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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
bey uns zuwegen zu bringen/ sondern zu dero würckung gehöret/ daß aus dem
Evangelio durch den glauben die seele habe angefangen die liebe ihres Gottes zu
erkennen und schmecken/ da alsdann die wercke nicht anders als folgen können/
wo eine solche trefliche wurtzel gepflantzet ist/ welche materie ich vor deme in ei-
ner praefation über des S. Andreae Crameri herrliche schrifften/ so unter dem
nahmen der gläubigen kinder GOttes ehrenstand und pflicht hier ge-
druckt worden/ mit etwas mehrerem ausgeführt habe. Ferner ist auch dieses vor
denen augen/ die etwas tieffer sehen/ unleugbar/ daß ie hefftiger das Göttliche
wort getrieben und lauter der Welt vor augen geleget wird/ der Satan so viel
erschrecklicher rase/ und immer als lang ihm solches wird verhenget werden/ rasen
wird: und dasselbe nicht nur mit öffentlichem wiederfechten und lästern/ sondern
welches in dem werthen schreiben bemercket worden/ auch auf eine andere art/
daß er suchen wird unter dem schein der gottseligkeit sein gifft zu verbergen. Es
kennet der tausendkunstler die unterschiedlichen arten der gemüther allzu wohl/
als daß er alle auf einerley weise angreiffen solte/ als womit er bey vielen würde
vergebens seyn; weil er also weiß/ daß einige sind/ die sich/ wo er etwas seiner
schwärtze sehen lässet/ vor ihm so bald entsetzen/ und verwahren würden/ so thut er
bey solchen einen leicht-mantel um und betreugt sie so viel leichter. Daher die
geister ja fleißig zu prüfen sind/ ob sie aus Gott seyn oder nicht. Weil aber solche
prüfung eine nicht so gar leichte sache ist/ und man sich beyderseits mit vermesse-
nem urtheil und verdammung der dinge/ die nicht recht verstanden werden/ und
rechte Göttliche wahrheiten in dem wahren verstande in sich gefaßt/ oder ander-
seits in annehmung einiger irrthüme/ gefährlich versündigen mag/ so achte ich/
daß sehr behutsam zu verfahren seye. Nechst hertzl. gebeth zu Gott/ daß er uns ja
verwahre/ daß uns der arge nicht antaste/ habe ich bißher vor mich und andere
diesen den sichersten weg befunden; daß wir uns an keinem menschen/ wie er
auch nahmen haben möchte/ binden/ sondern glauben/ das wort Gottes seye allein
die wahrheit/ und müssen wir auf dasselbe uns pur-lauter allein verlassen/ so gar/
daß wir weder unsern eigenen liebsten predigern/ noch andern etwas deswegen
glauben/ weil sie es vorgeben/ sondern allein dabey bleiben/ was uns Gottes wort
so deutlich vor augen stellet/ daß unser gewissen dessen überzeuget ist. Kommen
wir nun über einige schrifften/ oder hören einige personen/ so etwas Göttliches
vorgeben/ so sehe ich nur zum fördersten darauf/ ob der grund des glaubens/ wel-
ches ist die herziehung der Seeligkeit aus der alleinigen gnade des himmlischen
Vaters in Christo JEsu/ fest stehe/ und ob dieser uns darinn recht vorgestellet
werde/ wie er so wohl mit seinem verdienst unser versöhner seye/ aus welchem wir
durch den glauben die vergebung der sünden und also die seligmachende gerech-
tigkeit haben/ als auch mit seinem heiligen exempel zu einer nothwendigen nach-
folge sich vorgestellet/ zu deroselben aber seinen H. Geist und himmlische krafft zu
schencken zugesagt habe/ daß wir daraus wahrhafftig gantz andere menschen zu

werden

Das ſechſte Capitel.
bey uns zuwegen zu bringen/ ſondern zu dero wuͤrckung gehoͤret/ daß aus dem
Evangelio durch den glauben die ſeele habe angefangen die liebe ihres Gottes zu
erkennen und ſchmecken/ da alsdann die wercke nicht anders als folgen koͤnnen/
wo eine ſolche trefliche wurtzel gepflantzet iſt/ welche materie ich vor deme in ei-
ner præfation uͤber des S. Andreæ Crameri herrliche ſchrifften/ ſo unter dem
nahmen der glaͤubigen kinder GOttes ehrenſtand und pflicht hier ge-
druckt worden/ mit etwas mehrerem ausgefuͤhrt habe. Ferner iſt auch dieſes vor
denen augen/ die etwas tieffer ſehen/ unleugbar/ daß ie hefftiger das Goͤttliche
wort getrieben und lauter der Welt vor augen geleget wird/ der Satan ſo viel
erſchrecklicher raſe/ und immer als lang ihm ſolches wird verhenget werden/ raſen
wird: und daſſelbe nicht nur mit oͤffentlichem wiederfechten und laͤſtern/ ſondern
welches in dem werthen ſchreiben bemercket worden/ auch auf eine andere art/
daß er ſuchen wird unter dem ſchein der gottſeligkeit ſein gifft zu verbergen. Es
kennet der tauſendkunſtler die unterſchiedlichen arten der gemuͤther allzu wohl/
als daß er alle auf einerley weiſe angreiffen ſolte/ als womit er bey vielen wuͤrde
vergebens ſeyn; weil er alſo weiß/ daß einige ſind/ die ſich/ wo er etwas ſeiner
ſchwaͤrtze ſehen laͤſſet/ vor ihm ſo bald entſetzen/ und verwahren wuͤrden/ ſo thut er
bey ſolchen einen leicht-mantel um und betreugt ſie ſo viel leichter. Daher die
geiſter ja fleißig zu pruͤfen ſind/ ob ſie aus Gott ſeyn oder nicht. Weil aber ſolche
pruͤfung eine nicht ſo gar leichte ſache iſt/ und man ſich beyderſeits mit vermeſſe-
nem urtheil und verdammung der dinge/ die nicht recht verſtanden werden/ und
rechte Goͤttliche wahrheiten in dem wahren verſtande in ſich gefaßt/ oder ander-
ſeits in annehmung einiger irrthuͤme/ gefaͤhrlich verſuͤndigen mag/ ſo achte ich/
daß ſehr behutſam zu verfahren ſeye. Nechſt hertzl. gebeth zu Gott/ daß er uns ja
verwahre/ daß uns der arge nicht antaſte/ habe ich bißher vor mich und andere
dieſen den ſicherſten weg befunden; daß wir uns an keinem menſchen/ wie er
auch nahmen haben moͤchte/ binden/ ſondern glauben/ das wort Gottes ſeye allein
die wahrheit/ und muͤſſen wir auf daſſelbe uns pur-lauter allein verlaſſen/ ſo gar/
daß wir weder unſern eigenen liebſten predigern/ noch andern etwas deswegen
glauben/ weil ſie es vorgeben/ ſondern allein dabey bleiben/ was uns Gottes wort
ſo deutlich vor augen ſtellet/ daß unſer gewiſſen deſſen uͤberzeuget iſt. Kommen
wir nun uͤber einige ſchrifften/ oder hoͤren einige perſonen/ ſo etwas Goͤttliches
vorgeben/ ſo ſehe ich nur zum foͤrderſten darauf/ ob der grund des glaubens/ wel-
ches iſt die herziehung der Seeligkeit aus der alleinigen gnade des himmliſchen
Vaters in Chriſto JEſu/ feſt ſtehe/ und ob dieſer uns darinn recht vorgeſtellet
werde/ wie er ſo wohl mit ſeinem verdienſt unſer verſoͤhner ſeye/ aus welchem wir
durch den glauben die vergebung der ſuͤnden und alſo die ſeligmachende gerech-
tigkeit haben/ als auch mit ſeinem heiligen exempel zu einer nothwendigen nach-
folge ſich vorgeſtellet/ zu deroſelben aber ſeinen H. Geiſt und himmliſche krafft zu
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[420/0438] Das ſechſte Capitel. bey uns zuwegen zu bringen/ ſondern zu dero wuͤrckung gehoͤret/ daß aus dem Evangelio durch den glauben die ſeele habe angefangen die liebe ihres Gottes zu erkennen und ſchmecken/ da alsdann die wercke nicht anders als folgen koͤnnen/ wo eine ſolche trefliche wurtzel gepflantzet iſt/ welche materie ich vor deme in ei- ner præfation uͤber des S. Andreæ Crameri herrliche ſchrifften/ ſo unter dem nahmen der glaͤubigen kinder GOttes ehrenſtand und pflicht hier ge- druckt worden/ mit etwas mehrerem ausgefuͤhrt habe. Ferner iſt auch dieſes vor denen augen/ die etwas tieffer ſehen/ unleugbar/ daß ie hefftiger das Goͤttliche wort getrieben und lauter der Welt vor augen geleget wird/ der Satan ſo viel erſchrecklicher raſe/ und immer als lang ihm ſolches wird verhenget werden/ raſen wird: und daſſelbe nicht nur mit oͤffentlichem wiederfechten und laͤſtern/ ſondern welches in dem werthen ſchreiben bemercket worden/ auch auf eine andere art/ daß er ſuchen wird unter dem ſchein der gottſeligkeit ſein gifft zu verbergen. Es kennet der tauſendkunſtler die unterſchiedlichen arten der gemuͤther allzu wohl/ als daß er alle auf einerley weiſe angreiffen ſolte/ als womit er bey vielen wuͤrde vergebens ſeyn; weil er alſo weiß/ daß einige ſind/ die ſich/ wo er etwas ſeiner ſchwaͤrtze ſehen laͤſſet/ vor ihm ſo bald entſetzen/ und verwahren wuͤrden/ ſo thut er bey ſolchen einen leicht-mantel um und betreugt ſie ſo viel leichter. Daher die geiſter ja fleißig zu pruͤfen ſind/ ob ſie aus Gott ſeyn oder nicht. Weil aber ſolche pruͤfung eine nicht ſo gar leichte ſache iſt/ und man ſich beyderſeits mit vermeſſe- nem urtheil und verdammung der dinge/ die nicht recht verſtanden werden/ und rechte Goͤttliche wahrheiten in dem wahren verſtande in ſich gefaßt/ oder ander- ſeits in annehmung einiger irrthuͤme/ gefaͤhrlich verſuͤndigen mag/ ſo achte ich/ daß ſehr behutſam zu verfahren ſeye. Nechſt hertzl. gebeth zu Gott/ daß er uns ja verwahre/ daß uns der arge nicht antaſte/ habe ich bißher vor mich und andere dieſen den ſicherſten weg befunden; daß wir uns an keinem menſchen/ wie er auch nahmen haben moͤchte/ binden/ ſondern glauben/ das wort Gottes ſeye allein die wahrheit/ und muͤſſen wir auf daſſelbe uns pur-lauter allein verlaſſen/ ſo gar/ daß wir weder unſern eigenen liebſten predigern/ noch andern etwas deswegen glauben/ weil ſie es vorgeben/ ſondern allein dabey bleiben/ was uns Gottes wort ſo deutlich vor augen ſtellet/ daß unſer gewiſſen deſſen uͤberzeuget iſt. Kommen wir nun uͤber einige ſchrifften/ oder hoͤren einige perſonen/ ſo etwas Goͤttliches vorgeben/ ſo ſehe ich nur zum foͤrderſten darauf/ ob der grund des glaubens/ wel- ches iſt die herziehung der Seeligkeit aus der alleinigen gnade des himmliſchen Vaters in Chriſto JEſu/ feſt ſtehe/ und ob dieſer uns darinn recht vorgeſtellet werde/ wie er ſo wohl mit ſeinem verdienſt unſer verſoͤhner ſeye/ aus welchem wir durch den glauben die vergebung der ſuͤnden und alſo die ſeligmachende gerech- tigkeit haben/ als auch mit ſeinem heiligen exempel zu einer nothwendigen nach- folge ſich vorgeſtellet/ zu deroſelben aber ſeinen H. Geiſt und himmliſche krafft zu ſchencken zugeſagt habe/ daß wir daraus wahrhafftig gantz andere menſchen zu werden

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/438>, abgerufen am 21.11.2024.