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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
freundliche art des vortrags, und daß man ja keine bitterkeit oder hefftigkeit
bey ihm mercke, sondern gewahr werde, wie warhafftig alles aus einer in-
niglichen liebe gegen sie und aus einer erbarmung über ihr elend herkomme.
Scheltwort und harte vorwürffe ihrer verstockung und härtigkeit verderben
die sache, und machen die gemüther nur so viel untüchtiger zu annehmung der
übrigen warheiten: Sonderlich weil in jetziger bewandnüß mit solcher ihrer
verstockung an sich selbst mehr mitleiden zu haben, als zorn da gegen zu
üben ist, und sie darinnen nicht eben an boßheit ihren voreltern gleich sind,
die ihnen dieses gericht auf den hals gezogen haben. Dahero wo man
ja ihrer härtigkeit gedencken muß, soll es alles geschehen, daß gebärden und
worte weisen, wie hertzlich man mit ihnen erbarmung trage. Es mag auch
dazu nicht wenig dienen, und in den gemüthern ein vertrauen erwecken, da-
her sie zu dem übrigen beqveme machen, wo man ihnen selbst von der vortreff-
lichkeit ihrer ankunfft, von der hoheit ihres geschlechts, von dem bund, den
der HERR mit ihnen gemacht, und dergleichen vieles sage, ihnen solches ge-
siche, und bedaure, daß ihre voreltern aus eigener schuld sie um so viel herrli-
che güter gebracht, und sie in solches elend gestürtzet haben: Wie wir hinge-
gen auch die verheissung GOTTes mit freuden erkennen, daß GOTT sein
volck nicht gantz auf ewig verstossen habe Rom. 11. sondern daß ihnen noch
eine grosse gnade bereitet seye. Wann man nun meinen wolte, man mache
sie damit allzuhochmüthig, wie es nicht ohne ist, daß sie darinnen stoltz sind, so
sage ich doch nicht, daß man ihnen etwas anders einräumen solte, als was ih-
nen GOTTes wort selbs giebet, und wir ihnen je nicht nehmen können:
Hingegen da wir solches gegen sie bekennen, ihnen das hertz etlicher massen
abgewinnen, daß sie sehen, wie wir weder ihr volck bloß dahin verachten, noch
ihnen feind seyen, sondern eine liebe gegen sie tragen. Wo ein solches ver-
trauen bey ihnen zu wege gebracht wird, hat man einen so viel mehrern ein-
gang in ihre gemüther.
9. Hiernechst ist auch hochnöthig, daß in dem vortrag und predigten
selbst wol acht gegeben werde, was sich vor den Juden handlen lasse, und
sonderlich in was ordnung die materien vorgetragen werden mögen, damit
man allezeit von den leichtern anfange, und von denselben erst weiter auf die
schwerere gehe. Die vornehmsten und schwersten geheimnüsse und der-
gleichen, die erst in dem neuen Testament mit mehrerem liecht uns vor-
gestellet werden, schicken sich nicht vor sie, sondern es müssen erstlich die je-
nigen punct[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] erwiesen werden, dadurch die autoritat des neuen Testaments
fest gesetzet wird, da nachmal die darinnen geoffenbarte geheimnüssen
von selbsten sich aus demselben darthun. Wie aber und in was ordnung
sie
Das ſiebende Capitel.
freundliche art des vortrags, und daß man ja keine bitterkeit oder hefftigkeit
bey ihm mercke, ſondern gewahr werde, wie warhafftig alles aus einer in-
niglichen liebe gegen ſie und aus einer erbarmung uͤber ihr elend herkomme.
Scheltwort und harte vorwuͤrffe ihrer verſtockung und haͤrtigkeit verderben
die ſache, und machen die gemuͤther nur ſo viel untuͤchtiger zu annehmung der
uͤbrigen warheiten: Sonderlich weil in jetziger bewandnuͤß mit ſolcher ihrer
verſtockung an ſich ſelbſt mehr mitleiden zu haben, als zorn da gegen zu
uͤben iſt, und ſie darinnen nicht eben an boßheit ihren voreltern gleich ſind,
die ihnen dieſes gericht auf den hals gezogen haben. Dahero wo man
ja ihrer haͤrtigkeit gedencken muß, ſoll es alles geſchehen, daß gebaͤrden und
worte weiſen, wie hertzlich man mit ihnen erbarmung trage. Es mag auch
dazu nicht wenig dienen, und in den gemuͤthern ein vertrauen erwecken, da-
her ſie zu dem uͤbrigen beqveme machen, wo man ihnen ſelbſt von der vortreff-
lichkeit ihrer ankunfft, von der hoheit ihres geſchlechts, von dem bund, den
der HERR mit ihnen gemacht, und dergleichen vieles ſage, ihnen ſolches ge-
ſiche, und bedaure, daß ihre voreltern aus eigener ſchuld ſie um ſo viel herrli-
che guͤter gebracht, und ſie in ſolches elend geſtuͤrtzet haben: Wie wir hinge-
gen auch die verheiſſung GOTTes mit freuden erkennen, daß GOTT ſein
volck nicht gantz auf ewig verſtoſſen habe Rom. 11. ſondern daß ihnen noch
eine groſſe gnade bereitet ſeye. Wann man nun meinen wolte, man mache
ſie damit allzuhochmuͤthig, wie es nicht ohne iſt, daß ſie darinnen ſtoltz ſind, ſo
ſage ich doch nicht, daß man ihnen etwas anders einraͤumen ſolte, als was ih-
nen GOTTes wort ſelbs giebet, und wir ihnen je nicht nehmen koͤnnen:
Hingegen da wir ſolches gegen ſie bekennen, ihnen das hertz etlicher maſſen
abgewinnen, daß ſie ſehen, wie wir weder ihr volck bloß dahin verachten, noch
ihnen feind ſeyen, ſondern eine liebe gegen ſie tragen. Wo ein ſolches ver-
trauen bey ihnen zu wege gebracht wird, hat man einen ſo viel mehrern ein-
gang in ihre gemuͤther.
9. Hiernechſt iſt auch hochnoͤthig, daß in dem vortrag und predigten
ſelbſt wol acht gegeben werde, was ſich vor den Juden handlen laſſe, und
ſonderlich in was ordnung die materien vorgetragen werden moͤgen, damit
man allezeit von den leichtern anfange, und von denſelben erſt weiter auf die
ſchwerere gehe. Die vornehmſten und ſchwerſten geheimnuͤſſe und der-
gleichen, die erſt in dem neuen Teſtament mit mehrerem liecht uns vor-
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von ſelbſten ſich aus demſelben darthun. Wie aber und in was ordnung
ſie
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[94/0106] Das ſiebende Capitel. freundliche art des vortrags, und daß man ja keine bitterkeit oder hefftigkeit bey ihm mercke, ſondern gewahr werde, wie warhafftig alles aus einer in- niglichen liebe gegen ſie und aus einer erbarmung uͤber ihr elend herkomme. Scheltwort und harte vorwuͤrffe ihrer verſtockung und haͤrtigkeit verderben die ſache, und machen die gemuͤther nur ſo viel untuͤchtiger zu annehmung der uͤbrigen warheiten: Sonderlich weil in jetziger bewandnuͤß mit ſolcher ihrer verſtockung an ſich ſelbſt mehr mitleiden zu haben, als zorn da gegen zu uͤben iſt, und ſie darinnen nicht eben an boßheit ihren voreltern gleich ſind, die ihnen dieſes gericht auf den hals gezogen haben. Dahero wo man ja ihrer haͤrtigkeit gedencken muß, ſoll es alles geſchehen, daß gebaͤrden und worte weiſen, wie hertzlich man mit ihnen erbarmung trage. Es mag auch dazu nicht wenig dienen, und in den gemuͤthern ein vertrauen erwecken, da- her ſie zu dem uͤbrigen beqveme machen, wo man ihnen ſelbſt von der vortreff- lichkeit ihrer ankunfft, von der hoheit ihres geſchlechts, von dem bund, den der HERR mit ihnen gemacht, und dergleichen vieles ſage, ihnen ſolches ge- ſiche, und bedaure, daß ihre voreltern aus eigener ſchuld ſie um ſo viel herrli- che guͤter gebracht, und ſie in ſolches elend geſtuͤrtzet haben: Wie wir hinge- gen auch die verheiſſung GOTTes mit freuden erkennen, daß GOTT ſein volck nicht gantz auf ewig verſtoſſen habe Rom. 11. ſondern daß ihnen noch eine groſſe gnade bereitet ſeye. Wann man nun meinen wolte, man mache ſie damit allzuhochmuͤthig, wie es nicht ohne iſt, daß ſie darinnen ſtoltz ſind, ſo ſage ich doch nicht, daß man ihnen etwas anders einraͤumen ſolte, als was ih- nen GOTTes wort ſelbs giebet, und wir ihnen je nicht nehmen koͤnnen: Hingegen da wir ſolches gegen ſie bekennen, ihnen das hertz etlicher maſſen abgewinnen, daß ſie ſehen, wie wir weder ihr volck bloß dahin verachten, noch ihnen feind ſeyen, ſondern eine liebe gegen ſie tragen. Wo ein ſolches ver- trauen bey ihnen zu wege gebracht wird, hat man einen ſo viel mehrern ein- gang in ihre gemuͤther. 9. Hiernechſt iſt auch hochnoͤthig, daß in dem vortrag und predigten ſelbſt wol acht gegeben werde, was ſich vor den Juden handlen laſſe, und ſonderlich in was ordnung die materien vorgetragen werden moͤgen, damit man allezeit von den leichtern anfange, und von denſelben erſt weiter auf die ſchwerere gehe. Die vornehmſten und ſchwerſten geheimnuͤſſe und der- gleichen, die erſt in dem neuen Teſtament mit mehrerem liecht uns vor- geſtellet werden, ſchicken ſich nicht vor ſie, ſondern es muͤſſen erſtlich die je- nigen punct_ erwieſen werden, dadurch die autoritàt des neuen Teſtaments feſt geſetzet wird, da nachmal die darinnen geoffenbarte geheimnuͤſſen von ſelbſten ſich aus demſelben darthun. Wie aber und in was ordnung ſie

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/106>, abgerufen am 23.11.2024.