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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXVIII.
nothwendigen und nebens sachen. Was das blosse nothweudige anlanget von
dem lebendigen und fruchtbahren seligmachenden glauben/ von der gnade Christi/
die er seinen gläubigen ertheilet/ von den schätzen/ die wir in ihm besitzen und also
von den hauptsachen/ so zu der rechtfertigung und erneurung gehören/ da haben
wir nicht nur nichts zu vergeben/ sondern sehe nicht/ wie da jemand in einem solchen
entstehenden streite neutral seyn/ oder einen bruder stecken lassen könne. Was
aber darnach entweder nebens fragen anlangt/ oder streit über diese und jene for-
mul (wo sonsten die hauptsache annoch beyderseits erhalten wird) über dieses oder
jenes buch oder autorem/ über gewisse anstalten/ über mittel und vorschläge der
besserung/ über actiones gewisser fratrum/ ob sie darinnen recht oder unrecht
gethan haben/ wäre zwar von den meisten besser/ daß gar nie dergleichen
fragen moviret/ und streit erhoben würde/ jedoch wo es mit liebe und beschei-
denheit geschiehet/ willich nicht eben verwerffen/ was etwa auch deswegen publi-
[c]e conferi
ret würde/ aber da halte am rathsamsten/ es sey denn zur freundlichen
beylegung/ daß sich andere nicht darein legen/ sondern dasjenige unter denen aus-
gemachet werden lassen die es angehoben/ und in dessen mit beyderseits das band
des friedens unzerbrochen erhalten werde. Wie ich gern mit jeden friede halten
will/ ober mir schon das meinige nicht billiget/ hingegen auch gedult mit ihm trage/
wo er etwasthue und schreibe/ daran ich ziemliches bedencken hätte. Gewißlich wer-
den wir GOTT mit solcher sanfftmüthigen art/ die keines menschen gewissen et-
was aufftringt/ alle unsere dinge führen/ und auch unsren streit ausmachen/ so wird
der kirchen in kurtzen besser gerahten seyn/ als wo auch die jenige/ die die besserung
suchen/ mit hefftigkeit und opiniatrität die sache verderben/ und da dürffen wir
doch nicht sorgen/ daß wir werden ohne der welt haß u. verfolgung bleiben/ sondern
nach unsers Heylandes aussage wirds wohl dabey bleiben/ daß die welt die seinige
hassen wird. Denn es wird der teuffel endlich durch seine diener unverschämt
werden/ daß er das werck selbsten u. die rechte grundseulen der gottseligkeit angreif-
fen wird/ wo wir uns müssen mit hertzlichem und öffentlichem eiffer alle widerse-
tzen und darüber alles schwehrste willig leiden. Welches leiden als dann vor
GOTT so viel ehrlicher und dem gewissen tröstlicher seyn wird/ da wir lauterlich
und allein um die unzweiffliche sache GOttes leiden müssen/ als dasjenige/ wo noch
entweder wahrhafftig etwas unsers eigenen mit darunter stecket/ oder aber doch die
sachen nicht so nöthig gewesen/ daß der nutzen davon dem dahero entstandenen scha-
den des streits vorgezogen werden könne: u. wie allemahl auch sonsten gute u. gottse-
lige gemüther mit eingeflochten werden/ daß sie aus unverstand dem guten so sie
nicht erkant/ sich entgegen setzen. Wo es aber zu diesem streit kommen wird/ so
wird sich bald offenbahrlich/ was GOTT anhange oder nicht/ an den tag geben
müssen. Dieses ist mit wenigem die regel nach dero mich bißhero gehalten/
und als viel mir GOTT gnade zuerkennen gegeben hat/ davor achte/ daß dieses die

beste
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ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXVIII.
nothwendigen und nebens ſachen. Was das bloſſe nothweudige anlanget von
dem lebendigen und fruchtbahren ſeligmachenden glauben/ von der gnade Chriſti/
die er ſeinen glaͤubigen ertheilet/ von den ſchaͤtzen/ die wir in ihm beſitzen und alſo
von den hauptſachen/ ſo zu der rechtfertigung und erneurung gehoͤren/ da haben
wir nicht nur nichts zu vergeben/ ſondern ſehe nicht/ wie da jemand in einem ſolchen
entſtehenden ſtreite neutral ſeyn/ oder einen bruder ſtecken laſſen koͤnne. Was
aber darnach entweder nebens fragen anlangt/ oder ſtreit uͤber dieſe und jene for-
mul (wo ſonſten die hauptſache annoch beyderſeits erhalten wird) uͤber dieſes oder
jenes buch oder autorem/ uͤber gewiſſe anſtalten/ uͤber mittel und vorſchlaͤge der
beſſerung/ uͤber actiones gewiſſer fratrum/ ob ſie darinnen recht oder unrecht
gethan haben/ waͤre zwar von den meiſten beſſer/ daß gar nie dergleichen
fragen moviret/ und ſtreit erhoben wuͤrde/ jedoch wo es mit liebe und beſchei-
denheit geſchiehet/ willich nicht eben verwerffen/ was etwa auch deswegen publi-
[c]e conferi
ret wuͤrde/ aber da halte am rathſamſten/ es ſey denn zur freundlichen
beylegung/ daß ſich andere nicht darein legen/ ſondern dasjenige unter denen aus-
gemachet werden laſſen die es angehoben/ und in deſſen mit beyderſeits das band
des friedens unzerbrochen erhalten werde. Wie ich gern mit jeden friede halten
will/ ober mir ſchon das meinige nicht billiget/ hingegen auch gedult mit ihm trage/
wo er etwasthue und ſchreibe/ daran ich ziemliches bedencken haͤtte. Gewißlich wer-
den wir GOTT mit ſolcher ſanfftmuͤthigen art/ die keines menſchen gewiſſen et-
was aufftringt/ alle unſere dinge fuͤhren/ und auch unſren ſtreit ausmachen/ ſo wird
der kirchen in kurtzen beſſer gerahten ſeyn/ als wo auch die jenige/ die die beſſerung
ſuchen/ mit hefftigkeit und opiniatritaͤt die ſache verderben/ und da duͤrffen wir
doch nicht ſorgen/ daß wir werden ohne der welt haß u. verfolgung bleiben/ ſondern
nach unſers Heylandes ausſage wirds wohl dabey bleiben/ daß die welt die ſeinige
haſſen wird. Denn es wird der teuffel endlich durch ſeine diener unverſchaͤmt
werden/ daß er das werck ſelbſten u. die rechte grundſeulen der gottſeligkeit angreif-
fen wird/ wo wir uns muͤſſen mit hertzlichem und oͤffentlichem eiffer alle widerſe-
tzen und daruͤber alles ſchwehrſte willig leiden. Welches leiden als dann vor
GOTT ſo viel ehrlicher und dem gewiſſen troͤſtlicher ſeyn wird/ da wir lauterlich
und allein um die unzweiffliche ſache GOttes leiden muͤſſen/ als dasjenige/ wo noch
entweder wahrhafftig etwas unſers eigenen mit darunter ſtecket/ oder aber doch die
ſachen nicht ſo noͤthig geweſen/ daß der nutzen davon dem dahero entſtandenen ſcha-
den des ſtreits voꝛgezogen werden koͤnne: u. wie allemahl auch ſonſten gute u. gottſe-
lige gemuͤther mit eingeflochten weꝛden/ daß ſie aus unveꝛſtand dem guten ſo ſie
nicht erkant/ ſich entgegen ſetzen. Wo es aber zu dieſem ſtreit kommen wird/ ſo
wird ſich bald offenbahrlich/ was GOTT anhange oder nicht/ an den tag geben
muͤſſen. Dieſes iſt mit wenigem die regel nach dero mich bißhero gehalten/
und als viel mir GOTT gnade zuerkennen gegeben hat/ davor achte/ daß dieſes die

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[263[265]/0283] ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XXXVIII. nothwendigen und nebens ſachen. Was das bloſſe nothweudige anlanget von dem lebendigen und fruchtbahren ſeligmachenden glauben/ von der gnade Chriſti/ die er ſeinen glaͤubigen ertheilet/ von den ſchaͤtzen/ die wir in ihm beſitzen und alſo von den hauptſachen/ ſo zu der rechtfertigung und erneurung gehoͤren/ da haben wir nicht nur nichts zu vergeben/ ſondern ſehe nicht/ wie da jemand in einem ſolchen entſtehenden ſtreite neutral ſeyn/ oder einen bruder ſtecken laſſen koͤnne. Was aber darnach entweder nebens fragen anlangt/ oder ſtreit uͤber dieſe und jene for- mul (wo ſonſten die hauptſache annoch beyderſeits erhalten wird) uͤber dieſes oder jenes buch oder autorem/ uͤber gewiſſe anſtalten/ uͤber mittel und vorſchlaͤge der beſſerung/ uͤber actiones gewiſſer fratrum/ ob ſie darinnen recht oder unrecht gethan haben/ waͤre zwar von den meiſten beſſer/ daß gar nie dergleichen fragen moviret/ und ſtreit erhoben wuͤrde/ jedoch wo es mit liebe und beſchei- denheit geſchiehet/ willich nicht eben verwerffen/ was etwa auch deswegen publi- ce conferiret wuͤrde/ aber da halte am rathſamſten/ es ſey denn zur freundlichen beylegung/ daß ſich andere nicht darein legen/ ſondern dasjenige unter denen aus- gemachet werden laſſen die es angehoben/ und in deſſen mit beyderſeits das band des friedens unzerbrochen erhalten werde. Wie ich gern mit jeden friede halten will/ ober mir ſchon das meinige nicht billiget/ hingegen auch gedult mit ihm trage/ wo er etwasthue und ſchreibe/ daran ich ziemliches bedencken haͤtte. Gewißlich wer- den wir GOTT mit ſolcher ſanfftmuͤthigen art/ die keines menſchen gewiſſen et- was aufftringt/ alle unſere dinge fuͤhren/ und auch unſren ſtreit ausmachen/ ſo wird der kirchen in kurtzen beſſer gerahten ſeyn/ als wo auch die jenige/ die die beſſerung ſuchen/ mit hefftigkeit und opiniatritaͤt die ſache verderben/ und da duͤrffen wir doch nicht ſorgen/ daß wir werden ohne der welt haß u. verfolgung bleiben/ ſondern nach unſers Heylandes ausſage wirds wohl dabey bleiben/ daß die welt die ſeinige haſſen wird. Denn es wird der teuffel endlich durch ſeine diener unverſchaͤmt werden/ daß er das werck ſelbſten u. die rechte grundſeulen der gottſeligkeit angreif- fen wird/ wo wir uns muͤſſen mit hertzlichem und oͤffentlichem eiffer alle widerſe- tzen und daruͤber alles ſchwehrſte willig leiden. Welches leiden als dann vor GOTT ſo viel ehrlicher und dem gewiſſen troͤſtlicher ſeyn wird/ da wir lauterlich und allein um die unzweiffliche ſache GOttes leiden muͤſſen/ als dasjenige/ wo noch entweder wahrhafftig etwas unſers eigenen mit darunter ſtecket/ oder aber doch die ſachen nicht ſo noͤthig geweſen/ daß der nutzen davon dem dahero entſtandenen ſcha- den des ſtreits voꝛgezogen werden koͤnne: u. wie allemahl auch ſonſten gute u. gottſe- lige gemuͤther mit eingeflochten weꝛden/ daß ſie aus unveꝛſtand dem guten ſo ſie nicht erkant/ ſich entgegen ſetzen. Wo es aber zu dieſem ſtreit kommen wird/ ſo wird ſich bald offenbahrlich/ was GOTT anhange oder nicht/ an den tag geben muͤſſen. Dieſes iſt mit wenigem die regel nach dero mich bißhero gehalten/ und als viel mir GOTT gnade zuerkennen gegeben hat/ davor achte/ daß dieſes die beſte Ll

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 263[265]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/283>, abgerufen am 24.11.2024.