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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECT. XXI.
welches nicht nur bedeutet die gnädige liebe des vaters gegen sie, sondern ein
gut, so wircklich in ihnen ist, aus dem sie lebend heissen. Woher haben sie
aber solches als aus der neuen geburth, nach dem sie es in und aus der alten
nicht empfangen? Was aber die erneuerung anlangt, so ist sie von
der wiedergeburt unterschieden, wie so zu reden die erhaltung (samt allem
dem, was man dazu rechnen mag) und die erste schöpffung: oder in der
natur, wie die erste mittheilung des lebens in dem augenblick der empfäng-
nüß und nachmal dessen zunehmung, ausarbeitung und formirung des lei-
bes, so dann stäter wachsthum in den lebens kräfften. Fasse ich also die sa-
che auf diese weise: Jn der wiedergeburt und ersten anfang geschihets
gleich, daß der himmlische vater, der einen menschen zu einem kind annimmt,
stracks solchen augenblick in ihm durch seinen heiligen Geist das geistliche
leben wircket und entzündet, welches so bald in einem liecht und krafft, so ü-
ber die natur ist, bestehet, und eine gleiche art mit GOTT und seinem wort,
daher den anfang des göttlichen ebenbildes, in sich fasset. Es ist solches le-
ben, so zu reden, solcher erste funcken, so dannoch alles, was drauffolget,
der krafft nach in sich hat, sehr schwach, wie das leben bey einer empfange-
nen frucht, aber in der erneuerung nimmt es immer mehr zu, wächset und
thut sich weiter heraus. Daher bleibts freylich dabey, die wiedergeburt ge-
het vorher, und die erneurung folget: Jene ist vollkommen, wie dann ein
schwackes leben so wol vollkommen ein leben ist, als ein starckes, indem
es, was eigenlich zu dem wesen des lebens gehöret, in sich hat, die erneue-
rung aber, weil sie in einem wachsthum bestehet, ist nicht in diesem leben
vollkommen, dann es bleiben noch immer einige grade zurück, die sie noch
erst erlangen solle. Wo diese erklärung wol erwogen wird, hoffe ich, sie
werde dem göttlichen wort allerdings gemäß befunden werden. Auch
da mein werther bruder selbs bekennet, daß die wiedergeburt seye eine ver-
setzung in den glaubens- und gnaden stand, da wir vergebung der sünden und
den glauben überkommen, so bringt dieses schon mit sich, daß eine wirckliche
änderung in dem menschen geschehen. Dann den glauben hat der mensch aus
seiner alten geburt nicht, so muß er aus der neuen oder wiedergeburt herkom-
men, derselbe aber ist eine so wichtige änderung des menschen als eine seyn
mag, und gleichsam das innerste in dem geistlichen leben, nemlich ein göttliches
liecht und krafft, und die wurtzel, die virtute in sich alle diejenigen tugenden
fasset, die nachmal in der renovation sich hervor thun. Jch weiß nicht,
ob ich mich deutlich genug explicire, wie ich bey mir die sache fasse, und will
also erwarten, was mein geliebter bruder davon halten werde, und wo
er an solchen meinem vortrag mangel zu finden meinet, dasselbe gern verneh-
men, und mich weiter erklären, damit also auch unsere correspondenz un-

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ARTIC. I. SECT. XXI.
welches nicht nur bedeutet die gnaͤdige liebe des vaters gegen ſie, ſondern ein
gut, ſo wircklich in ihnen iſt, aus dem ſie lebend heiſſen. Woher haben ſie
aber ſolches als aus der neuen geburth, nach dem ſie es in und aus der alten
nicht empfangen? Was aber die erneuerung anlangt, ſo iſt ſie von
der wiedergeburt unterſchieden, wie ſo zu reden die erhaltung (ſamt allem
dem, was man dazu rechnen mag) und die erſte ſchoͤpffung: oder in der
natur, wie die erſte mittheilung des lebens in dem augenblick der empfaͤng-
nuͤß und nachmal deſſen zunehmung, ausarbeitung und formirung des lei-
bes, ſo dann ſtaͤter wachsthum in den lebens kraͤfften. Faſſe ich alſo die ſa-
che auf dieſe weiſe: Jn der wiedergeburt und erſten anfang geſchihets
gleich, daß der himmliſche vater, der einen menſchen zu einem kind annimmt,
ſtracks ſolchen augenblick in ihm durch ſeinen heiligen Geiſt das geiſtliche
leben wircket und entzuͤndet, welches ſo bald in einem liecht und krafft, ſo uͤ-
ber die natur iſt, beſtehet, und eine gleiche art mit GOTT und ſeinem wort,
daher den anfang des goͤttlichen ebenbildes, in ſich faſſet. Es iſt ſolches le-
ben, ſo zu reden, ſolcher erſte funcken, ſo dannoch alles, was drauffolget,
der krafft nach in ſich hat, ſehr ſchwach, wie das leben bey einer empfange-
nen frucht, aber in der erneuerung nimmt es immer mehr zu, waͤchſet und
thut ſich weiter heraus. Daher bleibts freylich dabey, die wiedergeburt ge-
het vorher, und die erneurung folget: Jene iſt vollkommen, wie dann ein
ſchwackes leben ſo wol vollkommen ein leben iſt, als ein ſtarckes, indem
es, was eigenlich zu dem weſen des lebens gehoͤret, in ſich hat, die erneue-
rung aber, weil ſie in einem wachsthum beſtehet, iſt nicht in dieſem leben
vollkommen, dann es bleiben noch immer einige grade zuruͤck, die ſie noch
erſt erlangen ſolle. Wo dieſe erklaͤrung wol erwogen wird, hoffe ich, ſie
werde dem goͤttlichen wort allerdings gemaͤß befunden werden. Auch
da mein werther bruder ſelbs bekennet, daß die wiedergeburt ſeye eine ver-
ſetzung in den glaubens- und gnaden ſtand, da wir vergebung der ſuͤnden und
den glauben uͤberkommen, ſo bringt dieſes ſchon mit ſich, daß eine wirckliche
aͤnderung in dem menſchen geſchehen. Dann den glauben hat der menſch aus
ſeiner alten geburt nicht, ſo muß er aus der neuen oder wiedergeburt herkom-
men, derſelbe aber iſt eine ſo wichtige aͤnderung des menſchen als eine ſeyn
mag, und gleichſam das innerſte in dem geiſtlichen leben, nemlich ein goͤttliches
liecht und krafft, und die wurtzel, die virtute in ſich alle diejenigen tugenden
faſſet, die nachmal in der renovation ſich hervor thun. Jch weiß nicht,
ob ich mich deutlich genug explicire, wie ich bey mir die ſache faſſe, und will
alſo erwarten, was mein geliebter bruder davon halten werde, und wo
er an ſolchen meinem vortrag mangel zu finden meinet, daſſelbe gern verneh-
men, und mich weiter erklaͤren, damit alſo auch unſere correſpondenz un-

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[117/0129] ARTIC. I. SECT. XXI. welches nicht nur bedeutet die gnaͤdige liebe des vaters gegen ſie, ſondern ein gut, ſo wircklich in ihnen iſt, aus dem ſie lebend heiſſen. Woher haben ſie aber ſolches als aus der neuen geburth, nach dem ſie es in und aus der alten nicht empfangen? Was aber die erneuerung anlangt, ſo iſt ſie von der wiedergeburt unterſchieden, wie ſo zu reden die erhaltung (ſamt allem dem, was man dazu rechnen mag) und die erſte ſchoͤpffung: oder in der natur, wie die erſte mittheilung des lebens in dem augenblick der empfaͤng- nuͤß und nachmal deſſen zunehmung, ausarbeitung und formirung des lei- bes, ſo dann ſtaͤter wachsthum in den lebens kraͤfften. Faſſe ich alſo die ſa- che auf dieſe weiſe: Jn der wiedergeburt und erſten anfang geſchihets gleich, daß der himmliſche vater, der einen menſchen zu einem kind annimmt, ſtracks ſolchen augenblick in ihm durch ſeinen heiligen Geiſt das geiſtliche leben wircket und entzuͤndet, welches ſo bald in einem liecht und krafft, ſo uͤ- ber die natur iſt, beſtehet, und eine gleiche art mit GOTT und ſeinem wort, daher den anfang des goͤttlichen ebenbildes, in ſich faſſet. Es iſt ſolches le- ben, ſo zu reden, ſolcher erſte funcken, ſo dannoch alles, was drauffolget, der krafft nach in ſich hat, ſehr ſchwach, wie das leben bey einer empfange- nen frucht, aber in der erneuerung nimmt es immer mehr zu, waͤchſet und thut ſich weiter heraus. Daher bleibts freylich dabey, die wiedergeburt ge- het vorher, und die erneurung folget: Jene iſt vollkommen, wie dann ein ſchwackes leben ſo wol vollkommen ein leben iſt, als ein ſtarckes, indem es, was eigenlich zu dem weſen des lebens gehoͤret, in ſich hat, die erneue- rung aber, weil ſie in einem wachsthum beſtehet, iſt nicht in dieſem leben vollkommen, dann es bleiben noch immer einige grade zuruͤck, die ſie noch erſt erlangen ſolle. Wo dieſe erklaͤrung wol erwogen wird, hoffe ich, ſie werde dem goͤttlichen wort allerdings gemaͤß befunden werden. Auch da mein werther bruder ſelbs bekennet, daß die wiedergeburt ſeye eine ver- ſetzung in den glaubens- und gnaden ſtand, da wir vergebung der ſuͤnden und den glauben uͤberkommen, ſo bringt dieſes ſchon mit ſich, daß eine wirckliche aͤnderung in dem menſchen geſchehen. Dann den glauben hat der menſch aus ſeiner alten geburt nicht, ſo muß er aus der neuen oder wiedergeburt herkom- men, derſelbe aber iſt eine ſo wichtige aͤnderung des menſchen als eine ſeyn mag, und gleichſam das innerſte in dem geiſtlichen leben, nemlich ein goͤttliches liecht und krafft, und die wurtzel, die virtute in ſich alle diejenigen tugenden faſſet, die nachmal in der renovation ſich hervor thun. Jch weiß nicht, ob ich mich deutlich genug explicire, wie ich bey mir die ſache faſſe, und will alſo erwarten, was mein geliebter bruder davon halten werde, und wo er an ſolchen meinem vortrag mangel zu finden meinet, daſſelbe gern verneh- men, und mich weiter erklaͤren, damit alſo auch unſere correſpondenz un- ter p 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/129>, abgerufen am 04.05.2024.