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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
offenbahret/ ob nicht ein oder ander ecklein von diesem gebäue/ welches sonsten/ ob
wohl zu seinen besten fallen soll/ stehen zu bleiben verordnet sey/ um gleich ein weni-
ger anfang als dann dessen widerum zu seyn/ was der HERR aufrichten will/
und ob wir so zu reden nichts stehen zu bleiben erhalten könten/ ist auch dieses nicht
zu verachten/ da unser anwendender fleiß in Gottes segen ein und andere seelen bes-
ser bereitete auff die bevorstehende gerichte/ und zu deroselben erhaltung etwas
contribuirte/ ja so wir auch endlich unter allen diesen stücken keines erhielten/
welches nicht gedencke/ ist doch nicht vergebens/ was in Göttlicher ordnung in ab-
sicht auff seine ehr geschiehet/ sondern der ausgang folge wie er will/ hat dasselbe be-
reits seine belohnung in sich. Wo dann nun dieses fest stehet/ wie ichs fest zustehen nicht
zweiffle/ und ja nicht gedencke/ daß wir der Anthoinette Bourignon, die ohne
das ihren glauben auch bey den übrigen verlohren haben mag/ beypflichten sollen/
man müsse sich nicht mehr bemühen etwas zu erhalten/ sondern nur seine seele zu
retten/ so ist ferner zu untersuchen/ was dann diejenige mittel seyen/ die zu ergreif-
fen/ und in welchem wir in unseren amt unsere seelen retten mögen. Dieses ist die ei-
nige materie/ die ich die würdigste achte/ davon gehandelt zu werden/ unter denen
welche GOTT suchen. Und darinnen wünschte ich/ daß der HERR seine gute
gedancken mittheilte/ aber nicht in seine vielerley vorige scripta zu weisen/ sonderen
in kurtzem und deutlich solche anzuzeigen. Es wird aber auch/ was solche mittel
anlangt zweyerley zu bemercken seyn. Eines theils daß es mittel seyen/ die pra-
cticabel
sind/ und nicht erwa solche da man stracks siehet/ sie seyen allein vota/ und
setzen zum grunde eine anmuthige ideam Platonicae Reipublicae, da wo wir uns
über solche ideam ergötzet/ kein weiterer nutzen übrig bleibet. Und halte ich ei-
nen medicum nicht vor klug und treue/ welcher bey einen patienten viel discurri-
ret/ von solchen medicamentis und curen/ dazu zugelangen/ bekantlich kein mittel
und weg ist/ sondern es scheinet/ ein solcher wolle mehr seine geschicklichkeit weisen/
als daß er sich des krancken heil lasse angelegen seyn: viel besser aber verdienet sich
der jenige medicus an ihm der mit aller sorgfalt/ sich der medicamenten gebraucht
die er haben kan/ ob sie wohl jenen zu erlangen unmüglich an güte nicht gleich sind/
ja auch die kranckheit nicht aus dem grund heilen sondern doch dem patienten ei-
nige linderung geben/ oder wohl so lang das leben fristen/ biß man etwa jener statt-
licher mittel möge habhafft werden. Also sehe ich gewiß nicht/ wie der gemeinde
CHRJSTJ gerathen werde mit vorschlag der jenigen mittel/ da wir stracks se-
hen/ daß nichts davon zu wegen zu bringen ist/ sondern das auffhalten in deroselben
betrachtung uns nur hindert an den andern mittelen/ die sonsten practicabel sind.
Andern theils achte ich nöthig/ daß es mittel seyen/ die nicht nur bloß universal, o-
der so bewandt seyen/ daß der gantzen kirchen damit stracks geholffen werde/ mit
verwerffung der jenigen/ welche ein und anderen theil deroselben etlicher massen
zu retten tüchtig sind. Dann wo die sache recht erwogen wird/ so werden jene in

die

Das ſechſte Capitel.
offenbahret/ ob nicht ein oder ander ecklein von dieſem gebaͤue/ welches ſonſten/ ob
wohl zu ſeinen beſten fallen ſoll/ ſtehen zu bleiben verordnet ſey/ um gleich ein weni-
ger anfang als dann deſſen widerum zu ſeyn/ was der HERR aufrichten will/
und ob wir ſo zu reden nichts ſtehen zu bleiben erhalten koͤnten/ iſt auch dieſes nicht
zu verachten/ da unſer anwendender fleiß in Gottes ſegen ein und andere ſeelen beſ-
ſer bereitete auff die bevorſtehende gerichte/ und zu deroſelben erhaltung etwas
contribuirte/ ja ſo wir auch endlich unter allen dieſen ſtuͤcken keines erhielten/
welches nicht gedencke/ iſt doch nicht vergebens/ was in Goͤttlicher ordnung in ab-
ſicht auff ſeine ehr geſchiehet/ ſondern der ausgang folge wie er will/ hat daſſelbe be-
ꝛeits ſeine belohnung in ſich. Wo dañ nun dieſes feſt ſtehet/ wie ichs feſt zuſtehen nicht
zweiffle/ und ja nicht gedencke/ daß wir der Anthoinette Bourignon, die ohne
das ihren glauben auch bey den uͤbrigen verlohren haben mag/ beypflichten ſollen/
man muͤſſe ſich nicht mehr bemuͤhen etwas zu erhalten/ ſondern nur ſeine ſeele zu
retten/ ſo iſt ferner zu unterſuchen/ was dann diejenige mittel ſeyen/ die zu ergreif-
fen/ und in welchem wir in unſeren amt unſere ſeelen retten moͤgen. Dieſes iſt die ei-
nige materie/ die ich die wuͤrdigſte achte/ davon gehandelt zu werden/ unter denen
welche GOTT ſuchen. Und darinnen wuͤnſchte ich/ daß der HERR ſeine gute
gedancken mittheilte/ aber nicht in ſeine vielerley vorige ſcripta zu weiſen/ ſonderen
in kurtzem und deutlich ſolche anzuzeigen. Es wird aber auch/ was ſolche mittel
anlangt zweyerley zu bemercken ſeyn. Eines theils daß es mittel ſeyen/ die pra-
cticabel
ſind/ und nicht erwa ſolche da man ſtracks ſiehet/ ſie ſeyen allein vota/ und
ſetzen zum grunde eine anmuthige ideam Platonicæ Reipublicæ, da wo wir uns
uͤber ſolche ideam ergoͤtzet/ kein weiterer nutzen uͤbrig bleibet. Und halte ich ei-
nen medicum nicht vor klug und treue/ welcher bey einen patienten viel diſcurri-
ret/ von ſolchen medicamentis und curen/ dazu zugelangen/ bekantlich kein mittel
und weg iſt/ ſondern es ſcheinet/ ein ſolcher wolle mehr ſeine geſchicklichkeit weiſen/
als daß er ſich des krancken heil laſſe angelegen ſeyn: viel beſſer aber verdienet ſich
der jenige medicus an ihm der mit aller ſorgfalt/ ſich der medicamenten gebꝛaucht
die er haben kan/ ob ſie wohl jenen zu erlangen unmuͤglich an guͤte nicht gleich ſind/
ja auch die kranckheit nicht aus dem grund heilen ſondern doch dem patienten ei-
nige linderung geben/ oder wohl ſo lang das leben friſten/ biß man etwa jener ſtatt-
licher mittel moͤge habhafft werden. Alſo ſehe ich gewiß nicht/ wie der gemeinde
CHRJSTJ gerathen werde mit vorſchlag der jenigen mittel/ da wir ſtracks ſe-
hen/ daß nichts davon zu wegen zu bringen iſt/ ſondern das auffhalten in deroſelben
betrachtung uns nur hindert an den andern mittelen/ die ſonſten practicabel ſind.
Andern theils achte ich noͤthig/ daß es mittel ſeyen/ die nicht nur bloß univerſal, o-
der ſo bewandt ſeyen/ daß der gantzen kirchen damit ſtracks geholffen werde/ mit
verwerffung der jenigen/ welche ein und anderen theil deroſelben etlicher maſſen
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die
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[514/0532] Das ſechſte Capitel. offenbahret/ ob nicht ein oder ander ecklein von dieſem gebaͤue/ welches ſonſten/ ob wohl zu ſeinen beſten fallen ſoll/ ſtehen zu bleiben verordnet ſey/ um gleich ein weni- ger anfang als dann deſſen widerum zu ſeyn/ was der HERR aufrichten will/ und ob wir ſo zu reden nichts ſtehen zu bleiben erhalten koͤnten/ iſt auch dieſes nicht zu verachten/ da unſer anwendender fleiß in Gottes ſegen ein und andere ſeelen beſ- ſer bereitete auff die bevorſtehende gerichte/ und zu deroſelben erhaltung etwas contribuirte/ ja ſo wir auch endlich unter allen dieſen ſtuͤcken keines erhielten/ welches nicht gedencke/ iſt doch nicht vergebens/ was in Goͤttlicher ordnung in ab- ſicht auff ſeine ehr geſchiehet/ ſondern der ausgang folge wie er will/ hat daſſelbe be- ꝛeits ſeine belohnung in ſich. Wo dañ nun dieſes feſt ſtehet/ wie ichs feſt zuſtehen nicht zweiffle/ und ja nicht gedencke/ daß wir der Anthoinette Bourignon, die ohne das ihren glauben auch bey den uͤbrigen verlohren haben mag/ beypflichten ſollen/ man muͤſſe ſich nicht mehr bemuͤhen etwas zu erhalten/ ſondern nur ſeine ſeele zu retten/ ſo iſt ferner zu unterſuchen/ was dann diejenige mittel ſeyen/ die zu ergreif- fen/ und in welchem wir in unſeren amt unſere ſeelen retten moͤgen. Dieſes iſt die ei- nige materie/ die ich die wuͤrdigſte achte/ davon gehandelt zu werden/ unter denen welche GOTT ſuchen. Und darinnen wuͤnſchte ich/ daß der HERR ſeine gute gedancken mittheilte/ aber nicht in ſeine vielerley vorige ſcripta zu weiſen/ ſonderen in kurtzem und deutlich ſolche anzuzeigen. Es wird aber auch/ was ſolche mittel anlangt zweyerley zu bemercken ſeyn. Eines theils daß es mittel ſeyen/ die pra- cticabel ſind/ und nicht erwa ſolche da man ſtracks ſiehet/ ſie ſeyen allein vota/ und ſetzen zum grunde eine anmuthige ideam Platonicæ Reipublicæ, da wo wir uns uͤber ſolche ideam ergoͤtzet/ kein weiterer nutzen uͤbrig bleibet. Und halte ich ei- nen medicum nicht vor klug und treue/ welcher bey einen patienten viel diſcurri- ret/ von ſolchen medicamentis und curen/ dazu zugelangen/ bekantlich kein mittel und weg iſt/ ſondern es ſcheinet/ ein ſolcher wolle mehr ſeine geſchicklichkeit weiſen/ als daß er ſich des krancken heil laſſe angelegen ſeyn: viel beſſer aber verdienet ſich der jenige medicus an ihm der mit aller ſorgfalt/ ſich der medicamenten gebꝛaucht die er haben kan/ ob ſie wohl jenen zu erlangen unmuͤglich an guͤte nicht gleich ſind/ ja auch die kranckheit nicht aus dem grund heilen ſondern doch dem patienten ei- nige linderung geben/ oder wohl ſo lang das leben friſten/ biß man etwa jener ſtatt- licher mittel moͤge habhafft werden. Alſo ſehe ich gewiß nicht/ wie der gemeinde CHRJSTJ gerathen werde mit vorſchlag der jenigen mittel/ da wir ſtracks ſe- hen/ daß nichts davon zu wegen zu bringen iſt/ ſondern das auffhalten in deroſelben betrachtung uns nur hindert an den andern mittelen/ die ſonſten practicabel ſind. Andern theils achte ich noͤthig/ daß es mittel ſeyen/ die nicht nur bloß univerſal, o- der ſo bewandt ſeyen/ daß der gantzen kirchen damit ſtracks geholffen werde/ mit verwerffung der jenigen/ welche ein und anderen theil deroſelben etlicher maſſen zu retten tuͤchtig ſind. Dann wo die ſache recht erwogen wird/ ſo werden jene in die

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/532>, abgerufen am 22.11.2024.