Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. I. SECTIO XVIII. sen dörffen) schuldige liebe, sonderlich aber versäumet er sein amt an diesen e-lenden leuten, und geniesset alles vortheils von ihnen mit sünden, indem er ih- nen dasjenige davor nicht wiederfahren lässet, was sein christliches Regenten- amt erfordert hätte, also daß die arme seelen, welche sonsten durch seine treue hätten mögen erhalten, nun aber in ihrem unglauben gelassen werden, an je- nem grossen tag vor Gottes gericht sie anklagen, und ihre gerechte verdamnüß deßwegen werden fordern können. Hieran haben sie allezeit zu gedencken, daß ihnen der HERR die Juden ja nicht dazu in ihre lande gegeben habe, daß sie zeitlichen profit von ihnen ziehen, sondern daß diese von ihnen in dem geistlichen nutzen schöpffen mögen: wie sie dann auch insgesamt von GOtt, wie sonsten in die welt, also auch unter die Christen, verstreuet sind, diesen so wol ein exempel göttlichen gerichts zur warnung, als eine gelegenheit zur ü- bung der liebe zu werden. 2. Gleichwol hat sich eine christliche Obrigkeit wol zu bescheiden, wie sie solches werck anstelle, daß das gute auch auf gute weise vollbracht werde. Gewaltthätige mittel mögen es nicht thun, sondern verderben, was man ge- dachte gut zu machen. Sie müssen gedencken, die bekehrung gehöre zu dem geistlichen reich Christi: welches nicht von dieser welt ist, und also alle weltliche gewalt darinnen keinen platz nicht hat. Ob sie also wol ihr eigenlich regi- ment in dem weltlichen also führen, daß sie sich auch einiger gewaltthätigkeit und zwangs-mittel gegen diejenige gebrauchen dörffen, welche die güte an sich nicht wollen verfangen lassen, so müssen sie doch wissen, daß solche mittel durchaus nicht statt haben in den dingen, darinnen sie zu dem geistlichen reich Christi beförderung thun sollen, sondern es müssen diese mittel dem geist- lichen zweck gemäß seyn. Dahero zu der Juden bekehrung nicht gebraucht oder vor genommen werden muß, was einem seiner religion verständigem Ju- den blosser dings wider sein gewissen ist. Hingegen muß alles dahin gerich- tet werden, daß man zwar seiner seits die von dem HErrn geheiligte mittel an- wende, ob sie einige frucht bey etlichen bringen möchten, die herrschaft aber über die gewissen dem HErrn HErrn allein überlasse. 3. Wo nun von den mitteln selbs zu reden ist, so sind einige nebens- mittel, die auch nicht zu verachten sind, ob sie gleich nicht die bekehrung der armen leute wircken, jedoch die hindernüssen etlicher massen wegräumen. Jch hielte vor ein stattliches mittel, da die Juden zu einer andern lebens-art insgemein gebracht werden könten, als sie itzo sich mit handelschafft und schachern ernehren. Dann diese art lebens braucht auch bey denen, die ziemliche mittel haben, mehrere sorgen stets in dem gemüth, als daß sie leicht bequem wären, in sich selbst zu gehen: was aber die ärmere Juden anlangt, deren IV. Theil. m
ARTIC. I. SECTIO XVIII. ſen doͤrffen) ſchuldige liebe, ſonderlich aber verſaͤumet er ſein amt an dieſen e-lenden leuten, und genieſſet alles vortheils von ihnen mit ſuͤnden, indem er ih- nen dasjenige davor nicht wiederfahren laͤſſet, was ſein chriſtliches Regenten- amt erfordert haͤtte, alſo daß die arme ſeelen, welche ſonſten durch ſeine treue haͤtten moͤgen erhalten, nun aber in ihrem unglauben gelaſſen werden, an je- nem groſſen tag vor Gottes gericht ſie anklagen, und ihre gerechte verdamnuͤß deßwegen werden fordern koͤnnen. Hieran haben ſie allezeit zu gedencken, daß ihnen der HERR die Juden ja nicht dazu in ihre lande gegeben habe, daß ſie zeitlichen profit von ihnen ziehen, ſondern daß dieſe von ihnen in dem geiſtlichen nutzen ſchoͤpffen moͤgen: wie ſie dann auch insgeſamt von GOtt, wie ſonſten in die welt, alſo auch unter die Chriſten, verſtreuet ſind, dieſen ſo wol ein exempel goͤttlichen gerichts zur warnung, als eine gelegenheit zur uͤ- bung der liebe zu werden. 2. Gleichwol hat ſich eine chriſtliche Obrigkeit wol zu beſcheiden, wie ſie ſolches werck anſtelle, daß das gute auch auf gute weiſe vollbracht werde. Gewaltthaͤtige mittel moͤgen es nicht thun, ſondern verderben, was man ge- dachte gut zu machen. Sie muͤſſen gedencken, die bekehrung gehoͤre zu dem geiſtlichen reich Chriſti: welches nicht von dieſer welt iſt, und alſo alle weltliche gewalt darinnen keinen platz nicht hat. Ob ſie alſo wol ihr eigenlich regi- ment in dem weltlichen alſo fuͤhren, daß ſie ſich auch einiger gewaltthaͤtigkeit und zwangs-mittel gegen diejenige gebrauchen doͤrffen, welche die guͤte an ſich nicht wollen verfangen laſſen, ſo muͤſſen ſie doch wiſſen, daß ſolche mittel durchaus nicht ſtatt haben in den dingen, darinnen ſie zu dem geiſtlichen reich Chriſti befoͤrderung thun ſollen, ſondern es muͤſſen dieſe mittel dem geiſt- lichen zweck gemaͤß ſeyn. Dahero zu der Juden bekehrung nicht gebraucht oder vor genommen werden muß, was einem ſeiner religion verſtaͤndigem Ju- den bloſſer dings wider ſein gewiſſen iſt. Hingegen muß alles dahin gerich- tet werden, daß man zwar ſeiner ſeits die von dem HErrn geheiligte mittel an- wende, ob ſie einige frucht bey etlichen bringen moͤchten, die herrſchaft aber uͤber die gewiſſen dem HErrn HErrn allein uͤberlaſſe. 3. Wo nun von den mitteln ſelbs zu reden iſt, ſo ſind einige nebens- mittel, die auch nicht zu verachten ſind, ob ſie gleich nicht die bekehrung der armen leute wircken, jedoch die hindernuͤſſen etlicher maſſen wegraͤumen. Jch hielte vor ein ſtattliches mittel, da die Juden zu einer andern lebens-art insgemein gebracht werden koͤnten, als ſie itzo ſich mit handelſchafft und ſchachern ernehren. Dann dieſe art lebens braucht auch bey denen, die ziemliche mittel haben, mehrere ſorgen ſtets in dem gemuͤth, als daß ſie leicht bequem waͤren, in ſich ſelbſt zu gehen: was aber die aͤrmere Juden anlangt, deren IV. Theil. m
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nen dasjenige davor nicht wiederfahren laͤſſet, was ſein chriſtliches Regenten-
amt erfordert haͤtte, alſo daß die arme ſeelen, welche ſonſten durch ſeine treue
haͤtten moͤgen erhalten, nun aber in ihrem unglauben gelaſſen werden, an je-
nem groſſen tag vor Gottes gericht ſie anklagen, und ihre gerechte verdamnuͤß
deßwegen werden fordern koͤnnen. Hieran haben ſie allezeit zu gedencken,
daß ihnen der HERR die Juden ja nicht dazu in ihre lande gegeben habe,
daß ſie zeitlichen profit von ihnen ziehen, ſondern daß dieſe von ihnen in dem
geiſtlichen nutzen ſchoͤpffen moͤgen: wie ſie dann auch insgeſamt von GOtt,
wie ſonſten in die welt, alſo auch unter die Chriſten, verſtreuet ſind, dieſen ſo
wol ein exempel goͤttlichen gerichts zur warnung, als eine gelegenheit zur uͤ-
bung der liebe zu werden.
2. Gleichwol hat ſich eine chriſtliche Obrigkeit wol zu beſcheiden, wie
ſie ſolches werck anſtelle, daß das gute auch auf gute weiſe vollbracht werde.
Gewaltthaͤtige mittel moͤgen es nicht thun, ſondern verderben, was man ge-
dachte gut zu machen. Sie muͤſſen gedencken, die bekehrung gehoͤre zu dem
geiſtlichen reich Chriſti: welches nicht von dieſer welt iſt, und alſo alle weltliche
gewalt darinnen keinen platz nicht hat. Ob ſie alſo wol ihr eigenlich regi-
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und zwangs-mittel gegen diejenige gebrauchen doͤrffen, welche die guͤte an
ſich nicht wollen verfangen laſſen, ſo muͤſſen ſie doch wiſſen, daß ſolche mittel
durchaus nicht ſtatt haben in den dingen, darinnen ſie zu dem geiſtlichen
reich Chriſti befoͤrderung thun ſollen, ſondern es muͤſſen dieſe mittel dem geiſt-
lichen zweck gemaͤß ſeyn. Dahero zu der Juden bekehrung nicht gebraucht
oder vor genommen werden muß, was einem ſeiner religion verſtaͤndigem Ju-
den bloſſer dings wider ſein gewiſſen iſt. Hingegen muß alles dahin gerich-
tet werden, daß man zwar ſeiner ſeits die von dem HErrn geheiligte mittel an-
wende, ob ſie einige frucht bey etlichen bringen moͤchten, die herrſchaft aber
uͤber die gewiſſen dem HErrn HErrn allein uͤberlaſſe.
3. Wo nun von den mitteln ſelbs zu reden iſt, ſo ſind einige nebens-
mittel, die auch nicht zu verachten ſind, ob ſie gleich nicht die bekehrung der
armen leute wircken, jedoch die hindernuͤſſen etlicher maſſen wegraͤumen.
Jch hielte vor ein ſtattliches mittel, da die Juden zu einer andern lebens-art
insgemein gebracht werden koͤnten, als ſie itzo ſich mit handelſchafft und
ſchachern ernehren. Dann dieſe art lebens braucht auch bey denen, die
ziemliche mittel haben, mehrere ſorgen ſtets in dem gemuͤth, als daß ſie leicht
bequem waͤren, in ſich ſelbſt zu gehen: was aber die aͤrmere Juden anlangt,
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