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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.

JN dessen schreiben/ hat mich unterschiedliches sonderlich erfreuet: Wann
ich daraus meines wehrten Herrn zustand ziemlicher massen eingesehen zu
haben getraue. Da ich also zum allerfördersten billich des himmlischen Va-
ters güte und weißheit auch heilige führung erkenne und preise/ welche sich in des-
selben herbeyführung offenbahret hat. Dem ich dann billich zu schreibe den hertz-
lichen trieb noch zeit voriger Päpstischer bekäntnüß/ sich stets in dem neuen Testa-
ment umzusehen/ und also einen grund des glaubens zulegen; ferner daß dem-
selben die Augspurgische bekäntnüß zu händen kommen/ GOTT aber sein liecht
dazu verliehen hat/ die irrthüme und abgötterey des Papstums zu erkennen/ und
die wahrheit unsrer lehre denenselben/ auch mit hindansetzung des seinigen in Franck-
reich/ vorzuziehen. Nachdem aber aus dem Papstum mehrere zu uns kommen/
die nur gleichlam den blossen nahmen ändern/ von denen aber in dem übrigen
unsre kirche wenig nutzen oder erbauung erlanget/ vielmehr manche ärgernüß lei-
den muß/ welches unsre freude über die ankommende offt vermindert/ so hat mich
billig dieses hingegen ferner erfreuet/ daß aus dem brieff nicht allein eine hertzliche
intention/ GOTT treulich in der erlangten erkäntnüß und auch zu derselben
ausbreitung zu dienen/ sondern auch dieses/ ersehen/ daß dessen erkäntnüß rechter
art seye/ darvon man auch künfftig alles beste hoffen mag: worinnen ich bekräff-
tiget werde/ wann ich ansehe/ daß man die heilige Schrifft allein zu seinem grunde
leget/ aus deroselben Göttlicher offenbahrung viel lieber als menschlichen meinun-
gen alles herzunehmen/ welches dann einrecht gesegneter und der wahrhafftig festeste
grund ist/ welchen der höllenpforten nicht zu überwältigen vermögen. Jch neh-
me auch daraus ab/ daß derselbige mit der schrifft gebührend umgehe/ nehmlich
nicht allein vermittelst menschlichen fleisses und gebrauchs des eignen verstands aus
derselben eine buchstäbliche erkäntnüß zu wege zubringen/ sondern aus GOTT
durch solches sein wort gelehret zu werden/ wohin ich ziehe/ die meldung der sal-
bung des heiligen Geistes/
von dem wir Christen alles haben müssen/ was eine le-
bendige erkäntnüß seyen solle/ dardurch auch die jenige erkäntnüß/ welche wir predi-
ger bey unsern amt bedörffen/ geheiliget werden muß: also daß derheilige Geist das
jenige/ was er vor dem durch die Propheten und Apostel/ welche er unmittelbahr
erleuchtet/ geredet und auffgezeichnet hat/ auch in unsern hertzen/ da wir solches le-
sen und betrachten/ lebendig machet/ und gleichsam auffs neue redet. Wiewol
leider diese salbung viel seltzamer und rarer ist/ als seyen solte: Daraus aber ge-
schiehet/ das Christen ohne salbung eben deswegen auch nicht Christen sind/ noch
ihr vermeinter glaube vor einen glauben/ sondern nur eine unfruchtbahre und
müßige einbildung oder auffs höchste wissenschafft gehalten werden mag: Die
Prediger aber ohne die salbung sind nicht viel besser als thönennes ertz und klingende
schellen/ daher sie weder selbs selig werden/ noch auch alles das jenige auszurichten

ver-
Das ſechſte Capitel.

JN deſſen ſchreiben/ hat mich unterſchiedliches ſonderlich erfreuet: Wann
ich daraus meines wehrten Herrn zuſtand ziemlicher maſſen eingeſehen zu
haben getraue. Da ich alſo zum allerfoͤrderſten billich des himmliſchen Va-
ters guͤte und weißheit auch heilige fuͤhrung erkenne und preiſe/ welche ſich in deſ-
ſelben herbeyfuͤhrung offenbahret hat. Dem ich dann billich zu ſchreibe den hertz-
lichen trieb noch zeit voriger Paͤpſtiſcher bekaͤntnuͤß/ ſich ſtets in dem neuen Teſta-
ment umzuſehen/ und alſo einen grund des glaubens zulegen; ferner daß dem-
ſelben die Augſpurgiſche bekaͤntnuͤß zu haͤnden kommen/ GOTT aber ſein liecht
dazu verliehen hat/ die irrthuͤme und abgoͤtterey des Papſtums zu erkennen/ und
die wahrheit unſrer lehꝛe denenſelben/ auch mit hindanſetzung des ſeinigen in Fꝛanck-
reich/ vorzuziehen. Nachdem aber aus dem Papſtum mehrere zu uns kommen/
die nur gleichlam den bloſſen nahmen aͤndern/ von denen aber in dem uͤbrigen
unſre kirche wenig nutzen oder erbauung erlanget/ vielmehr manche aͤrgernuͤß lei-
den muß/ welches unſre freude uͤber die ankommende offt vermindert/ ſo hat mich
billig dieſes hingegen ferner erfreuet/ daß aus dem brieff nicht allein eine hertzliche
intention/ GOTT treulich in der erlangten erkaͤntnuͤß und auch zu derſelben
ausbreitung zu dienen/ ſondern auch dieſes/ erſehen/ daß deſſen erkaͤntnuͤß rechter
art ſeye/ darvon man auch kuͤnfftig alles beſte hoffen mag: worinnen ich bekraͤff-
tiget werde/ wann ich anſehe/ daß man die heilige Schrifft allein zu ſeinem grunde
leget/ aus deroſelben Goͤttlicher offenbahrung viel lieber als menſchlichen meinun-
gen alles herzunehmen/ welches dañ einrecht geſegneter und der wahrhafftig feſteſte
grund iſt/ welchen der hoͤllenpforten nicht zu uͤberwaͤltigen vermoͤgen. Jch neh-
me auch daraus ab/ daß derſelbige mit der ſchrifft gebuͤhrend umgehe/ nehmlich
nicht allein vermittelſt menſchlichen fleiſſes und gebrauchs des eignen verſtands aus
derſelben eine buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß zu wege zubringen/ ſondern aus GOTT
durch ſolches ſein wort gelehret zu werden/ wohin ich ziehe/ die meldung der ſal-
bung des heiligen Geiſtes/
von dem wir Chriſten alles haben muͤſſen/ was eine le-
bendige erkaͤntnuͤß ſeyen ſolle/ dardurch auch die jenige erkaͤntnuͤß/ welche wir predi-
ger bey unſern amt bedoͤrffen/ geheiliget werden muß: alſo daß derheilige Geiſt das
jenige/ was er vor dem durch die Propheten und Apoſtel/ welche er unmittelbahr
erleuchtet/ geredet und auffgezeichnet hat/ auch in unſern hertzen/ da wir ſolches le-
ſen und betrachten/ lebendig machet/ und gleichſam auffs neue redet. Wiewol
leider dieſe ſalbung viel ſeltzamer und rarer iſt/ als ſeyen ſolte: Daraus aber ge-
ſchiehet/ das Chriſten ohne ſalbung eben deswegen auch nicht Chriſten ſind/ noch
ihr vermeinter glaube vor einen glauben/ ſondern nur eine unfruchtbahre und
muͤßige einbildung oder auffs hoͤchſte wiſſenſchafft gehalten werden mag: Die
Prediger aber ohne die ſalbung ſind nicht viel beſſer als thoͤnennes ertz und klingende
ſchellen/ daher ſie weder ſelbs ſelig werden/ noch auch alles das jenige auszurichten

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[932/0950] Das ſechſte Capitel. JN deſſen ſchreiben/ hat mich unterſchiedliches ſonderlich erfreuet: Wann ich daraus meines wehrten Herrn zuſtand ziemlicher maſſen eingeſehen zu haben getraue. Da ich alſo zum allerfoͤrderſten billich des himmliſchen Va- ters guͤte und weißheit auch heilige fuͤhrung erkenne und preiſe/ welche ſich in deſ- ſelben herbeyfuͤhrung offenbahret hat. Dem ich dann billich zu ſchreibe den hertz- lichen trieb noch zeit voriger Paͤpſtiſcher bekaͤntnuͤß/ ſich ſtets in dem neuen Teſta- ment umzuſehen/ und alſo einen grund des glaubens zulegen; ferner daß dem- ſelben die Augſpurgiſche bekaͤntnuͤß zu haͤnden kommen/ GOTT aber ſein liecht dazu verliehen hat/ die irrthuͤme und abgoͤtterey des Papſtums zu erkennen/ und die wahrheit unſrer lehꝛe denenſelben/ auch mit hindanſetzung des ſeinigen in Fꝛanck- reich/ vorzuziehen. Nachdem aber aus dem Papſtum mehrere zu uns kommen/ die nur gleichlam den bloſſen nahmen aͤndern/ von denen aber in dem uͤbrigen unſre kirche wenig nutzen oder erbauung erlanget/ vielmehr manche aͤrgernuͤß lei- den muß/ welches unſre freude uͤber die ankommende offt vermindert/ ſo hat mich billig dieſes hingegen ferner erfreuet/ daß aus dem brieff nicht allein eine hertzliche intention/ GOTT treulich in der erlangten erkaͤntnuͤß und auch zu derſelben ausbreitung zu dienen/ ſondern auch dieſes/ erſehen/ daß deſſen erkaͤntnuͤß rechter art ſeye/ darvon man auch kuͤnfftig alles beſte hoffen mag: worinnen ich bekraͤff- tiget werde/ wann ich anſehe/ daß man die heilige Schrifft allein zu ſeinem grunde leget/ aus deroſelben Goͤttlicher offenbahrung viel lieber als menſchlichen meinun- gen alles herzunehmen/ welches dañ einrecht geſegneter und der wahrhafftig feſteſte grund iſt/ welchen der hoͤllenpforten nicht zu uͤberwaͤltigen vermoͤgen. Jch neh- me auch daraus ab/ daß derſelbige mit der ſchrifft gebuͤhrend umgehe/ nehmlich nicht allein vermittelſt menſchlichen fleiſſes und gebrauchs des eignen verſtands aus derſelben eine buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß zu wege zubringen/ ſondern aus GOTT durch ſolches ſein wort gelehret zu werden/ wohin ich ziehe/ die meldung der ſal- bung des heiligen Geiſtes/ von dem wir Chriſten alles haben muͤſſen/ was eine le- bendige erkaͤntnuͤß ſeyen ſolle/ dardurch auch die jenige erkaͤntnuͤß/ welche wir predi- ger bey unſern amt bedoͤrffen/ geheiliget werden muß: alſo daß derheilige Geiſt das jenige/ was er vor dem durch die Propheten und Apoſtel/ welche er unmittelbahr erleuchtet/ geredet und auffgezeichnet hat/ auch in unſern hertzen/ da wir ſolches le- ſen und betrachten/ lebendig machet/ und gleichſam auffs neue redet. Wiewol leider dieſe ſalbung viel ſeltzamer und rarer iſt/ als ſeyen ſolte: Daraus aber ge- ſchiehet/ das Chriſten ohne ſalbung eben deswegen auch nicht Chriſten ſind/ noch ihr vermeinter glaube vor einen glauben/ ſondern nur eine unfruchtbahre und muͤßige einbildung oder auffs hoͤchſte wiſſenſchafft gehalten werden mag: Die Prediger aber ohne die ſalbung ſind nicht viel beſſer als thoͤnennes ertz und klingende ſchellen/ daher ſie weder ſelbs ſelig werden/ noch auch alles das jenige auszurichten ver-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/950>, abgerufen am 21.11.2024.