Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

Bild:
<< vorherige Seite

Das sechste Capitel.
terlassen/ einige solche äusserliche wercke zu verrichten (dann sonsten müsten sie selbst offentlich vor
unchristen darstellen) aber doch keinen eiffer an der heiligung bey sich anwenden/ sondern entweder
niemal etwas mit ernst angreiffen/ oder wenn es ja nicht gleich von statten gehen will/ die hände so
bald sincken lassen/ und also in der trägheit so einschlaffen/ daß sie nie einen rechten ernst anwenden.
Diese art der trägheit gehöret unter die sünden/ die der mensch ohne kampff bey sich herrschen läs-
set/ und also welche ohne zweiffel denselben von der seligkeit in solchem stande ausschliessen. Die
andre art der trägheit ist die jenige/ wo ein Christ von grund seiner seelen verlanget seinem GOtt
ernstlich zu dienen/ und alle dahin gehende übungen mit eiffer zu verrichten/ auch zu weilen zu eini-
gem solchen ernst kommet/ aber nicht nur fühlet/ wie ihm alles/ was er gutes thun will/ sauer an-
kommet/ und er sich gleichsam stets gewalt anthun muß/ sondern auch so bald er nur etwas von
seinem wachen und ihm selbst anthuender gewalt ablässet/ gleich eine solche trägheit spühret/ wel-
che wo er sich nicht bald aufmunterte/ viel gutes gar unterbleiben machen würde/ und wenn er die
sache wieder angreiffet/ ihn nicht viel weniger zurück hält/ als die in GOtt gefaßte resolution fort-
reisset: Er hält aber solches vor sein ereutz und leiden/ seufftzet dagegen/ ruffet GOtt um seine
hülffe an/ und widerstehet solcher trägheit mit dem gebrauch der auffmunterungs mittel nach sei-
nem vermögen. Diese trägheit gehöret nun unter die schwachheit-sünden/ ist eine frucht der un-
vollkommenheit unsrer erneuerung/ und setzet den menschen nicht aus dem gnaden-stand. Wie-
wol sie auch ihre grade hat/ und mehrmal viel schuld bey dem menschen seyn kan/ der wo er sich
göttlicher gnade mit mehrer sorgfalt gebrauchet hätte/ viel stärcker seyn/ und sich der trägheit mit
mehr nachdruck widersetzen könte/ in welchem fall gleichwol der zustand eines solchen so viel ge-
fährlicher ist/ und so viel eher geschehen kan/ daß die trägheit gar überhand nehme/ und vollends
allen eiffer des guten austilge. Wie denn nun bey verspührung der trägheit ein Christ sich vor-
sichtig zu halten/ und ja zu hüten hat/ damit er nicht möge von derselben gar überwunden wer-
den/ sondern vielmehr sie abzulegen/ so hat er gleichwol als lang nicht allein das innigliche ver-
langen nach mehrern eiffer/ die bestrebung nach stäter aufmunterung und das mißfallen an seiner
trägheit vorhanden sind/ aus solcher noch übrigen trägheit seinen gnaden-stand nicht in zweiffel zu
ziehen. Dann 1. gehöret es unter die rechte der kinder Gottes/ daß weil und so lange sie in Chri-
sto JEsu sind/ das fleisch/ nach dem sie gleichwol nicht wandeln/ ihnen auch nicht verdammlich seyn
kan: nun ist solche trägheit nichts anders als ein stück ihrer natürlichen verderbniß und dero
nechste wirckung. So lang sie also dermassen bey ihnen ist/ daß sie derselben nicht muthwillig
nachhängen/ bleiben sie dabey Gottes angenehme und liebe kinder. 2. Jst der gegen sie hochgeprie-
senen güte Gottes allerdings zu wider/ daß er um des jenigen willen seine kinder verstossen solte/
was selbst ihr schmertzliches ereutz ist/ und sie ein recht innigliches mißfallen daran haben/ deswe-
gen tag und nacht um die erlösung von denselben zu ihm seufftzen. Da kans nicht anders seyn/ als
daß der HErr vielmehr mitleiden mit solchem ihrem elend habe/ als deswegen mit ihnen zürne.
3. Es gehöret auch dieses zu der beschreibung des zustands des lieben Apostels/ wenn er klagt/ das
vollbringen finde er bey den wollen nicht/ und was er wolle/ das thue er nicht Rom. 7/ 15. 18. Nicht
ob hätte er/ wo er sich was gutes vorgesetzt/ keinen fleiß gebraucht/ dasselbige zu verrichten/ son-
dern daß er dabey eine solche trägheit der natur gefühlt/ die ihn immer zurück gehalten/ als das
gute/ was er verrichtet/ bey weitem nicht so völlig gewesen/ als er sichs vorgenommen/ und es ohne
solche noch übrige trägheit und widerstand würde worden seyn. Jndessen war der liebe Apostel
ein angenehmes kind Gottes/ und in deßen seiner gnade. 4. Wie GOtt in andern stücken alles/
auch das böse zu seiner liebhaber besten weißt und pfleget zu richten/ also auch geschihet es mit die-
ser trägheit und fühlung derselben. Wir sind nicht nur sonsten verdorben/ sondern unsre verderb-
niß mißbrauchet sich offt selbst des guten an uns/ und wo wir in dem Christenthum weit gekom-
men sind/ und etwa viele andre sünden überwunden haben/ überlistet sie uns/ daß sie einiges gefal-
len an uns selbst erwecket in uns/ daß wir uns selbst erheben; welcher geistliche hochmuth/ wie er
ziemlich verborgen und uns unerkantlich ist/ so ist er uns so viel gefährlicher/ und gar zu leicht ge-
schehen/ daß wir drüber verlohren gehen/ also daß GOtt seinem theuren Apostel 2. Cor. 12/ 7. ein
sehr hartes und schmertzliches artzney-mittel gegen diese kranckheit verordnen muste. Es ist aber

diese

Das ſechſte Capitel.
terlaſſen/ einige ſolche aͤuſſerliche wercke zu verrichten (dann ſonſten muͤſten ſie ſelbſt offentlich vor
unchriſten darſtellen) aber doch keinen eiffer an der heiligung bey ſich anwenden/ ſondern entweder
niemal etwas mit ernſt angreiffen/ oder wenn es ja nicht gleich von ſtatten gehen will/ die haͤnde ſo
bald ſincken laſſen/ und alſo in der traͤgheit ſo einſchlaffen/ daß ſie nie einen rechten ernſt anwenden.
Dieſe art der traͤgheit gehoͤret unter die ſuͤnden/ die der menſch ohne kampff bey ſich herrſchen laͤſ-
ſet/ und alſo welche ohne zweiffel denſelben von der ſeligkeit in ſolchem ſtande ausſchlieſſen. Die
andre art der traͤgheit iſt die jenige/ wo ein Chriſt von grund ſeiner ſeelen verlanget ſeinem GOtt
ernſtlich zu dienen/ und alle dahin gehende uͤbungen mit eiffer zu verrichten/ auch zu weilen zu eini-
gem ſolchen ernſt kommet/ aber nicht nur fuͤhlet/ wie ihm alles/ was er gutes thun will/ ſauer an-
kommet/ und er ſich gleichſam ſtets gewalt anthun muß/ ſondern auch ſo bald er nur etwas von
ſeinem wachen und ihm ſelbſt anthuender gewalt ablaͤſſet/ gleich eine ſolche traͤgheit ſpuͤhret/ wel-
che wo er ſich nicht bald aufmunterte/ viel gutes gar unterbleiben machen wuͤrde/ und wenn er die
ſache wieder angreiffet/ ihn nicht viel weniger zuruͤck haͤlt/ als die in GOtt gefaßte reſolution fort-
reiſſet: Er haͤlt aber ſolches vor ſein ereutz und leiden/ ſeufftzet dagegen/ ruffet GOtt um ſeine
huͤlffe an/ und widerſtehet ſolcher traͤgheit mit dem gebrauch der auffmunterungs mittel nach ſei-
nem vermoͤgen. Dieſe traͤgheit gehoͤret nun unter die ſchwachheit-ſuͤnden/ iſt eine frucht der un-
vollkommenheit unſrer erneuerung/ und ſetzet den menſchen nicht aus dem gnaden-ſtand. Wie-
wol ſie auch ihre grade hat/ und mehrmal viel ſchuld bey dem menſchen ſeyn kan/ der wo er ſich
goͤttlicher gnade mit mehrer ſorgfalt gebrauchet haͤtte/ viel ſtaͤrcker ſeyn/ und ſich der traͤgheit mit
mehr nachdruck widerſetzen koͤnte/ in welchem fall gleichwol der zuſtand eines ſolchen ſo viel ge-
faͤhrlicher iſt/ und ſo viel eher geſchehen kan/ daß die traͤgheit gar uͤberhand nehme/ und vollends
allen eiffer des guten austilge. Wie denn nun bey verſpuͤhrung der traͤgheit ein Chriſt ſich vor-
ſichtig zu halten/ und ja zu huͤten hat/ damit er nicht moͤge von derſelben gar uͤberwunden wer-
den/ ſondern vielmehr ſie abzulegen/ ſo hat er gleichwol als lang nicht allein das innigliche ver-
langen nach mehrern eiffer/ die beſtrebung nach ſtaͤter aufmunterung und das mißfallen an ſeiner
traͤgheit vorhanden ſind/ aus ſolcher noch uͤbrigen traͤgheit ſeinen gnaden-ſtand nicht in zweiffel zu
ziehen. Dann 1. gehoͤret es unter die rechte der kinder Gottes/ daß weil und ſo lange ſie in Chri-
ſto JEſu ſind/ das fleiſch/ nach dem ſie gleichwol nicht wandeln/ ihnen auch nicht verdam̃lich ſeyn
kan: nun iſt ſolche traͤgheit nichts anders als ein ſtuͤck ihrer natuͤrlichen verderbniß und dero
nechſte wirckung. So lang ſie alſo dermaſſen bey ihnen iſt/ daß ſie derſelben nicht muthwillig
nachhaͤngen/ bleiben ſie dabey Gottes angenehme und liebe kinder. 2. Jſt der gegen ſie hochgeprie-
ſenen guͤte Gottes allerdings zu wider/ daß er um des jenigen willen ſeine kinder verſtoſſen ſolte/
was ſelbſt ihr ſchmertzliches ereutz iſt/ und ſie ein recht innigliches mißfallen daran haben/ deswe-
gen tag und nacht um die erloͤſung von denſelben zu ihm ſeufftzen. Da kans nicht anders ſeyn/ als
daß der HErr vielmehr mitleiden mit ſolchem ihrem elend habe/ als deswegen mit ihnen zuͤrne.
3. Es gehoͤret auch dieſes zu der beſchreibung des zuſtands des lieben Apoſtels/ wenn er klagt/ das
vollbringen finde er bey den wollen nicht/ und was er wolle/ das thue er nicht Rom. 7/ 15. 18. Nicht
ob haͤtte er/ wo er ſich was gutes vorgeſetzt/ keinen fleiß gebraucht/ daſſelbige zu verrichten/ ſon-
dern daß er dabey eine ſolche traͤgheit der natur gefuͤhlt/ die ihn immer zuruͤck gehalten/ als das
gute/ was er verrichtet/ bey weitem nicht ſo voͤllig geweſen/ als er ſichs vorgenommen/ und es ohne
ſolche noch uͤbrige traͤgheit und widerſtand wuͤrde worden ſeyn. Jndeſſen war der liebe Apoſtel
ein angenehmes kind Gottes/ und in deßen ſeiner gnade. 4. Wie GOtt in andern ſtuͤcken alles/
auch das boͤſe zu ſeiner liebhaber beſten weißt und pfleget zu richten/ alſo auch geſchihet es mit die-
ſer traͤgheit und fuͤhlung derſelben. Wir ſind nicht nur ſonſten verdorben/ ſondern unſre verderb-
niß mißbrauchet ſich offt ſelbſt des guten an uns/ und wo wir in dem Chriſtenthum weit gekom-
men ſind/ und etwa viele andre ſuͤnden uͤberwunden haben/ uͤberliſtet ſie uns/ daß ſie einiges gefal-
len an uns ſelbſt erwecket in uns/ daß wir uns ſelbſt erheben; welcher geiſtliche hochmuth/ wie er
ziemlich verborgen und uns unerkantlich iſt/ ſo iſt er uns ſo viel gefaͤhrlicher/ und gar zu leicht ge-
ſchehen/ daß wir druͤber verlohren gehen/ alſo daß GOtt ſeinem theuren Apoſtel 2. Cor. 12/ 7. ein
ſehr hartes und ſchmertzliches artzney-mittel gegen dieſe kranckheit verordnen muſte. Es iſt aber

dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0786" n="768"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das &#x017F;ech&#x017F;te Capitel.</hi></fw><lb/>
terla&#x017F;&#x017F;en/ einige &#x017F;olche a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche wercke zu verrichten (dann &#x017F;on&#x017F;ten mu&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t offentlich vor<lb/>
unchri&#x017F;ten dar&#x017F;tellen) aber doch keinen eiffer an der heiligung bey &#x017F;ich anwenden/ &#x017F;ondern entweder<lb/>
niemal etwas mit ern&#x017F;t angreiffen/ oder wenn es ja nicht gleich von &#x017F;tatten gehen will/ die ha&#x0364;nde &#x017F;o<lb/>
bald &#x017F;incken la&#x017F;&#x017F;en/ und al&#x017F;o in der tra&#x0364;gheit &#x017F;o ein&#x017F;chlaffen/ daß &#x017F;ie nie einen rechten ern&#x017F;t anwenden.<lb/>
Die&#x017F;e art der tra&#x0364;gheit geho&#x0364;ret unter die &#x017F;u&#x0364;nden/ die der men&#x017F;ch ohne kampff bey &#x017F;ich herr&#x017F;chen la&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et/ und al&#x017F;o welche ohne zweiffel den&#x017F;elben von der &#x017F;eligkeit in &#x017F;olchem &#x017F;tande aus&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en. Die<lb/>
andre art der tra&#x0364;gheit i&#x017F;t die jenige/ wo ein Chri&#x017F;t von grund &#x017F;einer &#x017F;eelen verlanget &#x017F;einem GOtt<lb/>
ern&#x017F;tlich zu dienen/ und alle dahin gehende u&#x0364;bungen mit eiffer zu verrichten/ auch zu weilen zu eini-<lb/>
gem &#x017F;olchen ern&#x017F;t kommet/ aber nicht nur fu&#x0364;hlet/ wie ihm alles/ was er gutes thun will/ &#x017F;auer an-<lb/>
kommet/ und er &#x017F;ich gleich&#x017F;am &#x017F;tets gewalt anthun muß/ &#x017F;ondern auch &#x017F;o bald er nur etwas von<lb/>
&#x017F;einem wachen und ihm &#x017F;elb&#x017F;t anthuender gewalt abla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et/ gleich eine &#x017F;olche tra&#x0364;gheit &#x017F;pu&#x0364;hret/ wel-<lb/>
che wo er &#x017F;ich nicht bald aufmunterte/ viel gutes gar unterbleiben machen wu&#x0364;rde/ und wenn er die<lb/>
&#x017F;ache wieder angreiffet/ ihn nicht viel weniger zuru&#x0364;ck ha&#x0364;lt/ als die in GOtt gefaßte <hi rendition="#aq">re&#x017F;olution</hi> fort-<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;et: Er ha&#x0364;lt aber &#x017F;olches vor &#x017F;ein ereutz und leiden/ &#x017F;eufftzet dagegen/ ruffet GOtt um &#x017F;eine<lb/>
hu&#x0364;lffe an/ und wider&#x017F;tehet &#x017F;olcher tra&#x0364;gheit mit dem gebrauch der auffmunterungs mittel nach &#x017F;ei-<lb/>
nem vermo&#x0364;gen. Die&#x017F;e tra&#x0364;gheit geho&#x0364;ret nun unter die &#x017F;chwachheit-&#x017F;u&#x0364;nden/ i&#x017F;t eine frucht der un-<lb/>
vollkommenheit un&#x017F;rer erneuerung/ und &#x017F;etzet den men&#x017F;chen nicht aus dem gnaden-&#x017F;tand. Wie-<lb/>
wol &#x017F;ie auch ihre grade hat/ und mehrmal viel &#x017F;chuld bey dem men&#x017F;chen &#x017F;eyn kan/ der wo er &#x017F;ich<lb/>
go&#x0364;ttlicher gnade mit mehrer &#x017F;orgfalt gebrauchet ha&#x0364;tte/ viel &#x017F;ta&#x0364;rcker &#x017F;eyn/ und &#x017F;ich der tra&#x0364;gheit mit<lb/>
mehr nachdruck wider&#x017F;etzen ko&#x0364;nte/ in welchem fall gleichwol der zu&#x017F;tand eines &#x017F;olchen &#x017F;o viel ge-<lb/>
fa&#x0364;hrlicher i&#x017F;t/ und &#x017F;o viel eher ge&#x017F;chehen kan/ daß die tra&#x0364;gheit gar u&#x0364;berhand nehme/ und vollends<lb/>
allen eiffer des guten austilge. Wie denn nun bey ver&#x017F;pu&#x0364;hrung der tra&#x0364;gheit ein Chri&#x017F;t &#x017F;ich vor-<lb/>
&#x017F;ichtig zu halten/ und ja zu hu&#x0364;ten hat/ damit er nicht mo&#x0364;ge von der&#x017F;elben gar u&#x0364;berwunden wer-<lb/>
den/ &#x017F;ondern vielmehr &#x017F;ie abzulegen/ &#x017F;o hat er gleichwol als lang nicht allein das innigliche ver-<lb/>
langen nach mehrern eiffer/ die be&#x017F;trebung nach &#x017F;ta&#x0364;ter aufmunterung und das mißfallen an &#x017F;einer<lb/>
tra&#x0364;gheit vorhanden &#x017F;ind/ aus &#x017F;olcher noch u&#x0364;brigen tra&#x0364;gheit &#x017F;einen gnaden-&#x017F;tand nicht in zweiffel zu<lb/>
ziehen. Dann 1. geho&#x0364;ret es unter die rechte der kinder Gottes/ daß weil und &#x017F;o lange &#x017F;ie in Chri-<lb/>
&#x017F;to JE&#x017F;u &#x017F;ind/ das flei&#x017F;ch/ nach dem &#x017F;ie gleichwol nicht wandeln/ ihnen auch nicht verdam&#x0303;lich &#x017F;eyn<lb/>
kan: nun i&#x017F;t &#x017F;olche tra&#x0364;gheit nichts anders als ein &#x017F;tu&#x0364;ck ihrer natu&#x0364;rlichen verderbniß und dero<lb/>
nech&#x017F;te wirckung. So lang &#x017F;ie al&#x017F;o derma&#x017F;&#x017F;en bey ihnen i&#x017F;t/ daß &#x017F;ie der&#x017F;elben nicht muthwillig<lb/>
nachha&#x0364;ngen/ bleiben &#x017F;ie dabey Gottes angenehme und liebe kinder. 2. J&#x017F;t der gegen &#x017F;ie hochgeprie-<lb/>
&#x017F;enen gu&#x0364;te Gottes allerdings zu wider/ daß er um des jenigen willen &#x017F;eine kinder ver&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olte/<lb/>
was &#x017F;elb&#x017F;t ihr &#x017F;chmertzliches ereutz i&#x017F;t/ und &#x017F;ie ein recht innigliches mißfallen daran haben/ deswe-<lb/>
gen tag und nacht um die erlo&#x0364;&#x017F;ung von den&#x017F;elben zu ihm &#x017F;eufftzen. Da kans nicht anders &#x017F;eyn/ als<lb/>
daß der HErr vielmehr mitleiden mit &#x017F;olchem ihrem elend habe/ als deswegen mit ihnen zu&#x0364;rne.<lb/>
3. Es geho&#x0364;ret auch die&#x017F;es zu der be&#x017F;chreibung des zu&#x017F;tands des lieben Apo&#x017F;tels/ wenn er klagt/ das<lb/>
vollbringen finde er bey den wollen nicht/ und was er wolle/ das thue er nicht Rom. 7/ 15. 18. Nicht<lb/>
ob ha&#x0364;tte er/ wo er &#x017F;ich was gutes vorge&#x017F;etzt/ keinen fleiß gebraucht/ da&#x017F;&#x017F;elbige zu verrichten/ &#x017F;on-<lb/>
dern daß er dabey eine &#x017F;olche tra&#x0364;gheit der natur gefu&#x0364;hlt/ die ihn immer zuru&#x0364;ck gehalten/ als das<lb/>
gute/ was er verrichtet/ bey weitem nicht &#x017F;o vo&#x0364;llig gewe&#x017F;en/ als er &#x017F;ichs vorgenommen/ und es ohne<lb/>
&#x017F;olche noch u&#x0364;brige tra&#x0364;gheit und wider&#x017F;tand wu&#x0364;rde worden &#x017F;eyn. Jnde&#x017F;&#x017F;en war der liebe Apo&#x017F;tel<lb/>
ein angenehmes kind Gottes/ und in deßen &#x017F;einer gnade. 4. Wie GOtt in andern &#x017F;tu&#x0364;cken alles/<lb/>
auch das bo&#x0364;&#x017F;e zu &#x017F;einer liebhaber be&#x017F;ten weißt und pfleget zu richten/ al&#x017F;o auch ge&#x017F;chihet es mit die-<lb/>
&#x017F;er tra&#x0364;gheit und fu&#x0364;hlung der&#x017F;elben. Wir &#x017F;ind nicht nur &#x017F;on&#x017F;ten verdorben/ &#x017F;ondern un&#x017F;re verderb-<lb/>
niß mißbrauchet &#x017F;ich offt &#x017F;elb&#x017F;t des guten an uns/ und wo wir in dem Chri&#x017F;tenthum weit gekom-<lb/>
men &#x017F;ind/ und etwa viele andre &#x017F;u&#x0364;nden u&#x0364;berwunden haben/ u&#x0364;berli&#x017F;tet &#x017F;ie uns/ daß &#x017F;ie einiges gefal-<lb/>
len an uns &#x017F;elb&#x017F;t erwecket in uns/ daß wir uns &#x017F;elb&#x017F;t erheben; welcher gei&#x017F;tliche hochmuth/ wie er<lb/>
ziemlich verborgen und uns unerkantlich i&#x017F;t/ &#x017F;o i&#x017F;t er uns &#x017F;o viel gefa&#x0364;hrlicher/ und gar zu leicht ge-<lb/>
&#x017F;chehen/ daß wir dru&#x0364;ber verlohren gehen/ al&#x017F;o daß GOtt &#x017F;einem theuren Apo&#x017F;tel 2. Cor. 12/ 7. ein<lb/>
&#x017F;ehr hartes und &#x017F;chmertzliches artzney-mittel gegen die&#x017F;e kranckheit verordnen mu&#x017F;te. Es i&#x017F;t aber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;e</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[768/0786] Das ſechſte Capitel. terlaſſen/ einige ſolche aͤuſſerliche wercke zu verrichten (dann ſonſten muͤſten ſie ſelbſt offentlich vor unchriſten darſtellen) aber doch keinen eiffer an der heiligung bey ſich anwenden/ ſondern entweder niemal etwas mit ernſt angreiffen/ oder wenn es ja nicht gleich von ſtatten gehen will/ die haͤnde ſo bald ſincken laſſen/ und alſo in der traͤgheit ſo einſchlaffen/ daß ſie nie einen rechten ernſt anwenden. Dieſe art der traͤgheit gehoͤret unter die ſuͤnden/ die der menſch ohne kampff bey ſich herrſchen laͤſ- ſet/ und alſo welche ohne zweiffel denſelben von der ſeligkeit in ſolchem ſtande ausſchlieſſen. Die andre art der traͤgheit iſt die jenige/ wo ein Chriſt von grund ſeiner ſeelen verlanget ſeinem GOtt ernſtlich zu dienen/ und alle dahin gehende uͤbungen mit eiffer zu verrichten/ auch zu weilen zu eini- gem ſolchen ernſt kommet/ aber nicht nur fuͤhlet/ wie ihm alles/ was er gutes thun will/ ſauer an- kommet/ und er ſich gleichſam ſtets gewalt anthun muß/ ſondern auch ſo bald er nur etwas von ſeinem wachen und ihm ſelbſt anthuender gewalt ablaͤſſet/ gleich eine ſolche traͤgheit ſpuͤhret/ wel- che wo er ſich nicht bald aufmunterte/ viel gutes gar unterbleiben machen wuͤrde/ und wenn er die ſache wieder angreiffet/ ihn nicht viel weniger zuruͤck haͤlt/ als die in GOtt gefaßte reſolution fort- reiſſet: Er haͤlt aber ſolches vor ſein ereutz und leiden/ ſeufftzet dagegen/ ruffet GOtt um ſeine huͤlffe an/ und widerſtehet ſolcher traͤgheit mit dem gebrauch der auffmunterungs mittel nach ſei- nem vermoͤgen. Dieſe traͤgheit gehoͤret nun unter die ſchwachheit-ſuͤnden/ iſt eine frucht der un- vollkommenheit unſrer erneuerung/ und ſetzet den menſchen nicht aus dem gnaden-ſtand. Wie- wol ſie auch ihre grade hat/ und mehrmal viel ſchuld bey dem menſchen ſeyn kan/ der wo er ſich goͤttlicher gnade mit mehrer ſorgfalt gebrauchet haͤtte/ viel ſtaͤrcker ſeyn/ und ſich der traͤgheit mit mehr nachdruck widerſetzen koͤnte/ in welchem fall gleichwol der zuſtand eines ſolchen ſo viel ge- faͤhrlicher iſt/ und ſo viel eher geſchehen kan/ daß die traͤgheit gar uͤberhand nehme/ und vollends allen eiffer des guten austilge. Wie denn nun bey verſpuͤhrung der traͤgheit ein Chriſt ſich vor- ſichtig zu halten/ und ja zu huͤten hat/ damit er nicht moͤge von derſelben gar uͤberwunden wer- den/ ſondern vielmehr ſie abzulegen/ ſo hat er gleichwol als lang nicht allein das innigliche ver- langen nach mehrern eiffer/ die beſtrebung nach ſtaͤter aufmunterung und das mißfallen an ſeiner traͤgheit vorhanden ſind/ aus ſolcher noch uͤbrigen traͤgheit ſeinen gnaden-ſtand nicht in zweiffel zu ziehen. Dann 1. gehoͤret es unter die rechte der kinder Gottes/ daß weil und ſo lange ſie in Chri- ſto JEſu ſind/ das fleiſch/ nach dem ſie gleichwol nicht wandeln/ ihnen auch nicht verdam̃lich ſeyn kan: nun iſt ſolche traͤgheit nichts anders als ein ſtuͤck ihrer natuͤrlichen verderbniß und dero nechſte wirckung. So lang ſie alſo dermaſſen bey ihnen iſt/ daß ſie derſelben nicht muthwillig nachhaͤngen/ bleiben ſie dabey Gottes angenehme und liebe kinder. 2. Jſt der gegen ſie hochgeprie- ſenen guͤte Gottes allerdings zu wider/ daß er um des jenigen willen ſeine kinder verſtoſſen ſolte/ was ſelbſt ihr ſchmertzliches ereutz iſt/ und ſie ein recht innigliches mißfallen daran haben/ deswe- gen tag und nacht um die erloͤſung von denſelben zu ihm ſeufftzen. Da kans nicht anders ſeyn/ als daß der HErr vielmehr mitleiden mit ſolchem ihrem elend habe/ als deswegen mit ihnen zuͤrne. 3. Es gehoͤret auch dieſes zu der beſchreibung des zuſtands des lieben Apoſtels/ wenn er klagt/ das vollbringen finde er bey den wollen nicht/ und was er wolle/ das thue er nicht Rom. 7/ 15. 18. Nicht ob haͤtte er/ wo er ſich was gutes vorgeſetzt/ keinen fleiß gebraucht/ daſſelbige zu verrichten/ ſon- dern daß er dabey eine ſolche traͤgheit der natur gefuͤhlt/ die ihn immer zuruͤck gehalten/ als das gute/ was er verrichtet/ bey weitem nicht ſo voͤllig geweſen/ als er ſichs vorgenommen/ und es ohne ſolche noch uͤbrige traͤgheit und widerſtand wuͤrde worden ſeyn. Jndeſſen war der liebe Apoſtel ein angenehmes kind Gottes/ und in deßen ſeiner gnade. 4. Wie GOtt in andern ſtuͤcken alles/ auch das boͤſe zu ſeiner liebhaber beſten weißt und pfleget zu richten/ alſo auch geſchihet es mit die- ſer traͤgheit und fuͤhlung derſelben. Wir ſind nicht nur ſonſten verdorben/ ſondern unſre verderb- niß mißbrauchet ſich offt ſelbſt des guten an uns/ und wo wir in dem Chriſtenthum weit gekom- men ſind/ und etwa viele andre ſuͤnden uͤberwunden haben/ uͤberliſtet ſie uns/ daß ſie einiges gefal- len an uns ſelbſt erwecket in uns/ daß wir uns ſelbſt erheben; welcher geiſtliche hochmuth/ wie er ziemlich verborgen und uns unerkantlich iſt/ ſo iſt er uns ſo viel gefaͤhrlicher/ und gar zu leicht ge- ſchehen/ daß wir druͤber verlohren gehen/ alſo daß GOtt ſeinem theuren Apoſtel 2. Cor. 12/ 7. ein ſehr hartes und ſchmertzliches artzney-mittel gegen dieſe kranckheit verordnen muſte. Es iſt aber dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/786
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 768. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/786>, abgerufen am 23.11.2024.