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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XI.
so sey sie das rechte kräfftige wort Gottes. Könten wir es auch allgemach dahin brin-
gen/ daß in der absonderlichen application bey der Absolution nicht so offt dasje-
nige in der hypothesi widersprochen würde/ was in thesi auff der cantzel geleh-
ret worden/ so würde bald die sache ein ander ansehen gewinnen. Was die ande-
re gemeinden betrifft/ so erkenne gern/ daß in derselben GOtt auch seinen samen
erhalte/ welche aber gewißlich in dem grund des glaubens mit uns einstimmen/ was
die übrige articul aber anlangt/ entweder unsere wahrheit auch erkennen/ ohne daß
sie deswegen sich zu uns zu verfügen sich in ihrem gewissen verbunden achten/ noch
die resolution darzu fassen können/ weil sie sonsten so viel böses bey uns sehen/ wel-
ches ihnen so starcken zweiffel macht/ ob wir die wahre gemeinde GOttes seyn kön-
ten/ oder sie erkennen solche nicht/ vielleicht auch aus dieser heiligen vorsehung Got-
tes/ welcher sie bey ihren gemeinden behalten will/ damit durch das bey ihnen noch
besindliche gute die jenige/ die sich erhalten wollen lassen/ und ohne dergleichen zu
hause habende/ etwas sehende/ leiter erligen würden/ behalten werden mögen/ daher
er jene noch so viele nicht sehen lässet/ woraus sie zu einem ausgang aus ihren gemein-
den würden bewogen werden. Jndessen weist/ wie er verhüten kan/ daß solche un-
wissenheit ihnen endlich nicht schädlich seyn kan. So folget auch aus obigem/ daß
freylich wie die lehr ins gemein geführet wird/ nicht lauter stimme CHristi bey uns
auch schallet/ sondern manches mit menschen stimmen zimlich vermischet wird.
Was das dritte betrifft/ so ist die frage entweder davon/ ob unsere kirche also rein
seye/ wie sichs geziemete vor diejenige welche die braut CHristi ist/ wo ich sreylich
erkenne/ es mangle ihr vieles an dem jenigen/ was zu ihrer geziemlichen zierde ge-
höret: oder es ist die frage/ welche unter alle sichtbahren gemeinden und versam-
lungen der Christen diejenige seye/ dero bekäntnüß rein/ und also ihre lehr vor der
übrigen gemeinden lehr göttlichem wort gemäß erkant werden wöge; da wir dann
GOTT diesen danck schuldig sind/ zu bekennen/ daß in vergleichung der schwehrer
irrthum und abgöttischen diensts in dem Papstum/ so dann des irrthums bey den
Reformirten von der blossen verwerffung/ jetzo anderer gemeinden zu geschweigen/
die unserige so viel reiner/ und so viel wir jetzo auff erden eine sichtbare kirche haben/
dieselbe bey der unsrigen zu erkennen seye. Jndessen ist nimmermehr meine mey-
nung/ daß alle in allen andern gemeinden davon ausgeschlossen seyen/ und nicht sehr
viele unter denselbigen gefunden mögen werden/ welche wahrhafftige und nicht
weniger glieder der unsichtbaren oder allgemeinen kirchen seyen als wir. Wie
zum exempel zu zeiten der altväter/ ob wohl in ihren häusern und familien die sicht-
bahre kirche GOttes gewesen/ nichts desto weniger unter andern völckern sich auch
gefunden haben leute/ die GOTT angenehm gewesen/ und zu seinem volck
gehöret haben. Weswegen die intendirende Reformation freylich nicht solle
verlangt werden inner unsrer ringmauer allein zu bleiben/ sondern das reich Got-
tes aller orten aus zubreiten. Nur ist die frage/ wie solche sache am klüglichsten
und GOttgefälligsten angegriffen werde/ sonderlich in betrachtung gegenwärti-

gen

ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XI.
ſo ſey ſie das rechte kraͤfftige wort Gottes. Koͤnten wir es auch allgemach dahin brin-
gen/ daß in der abſonderlichen application bey der Abſolution nicht ſo offt dasje-
nige in der hypotheſi widerſprochen wuͤrde/ was in theſi auff der cantzel geleh-
ret worden/ ſo wuͤrde bald die ſache ein ander anſehen gewinnen. Was die ande-
re gemeinden betrifft/ ſo erkenne gern/ daß in derſelben GOtt auch ſeinen ſamen
erhalte/ welche aber gewißlich in dem grund des glaubens mit uns einſtimmen/ was
die uͤbrige articul aber anlangt/ entweder unſere wahrheit auch erkennen/ ohne daß
ſie deswegen ſich zu uns zu verfuͤgen ſich in ihrem gewiſſen verbunden achten/ noch
die reſolution darzu faſſen koͤnnen/ weil ſie ſonſten ſo viel boͤſes bey uns ſehen/ wel-
ches ihnen ſo ſtarcken zweiffel macht/ ob wir die wahre gemeinde GOttes ſeyn koͤn-
ten/ oder ſie erkennen ſolche nicht/ vielleicht auch aus dieſer heiligen vorſehung Got-
tes/ welcher ſie bey ihren gemeinden behalten will/ damit durch das bey ihnen noch
beſindliche gute die jenige/ die ſich erhalten wollen laſſen/ und ohne dergleichen zu
hauſe habende/ etwas ſehende/ leiter erligen wuͤrden/ behalten werden moͤgen/ daher
er jene noch ſo viele nicht ſehen laͤſſet/ woꝛaus ſie zu einem ausgang aus ihꝛen gemein-
den wuͤrden bewogen werden. Jndeſſen weiſt/ wie er verhuͤten kan/ daß ſolche un-
wiſſenheit ihnen endlich nicht ſchaͤdlich ſeyn kan. So folget auch aus obigem/ daß
freylich wie die lehr ins gemein gefuͤhret wird/ nicht lauter ſtimme CHriſti bey uns
auch ſchallet/ ſondern manches mit menſchen ſtimmen zimlich vermiſchet wird.
Was das dritte betrifft/ ſo iſt die frage entweder davon/ ob unſere kirche alſo rein
ſeye/ wie ſichs geziemete vor diejenige welche die braut CHriſti iſt/ wo ich ſreylich
erkenne/ es mangle ihr vieles an dem jenigen/ was zu ihrer geziemlichen zierde ge-
hoͤret: oder es iſt die frage/ welche unter alle ſichtbahren gemeinden und verſam-
lungen der Chriſten diejenige ſeye/ dero bekaͤntnuͤß rein/ und alſo ihre lehr vor der
uͤbrigen gemeinden lehr goͤttlichem wort gemaͤß erkant werden woͤge; da wir dann
GOTT dieſen danck ſchuldig ſind/ zu bekennen/ daß in vergleichung der ſchwehrer
irrthum und abgoͤttiſchen dienſts in dem Papſtum/ ſo dann des irrthums bey den
Reformirten von der bloſſen verwerffung/ jetzo anderer gemeinden zu geſchweigen/
die unſerige ſo viel reiner/ und ſo viel wir jetzo auff erden eine ſichtbare kirche haben/
dieſelbe bey der unſrigen zu erkennen ſeye. Jndeſſen iſt nimmermehr meine mey-
nung/ daß alle in allen andern gemeinden davon ausgeſchloſſen ſeyen/ und nicht ſehr
viele unter denſelbigen gefunden moͤgen werden/ welche wahrhafftige und nicht
weniger glieder der unſichtbaren oder allgemeinen kirchen ſeyen als wir. Wie
zum exempel zu zeiten der altvaͤter/ ob wohl in ihren haͤuſern und familien die ſicht-
bahre kirche GOttes geweſen/ nichts deſto weniger unter andern voͤlckern ſich auch
gefunden haben leute/ die GOTT angenehm geweſen/ und zu ſeinem volck
gehoͤret haben. Weswegen die intendirende Reformation freylich nicht ſolle
verlangt werden inner unſrer ringmauer allein zu bleiben/ ſondern das reich Got-
tes aller orten aus zubreiten. Nur iſt die frage/ wie ſolche ſache am kluͤglichſten
und GOttgefaͤlligſten angegriffen werde/ ſonderlich in betrachtung gegenwaͤrti-

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[183/0201] ARTIC. I. DISTINCT. II. SECTIO XI. ſo ſey ſie das rechte kraͤfftige wort Gottes. Koͤnten wir es auch allgemach dahin brin- gen/ daß in der abſonderlichen application bey der Abſolution nicht ſo offt dasje- nige in der hypotheſi widerſprochen wuͤrde/ was in theſi auff der cantzel geleh- ret worden/ ſo wuͤrde bald die ſache ein ander anſehen gewinnen. Was die ande- re gemeinden betrifft/ ſo erkenne gern/ daß in derſelben GOtt auch ſeinen ſamen erhalte/ welche aber gewißlich in dem grund des glaubens mit uns einſtimmen/ was die uͤbrige articul aber anlangt/ entweder unſere wahrheit auch erkennen/ ohne daß ſie deswegen ſich zu uns zu verfuͤgen ſich in ihrem gewiſſen verbunden achten/ noch die reſolution darzu faſſen koͤnnen/ weil ſie ſonſten ſo viel boͤſes bey uns ſehen/ wel- ches ihnen ſo ſtarcken zweiffel macht/ ob wir die wahre gemeinde GOttes ſeyn koͤn- ten/ oder ſie erkennen ſolche nicht/ vielleicht auch aus dieſer heiligen vorſehung Got- tes/ welcher ſie bey ihren gemeinden behalten will/ damit durch das bey ihnen noch beſindliche gute die jenige/ die ſich erhalten wollen laſſen/ und ohne dergleichen zu hauſe habende/ etwas ſehende/ leiter erligen wuͤrden/ behalten werden moͤgen/ daher er jene noch ſo viele nicht ſehen laͤſſet/ woꝛaus ſie zu einem ausgang aus ihꝛen gemein- den wuͤrden bewogen werden. Jndeſſen weiſt/ wie er verhuͤten kan/ daß ſolche un- wiſſenheit ihnen endlich nicht ſchaͤdlich ſeyn kan. So folget auch aus obigem/ daß freylich wie die lehr ins gemein gefuͤhret wird/ nicht lauter ſtimme CHriſti bey uns auch ſchallet/ ſondern manches mit menſchen ſtimmen zimlich vermiſchet wird. Was das dritte betrifft/ ſo iſt die frage entweder davon/ ob unſere kirche alſo rein ſeye/ wie ſichs geziemete vor diejenige welche die braut CHriſti iſt/ wo ich ſreylich erkenne/ es mangle ihr vieles an dem jenigen/ was zu ihrer geziemlichen zierde ge- hoͤret: oder es iſt die frage/ welche unter alle ſichtbahren gemeinden und verſam- lungen der Chriſten diejenige ſeye/ dero bekaͤntnuͤß rein/ und alſo ihre lehr vor der uͤbrigen gemeinden lehr goͤttlichem wort gemaͤß erkant werden woͤge; da wir dann GOTT dieſen danck ſchuldig ſind/ zu bekennen/ daß in vergleichung der ſchwehrer irrthum und abgoͤttiſchen dienſts in dem Papſtum/ ſo dann des irrthums bey den Reformirten von der bloſſen verwerffung/ jetzo anderer gemeinden zu geſchweigen/ die unſerige ſo viel reiner/ und ſo viel wir jetzo auff erden eine ſichtbare kirche haben/ dieſelbe bey der unſrigen zu erkennen ſeye. Jndeſſen iſt nimmermehr meine mey- nung/ daß alle in allen andern gemeinden davon ausgeſchloſſen ſeyen/ und nicht ſehr viele unter denſelbigen gefunden moͤgen werden/ welche wahrhafftige und nicht weniger glieder der unſichtbaren oder allgemeinen kirchen ſeyen als wir. Wie zum exempel zu zeiten der altvaͤter/ ob wohl in ihren haͤuſern und familien die ſicht- bahre kirche GOttes geweſen/ nichts deſto weniger unter andern voͤlckern ſich auch gefunden haben leute/ die GOTT angenehm geweſen/ und zu ſeinem volck gehoͤret haben. Weswegen die intendirende Reformation freylich nicht ſolle verlangt werden inner unſrer ringmauer allein zu bleiben/ ſondern das reich Got- tes aller orten aus zubreiten. Nur iſt die frage/ wie ſolche ſache am kluͤglichſten und GOttgefaͤlligſten angegriffen werde/ ſonderlich in betrachtung gegenwaͤrti- gen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/201>, abgerufen am 21.11.2024.