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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
offenhertzig antworten/ so konte wol vor sehen/ daß er sich dadurch/ wie
durch das erste/ mehr verstöret und bestürtzet finden würde: anders hinge-
gen wüste auch nicht zu antworten. Daher ichs dabey bleiben lassen/ daß
den himmlischen vater zu mehrmal hertzlich angeruffen/ der ihn und seine
gantze sach durch seinen geist also regieren wolle/ daß die frucht seiner anver-
trauten gaben nicht in der blüth umkomme/ sondern weißlich befördert werde.
Dabey wolte erwarten/ was der HERR selbs vor einen ausgang und
gleichsam schluß in solcher sachen machte. Nunmehr aber nach solchem ver-
zug/ so will/ durch das andere schreiben erinnert/ meine meinung treuher-
tzig und candide von allem/ was mir nöthig vorkommet/ erklären/ demsel-
ben nachmal überlassende/ daß er nach eigenem ermessen in der furcht des
HErrn annehme oder stehen lasse/ wie ers in seinem gewißen findet/ indes-
sen dieser tröstlichen zuversicht gelebende/ daß seine liebe meine freymüthig-
keit/ so gewiß auch in dieser bewandnüß eine frucht der liebe ist/ mir nicht in
üblen nehmen werde. Jn dem ersten brieff/ hat mein geliebter sich sonder-
lich entschuldiget/ daß er meinem vorschlag wegen fremder concepten nicht
statt geben könne; nun hätte es der weitläufftigern erzehlung der ursachen
nicht bedorfft/ ohne daß er damit auch seine confidenz gegen mich zu erken-
nen gegeben/ sondern wäre gnug gewesen/ zu sagen/ daß ihm solcher vor-
schlag nicht anständig oder müglich/ welchen ich ie nicht gegeben/ daß den-
selben dazu nöthigte/ sondern habe meine meinung/ wie ichs demselben am
besten und nützlichsten erachtet (ja wo ich die wahrheit bekennen solle/ noch
erachtete) aus freundlicher treue vorstellen wollen: wie ich ja mich nicht ei-
ner herrschafft über seine person und gaben anzumassen habe/ sondern aus
liebe dieselbe gern am besten befordert sehen möchte/ aber nachdem ich das
meinige gethan/ andern billig überlasse/ was sie aus meinem rath/ zu fol-
gen dienlich finden oder nicht. Anderer ingenia und characteres zu
dignosciren erkenne ich mich zu schwach: Sonsten erkenne aber/ daß die
ursache der unverständlichkeit nicht so wol in der profundität des ingenii
suchte/ als der ich viele der profundesten leute weiß/ dero conceptus und
reden dennoch (wie zum exempel bey Scaligero zu sehen) in der herrlichsten
ordnung stehen: wie aber diesen characteren nennen solle/ weiß ich nicht/
aus der red- und schreib-art solte sonsten scheinen/ daß das ingenium foecun-
dum
zwar seye/ aber seine conceptus nicht bey sich in eine rechte ordnung
und harmonie bringen könne/ daher auch nachmal die sacultas exprimen-
di
so viel schwerer wird: da ich stäts in den gedancken gewesen wäre/ die
gewehnung an anderer arbeit würde erstlich die dunamin ermeneutiken ver-
mehret/ und zu einem deutlichen stilo anlaß gegeben/ so dann solche dahin
weisende arbeit/ das ingenium zu einer besseren ordnung der conceptuum

geweh-

Das ſiebende Capitel.
offenhertzig antworten/ ſo konte wol vor ſehen/ daß er ſich dadurch/ wie
durch das erſte/ mehr verſtoͤret und beſtuͤrtzet finden wuͤrde: anders hinge-
gen wuͤſte auch nicht zu antworten. Daher ichs dabey bleiben laſſen/ daß
den himmliſchen vater zu mehrmal hertzlich angeruffen/ der ihn und ſeine
gantze ſach durch ſeinen geiſt alſo regieren wolle/ daß die frucht ſeiner anver-
trauten gaben nicht in der bluͤth umkomme/ ſondern weißlich befoͤrdert werde.
Dabey wolte erwarten/ was der HERR ſelbs vor einen ausgang und
gleichſam ſchluß in ſolcher ſachen machte. Nunmehr aber nach ſolchem ver-
zug/ ſo will/ durch das andere ſchreiben erinnert/ meine meinung treuher-
tzig und candide von allem/ was mir noͤthig vorkommet/ erklaͤren/ demſel-
ben nachmal uͤberlaſſende/ daß er nach eigenem ermeſſen in der furcht des
HErrn annehme oder ſtehen laſſe/ wie ers in ſeinem gewißen findet/ indeſ-
ſen dieſer troͤſtlichen zuverſicht gelebende/ daß ſeine liebe meine freymuͤthig-
keit/ ſo gewiß auch in dieſer bewandnuͤß eine frucht der liebe iſt/ mir nicht in
uͤblen nehmen werde. Jn dem erſten brieff/ hat mein geliebter ſich ſonder-
lich entſchuldiget/ daß er meinem vorſchlag wegen fremder concepten nicht
ſtatt geben koͤnne; nun haͤtte es der weitlaͤufftigern erzehlung der urſachen
nicht bedorfft/ ohne daß er damit auch ſeine confidenz gegen mich zu erken-
nen gegeben/ ſondern waͤre gnug geweſen/ zu ſagen/ daß ihm ſolcher vor-
ſchlag nicht anſtaͤndig oder muͤglich/ welchen ich ie nicht gegeben/ daß den-
ſelben dazu noͤthigte/ ſondern habe meine meinung/ wie ichs demſelben am
beſten und nuͤtzlichſten erachtet (ja wo ich die wahrheit bekennen ſolle/ noch
erachtete) aus freundlicher treue vorſtellen wollen: wie ich ja mich nicht ei-
ner herrſchafft uͤber ſeine perſon und gaben anzumaſſen habe/ ſondern aus
liebe dieſelbe gern am beſten befordert ſehen moͤchte/ aber nachdem ich das
meinige gethan/ andern billig uͤberlaſſe/ was ſie aus meinem rath/ zu fol-
gen dienlich finden oder nicht. Anderer ingenia und characteres zu
dignoſciren erkenne ich mich zu ſchwach: Sonſten erkenne aber/ daß die
urſache der unverſtaͤndlichkeit nicht ſo wol in der profunditaͤt des ingenii
ſuchte/ als der ich viele der profundeſten leute weiß/ dero conceptus und
reden dennoch (wie zum exempel bey Scaligero zu ſehen) in der herrlichſten
ordnung ſtehen: wie aber dieſen characteren nennen ſolle/ weiß ich nicht/
aus der red- und ſchreib-art ſolte ſonſten ſcheinen/ daß das ingenium fœcun-
dum
zwar ſeye/ aber ſeine conceptus nicht bey ſich in eine rechte ordnung
und harmonie bringen koͤnne/ daher auch nachmal die ſacultas exprimen-
di
ſo viel ſchwerer wird: da ich ſtaͤts in den gedancken geweſen waͤre/ die
gewehnung an anderer arbeit wuͤrde erſtlich die δύναμιν ἐρμηνευτικὴν ver-
mehret/ und zu einem deutlichen ſtilo anlaß gegeben/ ſo dann ſolche dahin
weiſende arbeit/ das ingenium zu einer beſſeren ordnung der conceptuum

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[196/0208] Das ſiebende Capitel. offenhertzig antworten/ ſo konte wol vor ſehen/ daß er ſich dadurch/ wie durch das erſte/ mehr verſtoͤret und beſtuͤrtzet finden wuͤrde: anders hinge- gen wuͤſte auch nicht zu antworten. Daher ichs dabey bleiben laſſen/ daß den himmliſchen vater zu mehrmal hertzlich angeruffen/ der ihn und ſeine gantze ſach durch ſeinen geiſt alſo regieren wolle/ daß die frucht ſeiner anver- trauten gaben nicht in der bluͤth umkomme/ ſondern weißlich befoͤrdert werde. Dabey wolte erwarten/ was der HERR ſelbs vor einen ausgang und gleichſam ſchluß in ſolcher ſachen machte. Nunmehr aber nach ſolchem ver- zug/ ſo will/ durch das andere ſchreiben erinnert/ meine meinung treuher- tzig und candide von allem/ was mir noͤthig vorkommet/ erklaͤren/ demſel- ben nachmal uͤberlaſſende/ daß er nach eigenem ermeſſen in der furcht des HErrn annehme oder ſtehen laſſe/ wie ers in ſeinem gewißen findet/ indeſ- ſen dieſer troͤſtlichen zuverſicht gelebende/ daß ſeine liebe meine freymuͤthig- keit/ ſo gewiß auch in dieſer bewandnuͤß eine frucht der liebe iſt/ mir nicht in uͤblen nehmen werde. Jn dem erſten brieff/ hat mein geliebter ſich ſonder- lich entſchuldiget/ daß er meinem vorſchlag wegen fremder concepten nicht ſtatt geben koͤnne; nun haͤtte es der weitlaͤufftigern erzehlung der urſachen nicht bedorfft/ ohne daß er damit auch ſeine confidenz gegen mich zu erken- nen gegeben/ ſondern waͤre gnug geweſen/ zu ſagen/ daß ihm ſolcher vor- ſchlag nicht anſtaͤndig oder muͤglich/ welchen ich ie nicht gegeben/ daß den- ſelben dazu noͤthigte/ ſondern habe meine meinung/ wie ichs demſelben am beſten und nuͤtzlichſten erachtet (ja wo ich die wahrheit bekennen ſolle/ noch erachtete) aus freundlicher treue vorſtellen wollen: wie ich ja mich nicht ei- ner herrſchafft uͤber ſeine perſon und gaben anzumaſſen habe/ ſondern aus liebe dieſelbe gern am beſten befordert ſehen moͤchte/ aber nachdem ich das meinige gethan/ andern billig uͤberlaſſe/ was ſie aus meinem rath/ zu fol- gen dienlich finden oder nicht. Anderer ingenia und characteres zu dignoſciren erkenne ich mich zu ſchwach: Sonſten erkenne aber/ daß die urſache der unverſtaͤndlichkeit nicht ſo wol in der profunditaͤt des ingenii ſuchte/ als der ich viele der profundeſten leute weiß/ dero conceptus und reden dennoch (wie zum exempel bey Scaligero zu ſehen) in der herrlichſten ordnung ſtehen: wie aber dieſen characteren nennen ſolle/ weiß ich nicht/ aus der red- und ſchreib-art ſolte ſonſten ſcheinen/ daß das ingenium fœcun- dum zwar ſeye/ aber ſeine conceptus nicht bey ſich in eine rechte ordnung und harmonie bringen koͤnne/ daher auch nachmal die ſacultas exprimen- di ſo viel ſchwerer wird: da ich ſtaͤts in den gedancken geweſen waͤre/ die gewehnung an anderer arbeit wuͤrde erſtlich die δύναμιν ἐρμηνευτικὴν ver- mehret/ und zu einem deutlichen ſtilo anlaß gegeben/ ſo dann ſolche dahin weiſende arbeit/ das ingenium zu einer beſſeren ordnung der conceptuum geweh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/208>, abgerufen am 23.11.2024.