben/ sondern geist/ leben/ und
liecht ist/ in der krafft des heiligen Geistes ein göttliches und himmlisches
liecht in die seele komt/ welches ist die lebendige erkäntnüß der gnade GOt-
tes in Christo JEsu mit einer zuversichtlichen deroselben ergreiffung. Die-
ses liecht ist der glaube/ und ist das erste in unserer neuen geburt/ aus dem
nachmal alles übrige des neuen menschen entstehet. Dieser glaube ma-
chet uns sobald vor GOTT gerecht und zu seinen kindern/ dann er ist nichts

anders
b b 3

ARTIC. II. SECTIO. IX.
gewehnet haben. Jch laſſe es aber an ſeinem ort beruhen. Was derſelbe
von der liebe und der erkaͤntniß/ wie ſie ſich gegen einander halten/ ſchreibet/
bekenne gern/ daß ich nach fleißigem und wiederholtem leſen keinen richtigen
conceptum, was deſſen meinung ſeye/ zuſammen bringen kan/ noch weiß/ was
er meine/ und ob wir mit einander einſtimmig oder nicht ſeyen: trauete auch
faſt/ wo ich es andern zeigen ſolte/ ſie moͤchten wol eben ſo wenig einen gewiſſen
und richtigen verſtand daraus bringen. Was auch mein werther bruder
von der zerſtreueten analogia fidei ſagt/ bekenne auch/ daß ich nicht faſſe/ wo
aber damit ſolte gemeinet ſeyn/ als daß wir uns eine ſolche gewiſſe analogiam
fidei
gemacht haͤtten/ darnach ſich alles folgends richten und drehen/ ja zwin-
gen laſſen muͤſte/ waͤre mir leyd/ daß dergleichen beſchuldigung auf die bahn
gebracht wuͤrde/ welche gewißlich der liebe und warheit/ als viel ich begreiffe/
einigen eintrag thaͤte. Jch dancke meinem GOtt/ daß er mir die gnade ge-
than/ die analogiam fidei unſerer Evangeliſchen kirchen nicht obenhin anzu-
ſehen/ ſondern gruͤndlich zu faſſen/ daraus nachmal alle glaubens-puncten
dermaſſen lieblich und harmonice an einander hangen/ daß es keines beugens
bedarff/ ſondern alles herrlich zuſammen ſtimmet. Und bin ich verſichert/ ha-
be es auch erfahren/ wo zuweilen eine und andere unſre glaubens-articul von
einigen in verdacht gezogen worden/ ob waͤren ſie nicht einſtimmig/ daß es alle
mal daran gemanglet/ daß ſie die wahre analogiam nicht gruͤndlich eingeſe-
hen haben. Jch will hie mit wenigen meine meinung (ſo ich weiß mit unſerer
Evangeliſchen geſamten lehr zu accordiren) von obigen dingen ſagen/ und
hoffe/ es werde ſich darinnen keine zerſtreuung finden/ ſondern alles freundlich
mit einander einſtimmen. Wer noch nicht bekehrt iſt/ hat in ſich noch kein
liecht oder krafft in dem geiſtlichen zu ſehen/ und haͤlt ſichs alſo damit nicht wie
mit dem leiblichen ſehen/ wo die facultas viſiva ſchon in dem auge ſeyn muß/
ehe das euſſerliche liecht daſſelbe erleuchtet: Vielmehr iſt bey uns nichts an-
ders als ſinſternuͤß: wo aber der menſch dem heiligen Geiſt und ſeiner wir-
ckung in ſich darinnen erſtlich platz gelaſſen/ daß derſelbe die buß/ reue und
haß der ſuͤnden gewircket/ und damit ſo zu reden die hindernuͤſſen des goͤttli-
chen liechts weggeraͤumet hat/ ſo geſchiehet ferner/ daß aus dem goͤttlichen
wort des Evangelii/ welches nicht nur buchſtaben/ ſondern geiſt/ leben/ und
liecht iſt/ in der krafft des heiligen Geiſtes ein goͤttliches und himmliſches
liecht in die ſeele komt/ welches iſt die lebendige erkaͤntnuͤß der gnade GOt-
tes in Chriſto JEſu mit einer zuverſichtlichen deroſelben ergreiffung. Die-
ſes liecht iſt der glaube/ und iſt das erſte in unſerer neuen geburt/ aus dem
nachmal alles uͤbrige des neuen menſchen entſtehet. Dieſer glaube ma-
chet uns ſobald vor GOTT gerecht und zu ſeinen kindern/ dann er iſt nichts

anders
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[197/0209] ARTIC. II. SECTIO. IX. gewehnet haben. Jch laſſe es aber an ſeinem ort beruhen. Was derſelbe von der liebe und der erkaͤntniß/ wie ſie ſich gegen einander halten/ ſchreibet/ bekenne gern/ daß ich nach fleißigem und wiederholtem leſen keinen richtigen conceptum, was deſſen meinung ſeye/ zuſammen bringen kan/ noch weiß/ was er meine/ und ob wir mit einander einſtimmig oder nicht ſeyen: trauete auch faſt/ wo ich es andern zeigen ſolte/ ſie moͤchten wol eben ſo wenig einen gewiſſen und richtigen verſtand daraus bringen. Was auch mein werther bruder von der zerſtreueten analogia fidei ſagt/ bekenne auch/ daß ich nicht faſſe/ wo aber damit ſolte gemeinet ſeyn/ als daß wir uns eine ſolche gewiſſe analogiam fidei gemacht haͤtten/ darnach ſich alles folgends richten und drehen/ ja zwin- gen laſſen muͤſte/ waͤre mir leyd/ daß dergleichen beſchuldigung auf die bahn gebracht wuͤrde/ welche gewißlich der liebe und warheit/ als viel ich begreiffe/ einigen eintrag thaͤte. Jch dancke meinem GOtt/ daß er mir die gnade ge- than/ die analogiam fidei unſerer Evangeliſchen kirchen nicht obenhin anzu- ſehen/ ſondern gruͤndlich zu faſſen/ daraus nachmal alle glaubens-puncten dermaſſen lieblich und harmonice an einander hangen/ daß es keines beugens bedarff/ ſondern alles herrlich zuſammen ſtimmet. Und bin ich verſichert/ ha- be es auch erfahren/ wo zuweilen eine und andere unſre glaubens-articul von einigen in verdacht gezogen worden/ ob waͤren ſie nicht einſtimmig/ daß es alle mal daran gemanglet/ daß ſie die wahre analogiam nicht gruͤndlich eingeſe- hen haben. Jch will hie mit wenigen meine meinung (ſo ich weiß mit unſerer Evangeliſchen geſamten lehr zu accordiren) von obigen dingen ſagen/ und hoffe/ es werde ſich darinnen keine zerſtreuung finden/ ſondern alles freundlich mit einander einſtimmen. Wer noch nicht bekehrt iſt/ hat in ſich noch kein liecht oder krafft in dem geiſtlichen zu ſehen/ und haͤlt ſichs alſo damit nicht wie mit dem leiblichen ſehen/ wo die facultas viſiva ſchon in dem auge ſeyn muß/ ehe das euſſerliche liecht daſſelbe erleuchtet: Vielmehr iſt bey uns nichts an- ders als ſinſternuͤß: wo aber der menſch dem heiligen Geiſt und ſeiner wir- ckung in ſich darinnen erſtlich platz gelaſſen/ daß derſelbe die buß/ reue und haß der ſuͤnden gewircket/ und damit ſo zu reden die hindernuͤſſen des goͤttli- chen liechts weggeraͤumet hat/ ſo geſchiehet ferner/ daß aus dem goͤttlichen wort des Evangelii/ welches nicht nur buchſtaben/ ſondern geiſt/ leben/ und liecht iſt/ in der krafft des heiligen Geiſtes ein goͤttliches und himmliſches liecht in die ſeele komt/ welches iſt die lebendige erkaͤntnuͤß der gnade GOt- tes in Chriſto JEſu mit einer zuverſichtlichen deroſelben ergreiffung. Die- ſes liecht iſt der glaube/ und iſt das erſte in unſerer neuen geburt/ aus dem nachmal alles uͤbrige des neuen menſchen entſtehet. Dieſer glaube ma- chet uns ſobald vor GOTT gerecht und zu ſeinen kindern/ dann er iſt nichts anders b b 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/209>, abgerufen am 23.11.2024.