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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
den Papisten, nicht so wol der streit de subjecto justificationis, als de for-
ma
und medio. Was diese anlangt, so sind wir himmel weit von einander,
und bleiben wir bey der imputatione und bey dem alleinigen glauben, sie aber
setzen an die stelle die justitiam inhaesivam, und fügen dem glauben die liebe
bey: was aber das subjectum justificationis anlangt, so werden wir beyder-
seits darinnen eins seyn, daß es seyn müsse ein bußfertiger sünder: bey dem
sich nachmal ohne allen zweiffel auch der neue gehorsam finden wird: Daher
wo die sache recht erwogen wird, so kommt Herr Gesenii meinung mit meines
geliebten bruders antwort, die er substituiret, überein/ und möchten also die-
se nicht so wol vor eine emendation als explication derselben angesehen
werden. Was auch anlangt die wiedergeburt, wird derselbe nicht übel
nehmen, daß nicht gleicher meinung bin. Jch erkenne gern, daß ein grosser
unterschied seye unter der wiedergeburt, und erneurung, und daß freylich jene
vor, diese nach gehe, jene und nicht diese vollkommen sey: Also auch, daß
nicht eben so gar deutlich von beyden in dem catechismo gehandelt werde,
welches ich wünschte austrücklicher geschehen zu seyn, sonderlich könte ich
nicht wol zugestehen, daß der inwendige mensch seye nichts anders als un-
sere seele: Jndessen wo mein werther bruder, wie es scheinet, in der rege-
neration
gar keine veränderung erkennen, und solche allein der renovation
zuschreiben will, wüsste ich nicht beyzupflichten: Dann ich nicht zweiffele
daß aller orten in der schrifft, die von der widergeburt handlen, betrachtung
dieses mitbringe, daß neben der adoption oder an kindes statt anneh-
mung, so fast eigenlich dasjenige ist, was seine beschreibung vornemlich
oder fast allein meinet, auch in der wiedergeburt wircklich etwas gebohren o-
der geschaffen (die schrifft brauchet ohne unterschied beyderley wort) werde,
und daß also der mensch wahrhafftig nach demselben etwas anders seye, o-
der sich in ihm etwas anders befinde, als er vorhin gewesen oder gehabt:
nicht zwar eine neue substanz, dann wir wissen wol, daß es ein menschli-
ches wesen ist, welches mit dem göttlichen ebenbild erschaffen worden, nach-
mal dasselbe verlohren, und eine unartige larve des satans an sich bekom-
men hat, aber wiederum zu seiner vorigen herrlichkeit kommen solle, daß es
also die seele und leib des menschen selbsten ist, welche wiedergebohren wer-
den. Aber es wird in ihm gebohren eine neue art und natur, welche der
neue mensch und innere mensch, die neue creatur, der geist heisset. Also
heissets recht, was vom geist gebohren wird, das ist geist: So wird
dem nach warhafftig etwas in der wiedergeburt gewircket, das vorhin nicht
da gewesen war, folglich importiret sie mutationem in hominis natura
non duntaxat in statu.
Wir wissen ja, daß wir in sünden todt gebohren, und
also ohne geistliches leben, wiedergebohrne aber haben ein geistliches leben,

welches

Das ſiebende Capitel.
den Papiſten, nicht ſo wol der ſtreit de ſubjecto juſtificationis, als de for-
ma
und medio. Was dieſe anlangt, ſo ſind wir himmel weit von einander,
und bleiben wir bey der imputatione und bey dem alleinigen glauben, ſie aber
ſetzen an die ſtelle die juſtitiam inhæſivam, und fuͤgen dem glauben die liebe
bey: was aber das ſubjectum juſtificationis anlangt, ſo werden wir beyder-
ſeits darinnen eins ſeyn, daß es ſeyn muͤſſe ein bußfertiger ſuͤnder: bey dem
ſich nachmal ohne allen zweiffel auch der neue gehorſam finden wird: Daher
wo die ſache recht eꝛwogen wiꝛd, ſo kommt Heꝛꝛ Geſenii meinung mit meines
geliebten bruders antwort, die er ſubſtituiret, uͤberein/ und moͤchten alſo die-
ſe nicht ſo wol vor eine emendation als explication derſelben angeſehen
werden. Was auch anlangt die wiedergeburt, wird derſelbe nicht uͤbel
nehmen, daß nicht gleicher meinung bin. Jch erkenne gern, daß ein groſſer
unterſchied ſeye unter der wiedergeburt, und erneurung, und daß freylich jene
vor, dieſe nach gehe, jene und nicht dieſe vollkommen ſey: Alſo auch, daß
nicht eben ſo gar deutlich von beyden in dem catechiſmo gehandelt werde,
welches ich wuͤnſchte austruͤcklicher geſchehen zu ſeyn, ſonderlich koͤnte ich
nicht wol zugeſtehen, daß der inwendige menſch ſeye nichts anders als un-
ſere ſeele: Jndeſſen wo mein werther bruder, wie es ſcheinet, in der rege-
neration
gar keine veraͤnderung erkennen, und ſolche allein der renovation
zuſchreiben will, wuͤſſte ich nicht beyzupflichten: Dann ich nicht zweiffele
daß aller orten in der ſchrifft, die von der widergeburt handlen, betrachtung
dieſes mitbringe, daß neben der adoption oder an kindes ſtatt anneh-
mung, ſo faſt eigenlich dasjenige iſt, was ſeine beſchreibung vornemlich
oder faſt allein meinet, auch in der wiedergeburt wircklich etwas gebohren o-
der geſchaffen (die ſchrifft brauchet ohne unterſchied beyderley wort) werde,
und daß alſo der menſch wahrhafftig nach demſelben etwas anders ſeye, o-
der ſich in ihm etwas anders befinde, als er vorhin geweſen oder gehabt:
nicht zwar eine neue ſubſtanz, dann wir wiſſen wol, daß es ein menſchli-
ches weſen iſt, welches mit dem goͤttlichen ebenbild erſchaffen worden, nach-
mal daſſelbe verlohren, und eine unartige larve des ſatans an ſich bekom-
men hat, aber wiederum zu ſeiner vorigen herrlichkeit kommen ſolle, daß es
alſo die ſeele und leib des menſchen ſelbſten iſt, welche wiedergebohren wer-
den. Aber es wird in ihm gebohren eine neue art und natur, welche der
neue menſch und innere menſch, die neue creatur, der geiſt heiſſet. Alſo
heiſſets recht, was vom geiſt gebohren wird, das iſt geiſt: So wird
dem nach warhafftig etwas in der wiedergeburt gewircket, das vorhin nicht
da geweſen war, folglich importiret ſie mutationem in hominis natura
non duntaxat in ſtatu.
Wir wiſſen ja, daß wir in ſuͤnden todt gebohren, und
alſo ohne geiſtliches leben, wiedergebohrne aber haben ein geiſtliches leben,

welches
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[116/0128] Das ſiebende Capitel. den Papiſten, nicht ſo wol der ſtreit de ſubjecto juſtificationis, als de for- ma und medio. Was dieſe anlangt, ſo ſind wir himmel weit von einander, und bleiben wir bey der imputatione und bey dem alleinigen glauben, ſie aber ſetzen an die ſtelle die juſtitiam inhæſivam, und fuͤgen dem glauben die liebe bey: was aber das ſubjectum juſtificationis anlangt, ſo werden wir beyder- ſeits darinnen eins ſeyn, daß es ſeyn muͤſſe ein bußfertiger ſuͤnder: bey dem ſich nachmal ohne allen zweiffel auch der neue gehorſam finden wird: Daher wo die ſache recht eꝛwogen wiꝛd, ſo kommt Heꝛꝛ Geſenii meinung mit meines geliebten bruders antwort, die er ſubſtituiret, uͤberein/ und moͤchten alſo die- ſe nicht ſo wol vor eine emendation als explication derſelben angeſehen werden. Was auch anlangt die wiedergeburt, wird derſelbe nicht uͤbel nehmen, daß nicht gleicher meinung bin. Jch erkenne gern, daß ein groſſer unterſchied ſeye unter der wiedergeburt, und erneurung, und daß freylich jene vor, dieſe nach gehe, jene und nicht dieſe vollkommen ſey: Alſo auch, daß nicht eben ſo gar deutlich von beyden in dem catechiſmo gehandelt werde, welches ich wuͤnſchte austruͤcklicher geſchehen zu ſeyn, ſonderlich koͤnte ich nicht wol zugeſtehen, daß der inwendige menſch ſeye nichts anders als un- ſere ſeele: Jndeſſen wo mein werther bruder, wie es ſcheinet, in der rege- neration gar keine veraͤnderung erkennen, und ſolche allein der renovation zuſchreiben will, wuͤſſte ich nicht beyzupflichten: Dann ich nicht zweiffele daß aller orten in der ſchrifft, die von der widergeburt handlen, betrachtung dieſes mitbringe, daß neben der adoption oder an kindes ſtatt anneh- mung, ſo faſt eigenlich dasjenige iſt, was ſeine beſchreibung vornemlich oder faſt allein meinet, auch in der wiedergeburt wircklich etwas gebohren o- der geſchaffen (die ſchrifft brauchet ohne unterſchied beyderley wort) werde, und daß alſo der menſch wahrhafftig nach demſelben etwas anders ſeye, o- der ſich in ihm etwas anders befinde, als er vorhin geweſen oder gehabt: nicht zwar eine neue ſubſtanz, dann wir wiſſen wol, daß es ein menſchli- ches weſen iſt, welches mit dem goͤttlichen ebenbild erſchaffen worden, nach- mal daſſelbe verlohren, und eine unartige larve des ſatans an ſich bekom- men hat, aber wiederum zu ſeiner vorigen herrlichkeit kommen ſolle, daß es alſo die ſeele und leib des menſchen ſelbſten iſt, welche wiedergebohren wer- den. Aber es wird in ihm gebohren eine neue art und natur, welche der neue menſch und innere menſch, die neue creatur, der geiſt heiſſet. Alſo heiſſets recht, was vom geiſt gebohren wird, das iſt geiſt: So wird dem nach warhafftig etwas in der wiedergeburt gewircket, das vorhin nicht da geweſen war, folglich importiret ſie mutationem in hominis natura non duntaxat in ſtatu. Wir wiſſen ja, daß wir in ſuͤnden todt gebohren, und alſo ohne geiſtliches leben, wiedergebohrne aber haben ein geiſtliches leben, welches

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/128>, abgerufen am 23.11.2024.