Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.Das sechste Capitel. abspeisen lasse; Hingegen seyen wir durch die gnade Christi/ da wir derselbendurch den glauben theilhafftig werden/ von dem joch des gesetzes befreyet/ uns sey die gerechtigkeit Christi/ und also in derselben die erfüllung des gesetzes geschencket: Welche machen/ daß nach dem wir numehr bey GOTT in gnaden stehen/ dersel- be den gehorsam/ welchen wir in unserer schwachheit leisten/ ob er wohl unvollkom- men ist/ ihme gefallen lässet/ hingegen alle übrige erb- und schwachheit-sünde nicht zurechnen will/ daß daher alleine die schwehre boßhafftige/ und muthwillige boß- heit-sünden die jenigen seind/ welche kinder GOttes aus solcher ihrer kindschafft und göttlicher gnaden genüß herauswerffen könten. Daher eines solchen Chri- sten zustand freylich unvergleichlich seelig ist: Dann ob er wohl eben das gesetz Mosis auch vor sich ligen hat/ und darzu verbunden ist/ als auch der unwiederge- bohrne/ so wird doch er nicht gestrafft/ und komt nicht um seine kindschafft wegen der menschlichen fehler/ aber dieser ladet ihm mit allen auch den geringst-scheinen- den sünden göttlichen fluch und zorn auff sich. Daß ist ja freylich ein grosser vor- zug vor andern. Wie nun dieses alles wahr ist/ und mit mehrern erwiesen wer- den könte/ wo es die noth erforderte/ also ist auch dasselbe eben des Herrn Sten- gers meinung/ so viel wir aus allem andern schliessen können; aber er gibts mit andern wörtern/ daß er saget/ wir seyen nicht mehr unter Mosis gesetz/ sondern unter Christi gesetz: Als Einschärff. p. 9. Man predigt itzt nicht das ge- setz Mosis sondern CHRJSTJ gesetz: daß heist/ sündige nicht muthwillig/ die muthwillige sünde wird verbothen/ p. 18. Man kan einen frommen menschen an seinem ende auff zweyerley weise be- trachten. Erstlich in ansehung der gelinden gebot Christi/ und in gegenhaltung gegen die losen heuchler/ gegen die schnöde gottlose welt; Zum andern in ansehung des scharffen/ gestrengen gerichts GOttes/ nehmlich nach dem scharffen gesetz Mosis/ und p. 55. Jns gemein ist die summa und der inhalt der gebote Christi in Mosis gesetz mit ent- halten/ und sind so ferne Christi und Mosis gebot nicht allerdings unterschieden. Aber doch findet sich auch ein unterscheid/ und zwar ein dreyfacher/ dann 1. Moses verbeut im gesetz alle sünden/ auch die erbsünden/ und menschliche fehler. Christus in seinem gesetz verbeut nur die muthwillige sünden. 2. Mosis gesetz gehet an die unwiederge- bohrnen. Christi gesetz aber an die wiedergebohrnen. 3. Wer Mosis gesetz übertritt/ wird darum nicht eben verdammt. Sintemahl wo ist ein mensch/ der nicht Mosis gesetz übertrette. Aber wer Christi ge- setz nicht hält/ der wird verdammt. Also sind ja unterschieden Christi und Mosis gebote/ Mosis gebot ist ein unerträglich Joch/ Act. 15. Chri-
Das ſechſte Capitel. abſpeiſen laſſe; Hingegen ſeyen wir durch die gnade Chriſti/ da wir derſelbendurch den glauben theilhafftig werden/ von dem joch des geſetzes befreyet/ uns ſey die gerechtigkeit Chriſti/ und alſo in derſelben die erfuͤllung des geſetzes geſchencket: Welche machen/ daß nach dem wir numehr bey GOTT in gnaden ſtehen/ derſel- be den gehorſam/ welchen wir in unſerer ſchwachheit leiſten/ ob er wohl unvollkom- men iſt/ ihme gefallen laͤſſet/ hingegen alle uͤbrige erb- und ſchwachheit-ſuͤnde nicht zurechnen will/ daß daher alleine die ſchwehre boßhafftige/ und muthwillige boß- heit-ſuͤnden die jenigen ſeind/ welche kinder GOttes aus ſolcher ihrer kindſchafft und goͤttlicher gnaden genuͤß herauswerffen koͤnten. Daher eines ſolchen Chri- ſten zuſtand freylich unvergleichlich ſeelig iſt: Dann ob er wohl eben das geſetz Moſis auch vor ſich ligen hat/ und darzu verbunden iſt/ als auch der unwiederge- bohrne/ ſo wird doch er nicht geſtrafft/ und komt nicht um ſeine kindſchafft wegen der menſchlichen fehler/ aber dieſer ladet ihm mit allen auch den geringſt-ſcheinen- den ſuͤnden goͤttlichen fluch und zorn auff ſich. Daß iſt ja freylich ein groſſer vor- zug vor andern. Wie nun dieſes alles wahr iſt/ und mit mehrern erwieſen wer- den koͤnte/ wo es die noth erforderte/ alſo iſt auch daſſelbe eben des Herrn Sten- gers meinung/ ſo viel wir aus allem andern ſchlieſſen koͤnnen; aber er gibts mit andern woͤrtern/ daß er ſaget/ wir ſeyen nicht mehr unter Moſis geſetz/ ſondern unter Chriſti geſetz: Als Einſchaͤrff. p. 9. Man predigt itzt nicht das ge- ſetz Moſis ſondern CHRJSTJ geſetz: daß heiſt/ ſuͤndige nicht muthwillig/ die muthwillige ſuͤnde wird verbothen/ p. 18. Man kan einen frommen menſchen an ſeinem ende auff zweyerley weiſe be- trachten. Erſtlich in anſehung der gelinden gebot Chriſti/ und in gegenhaltung gegen die loſen heuchler/ gegen die ſchnoͤde gottloſe welt; Zum andern in anſehung des ſcharffen/ geſtrengen gerichts GOttes/ nehmlich nach dem ſcharffen geſetz Moſis/ und p. 55. Jns gemein iſt die ſumma und der inhalt der gebote Chriſti in Moſis geſetz mit ent- halten/ und ſind ſo ferne Chriſti und Moſis gebot nicht allerdings unterſchieden. Aber doch findet ſich auch ein unterſcheid/ und zwar ein dreyfacher/ dann 1. Moſes verbeut im geſetz alle ſuͤnden/ auch die erbſuͤnden/ und menſchliche fehler. Chriſtus in ſeinem geſetz verbeut nur die muthwillige ſuͤnden. 2. Moſis geſetz gehet an die unwiederge- bohrnen. Chriſti geſetz aber an die wiedergebohrnen. 3. Wer Moſis geſetz uͤbertritt/ wird darum nicht eben verdammt. Sintemahl wo iſt ein menſch/ der nicht Moſis geſetz uͤbertrette. Aber wer Chriſti ge- ſetz nicht haͤlt/ der wird verdammt. Alſo ſind ja unterſchieden Chriſti und Moſis gebote/ Moſis gebot iſt ein unertraͤglich Joch/ Act. 15. Chri-
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Das ſechſte Capitel.
abſpeiſen laſſe; Hingegen ſeyen wir durch die gnade Chriſti/ da wir derſelben
durch den glauben theilhafftig werden/ von dem joch des geſetzes befreyet/ uns ſey
die gerechtigkeit Chriſti/ und alſo in derſelben die erfuͤllung des geſetzes geſchencket:
Welche machen/ daß nach dem wir numehr bey GOTT in gnaden ſtehen/ derſel-
be den gehorſam/ welchen wir in unſerer ſchwachheit leiſten/ ob er wohl unvollkom-
men iſt/ ihme gefallen laͤſſet/ hingegen alle uͤbrige erb- und ſchwachheit-ſuͤnde nicht
zurechnen will/ daß daher alleine die ſchwehre boßhafftige/ und muthwillige boß-
heit-ſuͤnden die jenigen ſeind/ welche kinder GOttes aus ſolcher ihrer kindſchafft
und goͤttlicher gnaden genuͤß herauswerffen koͤnten. Daher eines ſolchen Chri-
ſten zuſtand freylich unvergleichlich ſeelig iſt: Dann ob er wohl eben das geſetz
Moſis auch vor ſich ligen hat/ und darzu verbunden iſt/ als auch der unwiederge-
bohrne/ ſo wird doch er nicht geſtrafft/ und komt nicht um ſeine kindſchafft wegen
der menſchlichen fehler/ aber dieſer ladet ihm mit allen auch den geringſt-ſcheinen-
den ſuͤnden goͤttlichen fluch und zorn auff ſich. Daß iſt ja freylich ein groſſer vor-
zug vor andern. Wie nun dieſes alles wahr iſt/ und mit mehrern erwieſen wer-
den koͤnte/ wo es die noth erforderte/ alſo iſt auch daſſelbe eben des Herrn Sten-
gers meinung/ ſo viel wir aus allem andern ſchlieſſen koͤnnen; aber er gibts mit
andern woͤrtern/ daß er ſaget/ wir ſeyen nicht mehr unter Moſis geſetz/ ſondern
unter Chriſti geſetz: Als Einſchaͤrff. p. 9. Man predigt itzt nicht das ge-
ſetz Moſis ſondern CHRJSTJ geſetz: daß heiſt/ ſuͤndige nicht
muthwillig/ die muthwillige ſuͤnde wird verbothen/ p. 18. Man kan
einen frommen menſchen an ſeinem ende auff zweyerley weiſe be-
trachten. Erſtlich in anſehung der gelinden gebot Chriſti/ und in
gegenhaltung gegen die loſen heuchler/ gegen die ſchnoͤde gottloſe welt;
Zum andern in anſehung des ſcharffen/ geſtrengen gerichts GOttes/
nehmlich nach dem ſcharffen geſetz Moſis/ und p. 55. Jns gemein
iſt die ſumma und der inhalt der gebote Chriſti in Moſis geſetz mit ent-
halten/ und ſind ſo ferne Chriſti und Moſis gebot nicht allerdings
unterſchieden. Aber doch findet ſich auch ein unterſcheid/ und zwar
ein dreyfacher/ dann 1. Moſes verbeut im geſetz alle ſuͤnden/ auch die
erbſuͤnden/ und menſchliche fehler. Chriſtus in ſeinem geſetz verbeut
nur die muthwillige ſuͤnden. 2. Moſis geſetz gehet an die unwiederge-
bohrnen. Chriſti geſetz aber an die wiedergebohrnen. 3. Wer Moſis
geſetz uͤbertritt/ wird darum nicht eben verdammt. Sintemahl wo iſt
ein menſch/ der nicht Moſis geſetz uͤbertrette. Aber wer Chriſti ge-
ſetz nicht haͤlt/ der wird verdammt. Alſo ſind ja unterſchieden Chriſti
und Moſis gebote/ Moſis gebot iſt ein unertraͤglich Joch/ Act. 15.
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/58>, abgerufen am 22.07.2024. |