Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.DISTINCTIO II. SECTIO XXIII. te und uns vorgetragene güter/ die krafft der würckung nach dieser distinctionnicht in diesen worten als worten (dann sonsten würden allemahl die dolmet- schungen allzu unkräfftig gehalten werden müssen) sondern in solche Göttliche warheiten einerley blieben/ so haben sie in den seelen der menschen einerley kraft/ sie werden mit jenen ersten worten des H. geistes (die der gewißheit regel nach o- bigen stäts bleiben) oder mit andern worten ausgesprochen. Ja es kan gesche- hen/ daß durch diese zuweilen mehr gewürcket wird/ nemlich/ wenn ein text uns dunckel ist/ und also einer dessen wahren verstand nicht begreiffen kan/ ob er ihn schon vielmal lieset/ es erklähret ihn aber ein christlicher lehrer denselben sonsten oder sonderlich in einer predigt durch anführung und gegenhaltung anderer sprü- che/ und andere mittel den rechten verstand hervorzubringen/ da er stäts andere/ und also seine menschliche wort braucht/ so wird erstlich des zuhörers verstand durch die hertzliche erwegung der angeführten gründe/ daß dieses der rechte ver- stand seye/ überzeuget/ und leuchtet ihm solcher verstand durch die menschliche wort ein/ daß er die darinnen enthaltene göttliche warheit erkennet: nachmahl da vor- hin die formal göttliche wort deßwegen in seiner seele wenig erbauung wircken konten/ weil er sie nicht verstund/ so fangen sie nunmehr an dergleichen zu thun ver- mittels der menschlichen erklährung und worte/ nicht daß die krafft in diesen wor- ten steckte/ denn sie stecket vielmehr allein in den göttlichen warheiten/ sondern daß die menschliche wort das mittel gewesen sind dadurch er zu der erkäntnüß der ihm in jenen worten verborgen gebliebener warheiten gekommen ist. Welches ich/ wo es fleißig erwogen wird/ nicht können geleugnet zu werden hoffe. 7. Hierauß schliesse nun ferner/ wo die blosse ablesung der H. schrifft/ und zwar mit so grossen stücken und mehrern capiteln auff einmal dermassen solte eingeführet werden/ daß die predigten gar abgeschafft/ oder doch denselben zu wenig mehr übrig ge- lassen würde/ daß die mehrere erbauung der gemeinde eher dadurch gehindert als befördert werden dörffte: Folglich das kräfftigste mittel dieser erbauung nicht in demjenigen/ was Mhhl. hauptsächlich verlangt (und ich oben bereits bekant/ was ich davon zugebe) sondern in der bessern einrichtung der predigten/ zu suchen seye/ nemlich daß dieselbe einmal nichts anders seyen als erklährungen der schrift und anweisungen dessen/ was in derselben verborgen ist/ welches ohne andrer an- weisung zu finden/ nicht eben eines jeglichen gabe ist. Wo aber eine predigt/ wie sie seyn solle/ recht eingerichtet ist/ getraue ich nicht zu sagen/ daß sie so viel und meistens mehr zur wahren erbauung thun werde/ als die ablesung mehrer capitul aus der H. schrifft/ sonderl. was die capitul anlangt/ da nicht ex professo die dogmatica gehandelt werden. Hiemit entziehe dem göttlichen wort aller- dings nichts/ sondern wie ich dem buchstaben des so genanten formal worts den vorzug der unfehlbarkeit lasse/ also schreibe nichts von der krafft den menschli- chen worten zu/ sondern den göttlichen warheiten/ die dorten in jenen worten ver- borgen stecken/ in diesem aber zu dem menschlichen gebrauch beqvemer angewen- det Ccccc 2
DISTINCTIO II. SECTIO XXIII. te und uns vorgetragene guͤter/ die krafft der wuͤrckung nach dieſer diſtinctionnicht in dieſen worten als worten (dann ſonſten wuͤrden allemahl die dolmet- ſchungen allzu unkraͤfftig gehalten werden muͤſſen) ſondern in ſolche Goͤttliche warheiten einerley blieben/ ſo haben ſie in den ſeelen der menſchen einerley kraft/ ſie werden mit jenen erſten worten des H. geiſtes (die der gewißheit regel nach o- bigen ſtaͤts bleiben) oder mit andern worten ausgeſprochen. Ja es kan geſche- hen/ daß durch dieſe zuweilen mehr gewuͤrcket wird/ nemlich/ wenn ein text uns dunckel iſt/ und alſo einer deſſen wahren verſtand nicht begreiffen kan/ ob er ihn ſchon vielmal lieſet/ es erklaͤhret ihn aber ein chriſtlicher lehrer denſelben ſonſten oder ſonderlich in einer predigt durch anfuͤhrung und gegenhaltung anderer ſpruͤ- che/ und andere mittel den rechten verſtand hervorzubringen/ da er ſtaͤts andere/ und alſo ſeine menſchliche wort braucht/ ſo wird erſtlich des zuhoͤrers verſtand durch die hertzliche erwegung der angefuͤhrten gruͤnde/ daß dieſes der rechte ver- ſtand ſeye/ uͤberzeuget/ und leuchtet ihm ſolcher verſtand durch die menſchliche wort ein/ daß er die darinnen enthaltene goͤttliche warheit erkennet: nachmahl da vor- hin die formal goͤttliche wort deßwegen in ſeiner ſeele wenig erbauung wircken konten/ weil er ſie nicht verſtund/ ſo fangen ſie nunmehr an dergleichen zu thun ver- mittels der menſchlichen erklaͤhrung und worte/ nicht daß die krafft in dieſen wor- ten ſteckte/ denn ſie ſtecket vielmehr allein in den goͤttlichen warheiten/ ſondern daß die menſchliche wort das mittel geweſen ſind dadurch er zu der erkaͤntnuͤß der ihm in jenen worten verborgen gebliebener warheiten gekommen iſt. Welches ich/ wo es fleißig erwogen wird/ nicht koͤnnen geleugnet zu werden hoffe. 7. Hierauß ſchlieſſe nun ferner/ wo die bloſſe ableſung der H. ſchrifft/ und zwar mit ſo groſſen ſtuͤcken und mehrern capiteln auff einmal dermaſſen ſolte eingefuͤhret werden/ daß die predigten gar abgeſchafft/ oder doch denſelben zu wenig mehr uͤbrig ge- laſſen wuͤrde/ daß die mehrere erbauung der gemeinde eher dadurch gehindert als befoͤrdert werden doͤrffte: Folglich das kraͤfftigſte mittel dieſer erbauung nicht in demjenigen/ was Mhhl. hauptſaͤchlich veꝛlangt (und ich oben bereits bekant/ was ich davon zugebe) ſondern in der beſſern einrichtung der predigten/ zu ſuchen ſeye/ nemlich daß dieſelbe einmal nichts anders ſeyen als erklaͤhrungen der ſchrift und anweiſungen deſſen/ was in derſelben verborgen iſt/ welches ohne andrer an- weiſung zu finden/ nicht eben eines jeglichen gabe iſt. Wo aber eine predigt/ wie ſie ſeyn ſolle/ recht eingerichtet iſt/ getraue ich nicht zu ſagen/ daß ſie ſo viel und meiſtens mehr zur wahren erbauung thun werde/ als die ableſung mehrer capitul aus der H. ſchrifft/ ſonderl. was die capitul anlangt/ da nicht ex profeſſo die dogmatica gehandelt werden. Hiemit entziehe dem goͤttlichen wort aller- dings nichts/ ſondern wie ich dem buchſtaben des ſo genanten formal worts den vorzug der unfehlbarkeit laſſe/ alſo ſchreibe nichts von der krafft den menſchli- chen worten zu/ ſondern den goͤttlichen warheiten/ die dorten in jenen worten ver- borgen ſtecken/ in dieſem aber zu dem menſchlichen gebrauch beqvemer angewen- det Ccccc 2
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DISTINCTIO II. SECTIO XXIII.
te und uns vorgetragene guͤter/ die krafft der wuͤrckung nach dieſer diſtinction
nicht in dieſen worten als worten (dann ſonſten wuͤrden allemahl die dolmet-
ſchungen allzu unkraͤfftig gehalten werden muͤſſen) ſondern in ſolche Goͤttliche
warheiten einerley blieben/ ſo haben ſie in den ſeelen der menſchen einerley kraft/
ſie werden mit jenen erſten worten des H. geiſtes (die der gewißheit regel nach o-
bigen ſtaͤts bleiben) oder mit andern worten ausgeſprochen. Ja es kan geſche-
hen/ daß durch dieſe zuweilen mehr gewuͤrcket wird/ nemlich/ wenn ein text uns
dunckel iſt/ und alſo einer deſſen wahren verſtand nicht begreiffen kan/ ob er ihn
ſchon vielmal lieſet/ es erklaͤhret ihn aber ein chriſtlicher lehrer denſelben ſonſten
oder ſonderlich in einer predigt durch anfuͤhrung und gegenhaltung anderer ſpruͤ-
che/ und andere mittel den rechten verſtand hervorzubringen/ da er ſtaͤts andere/
und alſo ſeine menſchliche wort braucht/ ſo wird erſtlich des zuhoͤrers verſtand
durch die hertzliche erwegung der angefuͤhrten gruͤnde/ daß dieſes der rechte ver-
ſtand ſeye/ uͤberzeuget/ und leuchtet ihm ſolcher verſtand durch die menſchliche wort
ein/ daß er die darinnen enthaltene goͤttliche warheit erkennet: nachmahl da vor-
hin die formal goͤttliche wort deßwegen in ſeiner ſeele wenig erbauung wircken
konten/ weil er ſie nicht verſtund/ ſo fangen ſie nunmehr an dergleichen zu thun ver-
mittels der menſchlichen erklaͤhrung und worte/ nicht daß die krafft in dieſen wor-
ten ſteckte/ denn ſie ſtecket vielmehr allein in den goͤttlichen warheiten/ ſondern daß
die menſchliche wort das mittel geweſen ſind dadurch er zu der erkaͤntnuͤß der ihm
in jenen worten verborgen gebliebener warheiten gekommen iſt. Welches ich/
wo es fleißig erwogen wird/ nicht koͤnnen geleugnet zu werden hoffe. 7. Hierauß
ſchlieſſe nun ferner/ wo die bloſſe ableſung der H. ſchrifft/ und zwar mit ſo groſſen
ſtuͤcken und mehrern capiteln auff einmal dermaſſen ſolte eingefuͤhret werden/
daß die predigten gar abgeſchafft/ oder doch denſelben zu wenig mehr uͤbrig ge-
laſſen wuͤrde/ daß die mehrere erbauung der gemeinde eher dadurch gehindert als
befoͤrdert werden doͤrffte: Folglich das kraͤfftigſte mittel dieſer erbauung nicht
in demjenigen/ was Mhhl. hauptſaͤchlich veꝛlangt (und ich oben bereits bekant/
was ich davon zugebe) ſondern in der beſſern einrichtung der predigten/ zu ſuchen
ſeye/ nemlich daß dieſelbe einmal nichts anders ſeyen als erklaͤhrungen der ſchrift
und anweiſungen deſſen/ was in derſelben verborgen iſt/ welches ohne andrer an-
weiſung zu finden/ nicht eben eines jeglichen gabe iſt. Wo aber eine predigt/
wie ſie ſeyn ſolle/ recht eingerichtet iſt/ getraue ich nicht zu ſagen/ daß ſie ſo viel
und meiſtens mehr zur wahren erbauung thun werde/ als die ableſung mehrer
capitul aus der H. ſchrifft/ ſonderl. was die capitul anlangt/ da nicht ex profeſſo
die dogmatica gehandelt werden. Hiemit entziehe dem goͤttlichen wort aller-
dings nichts/ ſondern wie ich dem buchſtaben des ſo genanten formal worts den
vorzug der unfehlbarkeit laſſe/ alſo ſchreibe nichts von der krafft den menſchli-
chen worten zu/ ſondern den goͤttlichen warheiten/ die dorten in jenen worten ver-
borgen ſtecken/ in dieſem aber zu dem menſchlichen gebrauch beqvemer angewen-
det
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/773>, abgerufen am 16.06.2024. |