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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXIII.
te aber solches in praxi nicht allgemach da hinaus lauffen/ was wir in Theoria
verwerffen/ wo/ ich will nicht sageu/ einem andern Christen/ sondern gar eiuem pre-
diger/ verboten seyen solte/ irrlehrige bücher zu haben und zu lesen. Jch sorge zwahr
häfftig wir prostituiren uns damit selbs/ und ärgeren die widersacher/ da es ihnen
kund würde; Daß sie sagen/ was wir pro forma und nach unserem interesse
an ihnen strafften/ thäten wir selbs und zeigten/ daß so wenig unsere lehr die gemü-
ther fest machen/ und gegen die irrthümer verwahren müßte/ als wir der ihrigen
schuld geben/ daß wir sie auch mit einer solchen gewaltsamen abhaltung fremder lehr
erst müßten in sicherheit setzen. Sonsten die sache herr N. N. anlangende/ wiederhohle/
wie allemahl/ daß ich davon nicht urtheilen könne/ als der ich nicht alles von beyden
theilen weiß/ und mirs auch nicht zukommt/ mich in fremde händel zu mischen: ei-
nes redlichen hertzens und treue nach seinem gewissen versichere ich mich von ihm
gewiß/ habe auch an der orthodoxia keinen mangel gehöret; wie weit sich abec sei-
[n]e prudenz erstrecke/ weiß ich nicht. Jndessen glaube/ daß allemahl solche leute/
dero redliches hertz gegen GOtt sich zeiget/ ob sie in dem eiffer zu weilen excediren,
und sich/ nicht in einerley schrancken mit anderen einschrencken lassen können/ mit
mehrer sanfftmuth als sonst jemand zu tractiren und in ordnung zu bringen seyen/
damit das gute in ihnen nicht nieder geschlagen/ ihren ängsten des gewissens gera-
then/ und sie nicht geärgert werden. Geschiehet aber solches nicht/ und man brauchet
einige hefftigkeit/ daß man mehr mit autorit[ä]t und befehl als kräfftiger überzeugung
des gewissens in sie setzt/ so ist nicht zu sagen/ was vor ärgernüß in dem guten leuten
entstehet/ daß sie auch in den scrupulen und irthum ihres gewissens nur desto mehr
gestärcket werden/ recht zu haben/ weil die procedur gegen sie mit Christi manier/
uach ihrer meinung nicht über einkommet/ ja es kan endlich gar weiter kommen/ daß
ihnen unser kirchen-wesen/ und lehr endlich selbs verdächtig wird/ biß sie gar in
irrige meinungen verfallen/ und ihnen schwer mehr zu helffen ist/ da sie sonst auf ande-
re liebreiche arten noch möchten erhalten werden/ wann man ihn zeiget/ wie man
das gute in ihnen liebe/ und gerne beförderen wolle. Ob nun auff diese weiß biß-
her mit ihm verfahren worden/ weiß ich nicht/ will es aber lieber hoffen/ als das ge-
gentheil beschuldigen. Mit einem publico scripto mich von den Böhmisten oder
absonderlich von diesem (wiewvl von herr N. N. nicht weiß/ daß er an Böhmen
hangen solte)/ zu separiren, kan ich den vorschlag nicht annehmen. Was ich von
einigen scrupulis halte/ die separation und zustand unserer kirchen/ auch pflicht des
predigtampts anlangend/ habe ich meine meinung deutlich in dem tractat von dem
gebrauch und mißbrauch der klagen
erklähret/und damit gezeiget/ wie ich mit
unterschiedlichen solchen leuten nicht einerley halte: Deßwegen auch solche mit mir
nicht werden zu frieden seyen/ jedoch weil sie in liebe geschrieben zu seyen schon hoffe
etnige damit zu gewinnen. Böhmen besonders betreffend/weiß mein werther
bruder meine sorge und daß ich ihn weder gelesen noch zu lesen/ und folglich auch

nicht
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ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXIII.
te aber ſolches in praxi nicht allgemach da hinaus lauffen/ was wir in Theoria
verwerffen/ wo/ ich will nicht ſageu/ einem andern Chriſten/ ſondern gar eiuem pre-
diger/ verboten ſeyen ſolte/ irrlehrige buͤcher zu haben und zu leſen. Jch ſorge zwahr
haͤfftig wir proſtituiren uns damit ſelbs/ und aͤrgeren die widerſacher/ da es ihnen
kund wuͤrde; Daß ſie ſagen/ was wir pro forma und nach unſerem intereſſe
an ihnen ſtrafften/ thaͤten wir ſelbs und zeigten/ daß ſo wenig unſere lehr die gemuͤ-
ther feſt machen/ und gegen die irrthuͤmer verwahren muͤßte/ als wir der ihrigen
ſchuld geben/ daß wir ſie auch mit einer ſolchen gewaltſamen abhaltung fremder lehr
erſt muͤßten in ſicherheit ſetzen. Sonſten die ſache herr N. N. anlangende/ wiederhohle/
wie allemahl/ daß ich davon nicht urtheilen koͤnne/ als der ich nicht alles von beyden
theilen weiß/ und mirs auch nicht zukommt/ mich in fremde haͤndel zu miſchen: ei-
nes redlichen hertzens und treue nach ſeinem gewiſſen verſichere ich mich von ihm
gewiß/ habe auch an der orthodoxia keinen mangel gehoͤret; wie weit ſich abec ſei-
[n]e prudenz erſtrecke/ weiß ich nicht. Jndeſſen glaube/ daß allemahl ſolche leute/
dero redliches hertz gegen GOtt ſich zeiget/ ob ſie in dem eiffer zu weilen excediren,
und ſich/ nicht in einerley ſchrancken mit anderen einſchrencken laſſen koͤnnen/ mit
mehrer ſanfftmuth als ſonſt jemand zu tractiren und in ordnung zu bringen ſeyen/
damit das gute in ihnen nicht nieder geſchlagen/ ihren aͤngſten des gewiſſens gera-
then/ und ſie nicht geaͤrgert werden. Geſchiehet aber ſolches nicht/ und man brauchet
einige hefftigkeit/ daß man mehr mit autorit[aͤ]t und befehl als kraͤfftiger uͤberzeugung
des gewiſſens in ſie ſetzt/ ſo iſt nicht zu ſagen/ was vor aͤrgernuͤß in dem guten leuten
entſtehet/ daß ſie auch in den ſcrupulen und irthum ihres gewiſſens nur deſto mehr
geſtaͤrcket werden/ recht zu haben/ weil die procedur gegen ſie mit Chriſti manier/
uach ihrer meinung nicht uͤber einkommet/ ja es kan endlich gar weiter kommen/ daß
ihnen unſer kirchen-weſen/ und lehr endlich ſelbs verdaͤchtig wird/ biß ſie gar in
irrige meinungen verfallen/ und ihnen ſchwer mehr zu helffen iſt/ da ſie ſonſt auf ande-
re liebreiche arten noch moͤchten erhalten werden/ wann man ihn zeiget/ wie man
das gute in ihnen liebe/ und gerne befoͤrderen wolle. Ob nun auff dieſe weiß biß-
her mit ihm verfahren worden/ weiß ich nicht/ will es aber lieber hoffen/ als das ge-
gentheil beſchuldigen. Mit einem publico ſcripto mich von den Boͤhmiſten oder
abſonderlich von dieſem (wiewvl von herr N. N. nicht weiß/ daß er an Boͤhmen
hangen ſolte)/ zu ſepariren, kan ich den vorſchlag nicht annehmen. Was ich von
einigen ſcrupulis halte/ die ſeparation und zuſtand unſerer kirchen/ auch pflicht des
predigtampts anlangend/ habe ich meine meinung deutlich in dem tractat von dem
gebrauch und mißbrauch der klagen
erklaͤhret/und damit gezeiget/ wie ich mit
unterſchiedlichen ſolchen leuten nicht einerley halte: Deßwegen auch ſolche mit mir
nicht werden zu frieden ſeyen/ jedoch weil ſie in liebe geſchrieben zu ſeyen ſchon hoffe
etnige damit zu gewinnen. Boͤhmen beſonders betreffend/weiß mein werther
bruder meine ſorge und daß ich ihn weder geleſen noch zu leſen/ und folglich auch

nicht
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[595/0613] ARTIC. I. DIST. IV. SECT. XXIII. te aber ſolches in praxi nicht allgemach da hinaus lauffen/ was wir in Theoria verwerffen/ wo/ ich will nicht ſageu/ einem andern Chriſten/ ſondern gar eiuem pre- diger/ verboten ſeyen ſolte/ irrlehrige buͤcher zu haben und zu leſen. Jch ſorge zwahr haͤfftig wir proſtituiren uns damit ſelbs/ und aͤrgeren die widerſacher/ da es ihnen kund wuͤrde; Daß ſie ſagen/ was wir pro forma und nach unſerem intereſſe an ihnen ſtrafften/ thaͤten wir ſelbs und zeigten/ daß ſo wenig unſere lehr die gemuͤ- ther feſt machen/ und gegen die irrthuͤmer verwahren muͤßte/ als wir der ihrigen ſchuld geben/ daß wir ſie auch mit einer ſolchen gewaltſamen abhaltung fremder lehr erſt muͤßten in ſicherheit ſetzen. Sonſten die ſache herr N. N. anlangende/ wiederhohle/ wie allemahl/ daß ich davon nicht urtheilen koͤnne/ als der ich nicht alles von beyden theilen weiß/ und mirs auch nicht zukommt/ mich in fremde haͤndel zu miſchen: ei- nes redlichen hertzens und treue nach ſeinem gewiſſen verſichere ich mich von ihm gewiß/ habe auch an der orthodoxia keinen mangel gehoͤret; wie weit ſich abec ſei- ne prudenz erſtrecke/ weiß ich nicht. Jndeſſen glaube/ daß allemahl ſolche leute/ dero redliches hertz gegen GOtt ſich zeiget/ ob ſie in dem eiffer zu weilen excediren, und ſich/ nicht in einerley ſchrancken mit anderen einſchrencken laſſen koͤnnen/ mit mehrer ſanfftmuth als ſonſt jemand zu tractiren und in ordnung zu bringen ſeyen/ damit das gute in ihnen nicht nieder geſchlagen/ ihren aͤngſten des gewiſſens gera- then/ und ſie nicht geaͤrgert werden. Geſchiehet aber ſolches nicht/ und man brauchet einige hefftigkeit/ daß man mehr mit autoritaͤt und befehl als kraͤfftiger uͤberzeugung des gewiſſens in ſie ſetzt/ ſo iſt nicht zu ſagen/ was vor aͤrgernuͤß in dem guten leuten entſtehet/ daß ſie auch in den ſcrupulen und irthum ihres gewiſſens nur deſto mehr geſtaͤrcket werden/ recht zu haben/ weil die procedur gegen ſie mit Chriſti manier/ uach ihrer meinung nicht uͤber einkommet/ ja es kan endlich gar weiter kommen/ daß ihnen unſer kirchen-weſen/ und lehr endlich ſelbs verdaͤchtig wird/ biß ſie gar in irrige meinungen verfallen/ und ihnen ſchwer mehr zu helffen iſt/ da ſie ſonſt auf ande- re liebreiche arten noch moͤchten erhalten werden/ wann man ihn zeiget/ wie man das gute in ihnen liebe/ und gerne befoͤrderen wolle. Ob nun auff dieſe weiß biß- her mit ihm verfahren worden/ weiß ich nicht/ will es aber lieber hoffen/ als das ge- gentheil beſchuldigen. Mit einem publico ſcripto mich von den Boͤhmiſten oder abſonderlich von dieſem (wiewvl von herr N. N. nicht weiß/ daß er an Boͤhmen hangen ſolte)/ zu ſepariren, kan ich den vorſchlag nicht annehmen. Was ich von einigen ſcrupulis halte/ die ſeparation und zuſtand unſerer kirchen/ auch pflicht des predigtampts anlangend/ habe ich meine meinung deutlich in dem tractat von dem gebrauch und mißbrauch der klagen erklaͤhret/und damit gezeiget/ wie ich mit unterſchiedlichen ſolchen leuten nicht einerley halte: Deßwegen auch ſolche mit mir nicht werden zu frieden ſeyen/ jedoch weil ſie in liebe geſchrieben zu ſeyen ſchon hoffe etnige damit zu gewinnen. Boͤhmen beſonders betreffend/weiß mein werther bruder meine ſorge und daß ich ihn weder geleſen noch zu leſen/ und folglich auch nicht Ffff 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/613>, abgerufen am 22.11.2024.