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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
fast gleiche art hat üben wollen. Als ich eine grosse furcht hatte vor der seelen sor-
ge/ und mein hertzliches verlangen war/ daß GOTT meiner damit schohnen und
mir eine solche art in geistlichem stande zu leben zeigen möchte/ worinnen ich zwar
arbeit/ aber dergleichen sorge und verantwortung nicht/ hätte; So begab sichs/
daß aus Straßburg durch einige gute gönner mir/ der damal zu Tübingen war/ zu
geschrieben und eine vocation zu einer gewissen stelle in der Statt angetragen
wurde/ wo solche seelen-sorge nicht nur mit anhinge sondern auch derselben beschwer-
den vor anderen groß waren. Da gab es einen harten kampff. Auff einer sei-
te stunde die liebe der freyheit und furcht vor solcher verbindung. Auff der ande-
ren seiten/ weil alles ohn mein gesuch geschehen/ auch andere ursachen/ wolten
mich glauben machen/ das werck sey von dem HErrn/ und je grösseren widerstand
ich in dem gemüth dagegen empfand/ so viel mehr fürchtete ich/ fleisch und blut wol-
le GOtt ungehorsam seyn/ in dem es sie sauer ankäme. Jch sandte endlich einen
expressen boten an jemand der meinigen/ dessen urtheil und rath ich vor andern
trauete/ und suchte mir aus der angst zuhelffen. Dieses gutachten/ fiel auch da-
hinaus/ GOttes finger habe sich gezeiget/ ich solte dem nicht entweichen. GOtt
gab gnade/ daß ich die natur überwand/ und zu folgen mich resolvirte: auch würck-
lich nach Straßburg mich begab. Als ich da war/ so funden sich einige conditi-
ones
bey angetragene stelle/ welche meiner leibes constitution halben mir un-
muglich zu seyn/ so wol der praeses des kirchen convents erkante/ als auch folg-
lich die jenige selbst/ so das werck vorhin getrieben/ auff dieselbe remonstration sich
zu ruhe begaben. Daß also die sache zurücke ging: Und zwar da auch schon et-
was unter die leute gekommen war/ so wol bey meinem abschied aus Tübingen/ als
in der statt/ deswegen auch einiger schimpff zu sorgen war. Jch habe es aber als
eine versuchung angesehen/ da mein GOtt mich üben wollen/ ob mir sein wille so
lieb seyn würde/ um desselben willen meinen sinn zu ändern: nachmahlen aber
mich wiederum frey zu lassen. Er hat zwar dennoch ferner mit mir gespielet/ daß
er mich erstlich zu einen solchen dienst/ wie ich hätte wünschen mögen nemlich der
frey praedicatur beruffen lassen/ und mich/ der ich mich in dessen süsse ruhe/ weil kei-
ne besondere selen-sorge dabey war/ verliebet/ nichts desto weniger mich nach mahlen
gegenwärtige sorgen-volle stelle gesetzt. Seiner heiligsten u. allweisesten güte sey vor
alle solche dero führung demüthigst danck gesagt/ nicht nur die an mir erwiesene/
sondern die ich in diesem werck an meiner vielgeliebtesten schwester auch erwiesen zu
seyn erkenne. Laßet uns untereinander ihn allezeit ehren/ der uns führet wie die
jugend. Er führe sie ferner wunderlich/ aber seliglich. 1674.

SECT.

ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
faſt gleiche art hat uͤben wollen. Als ich eine groſſe furcht hatte vor der ſeelen ſor-
ge/ und mein hertzliches verlangen war/ daß GOTT meiner damit ſchohnen und
mir eine ſolche art in geiſtlichem ſtande zu leben zeigen moͤchte/ worinnen ich zwar
arbeit/ aber dergleichen ſorge und verantwortung nicht/ haͤtte; So begab ſichs/
daß aus Straßburg durch einige gute goͤnner mir/ der damal zu Tuͤbingen war/ zu
geſchrieben und eine vocation zu einer gewiſſen ſtelle in der Statt angetragen
wurde/ wo ſolche ſeelen-ſorge nicht nur mit anhinge ſondern auch derſelben beſchwer-
den vor anderen groß waren. Da gab es einen harten kampff. Auff einer ſei-
te ſtunde die liebe der freyheit und furcht vor ſolcher verbindung. Auff der ande-
ren ſeiten/ weil alles ohn mein geſuch geſchehen/ auch andere urſachen/ wolten
mich glauben machen/ das werck ſey von dem HErrn/ und je groͤſſeren widerſtand
ich in dem gemuͤth dagegen empfand/ ſo viel mehr fuͤrchtete ich/ fleiſch und blut wol-
le GOtt ungehorſam ſeyn/ in dem es ſie ſauer ankaͤme. Jch ſandte endlich einen
expreſſen boten an jemand der meinigen/ deſſen urtheil und rath ich vor andern
trauete/ und ſuchte mir aus der angſt zuhelffen. Dieſes gutachten/ fiel auch da-
hinaus/ GOttes finger habe ſich gezeiget/ ich ſolte dem nicht entweichen. GOtt
gab gnade/ daß ich die natur uͤberwand/ und zu folgen mich reſolvirte: auch wuͤrck-
lich nach Straßburg mich begab. Als ich da war/ ſo funden ſich einige conditi-
ones
bey angetragene ſtelle/ welche meiner leibes conſtitution halben mir un-
muglich zu ſeyn/ ſo wol der præſes des kirchen convents erkante/ als auch folg-
lich die jenige ſelbſt/ ſo das werck vorhin getrieben/ auff dieſelbe remonſtration ſich
zu ruhe begaben. Daß alſo die ſache zuruͤcke ging: Und zwar da auch ſchon et-
was unter die leute gekommen war/ ſo wol bey meinem abſchied aus Tuͤbingen/ als
in der ſtatt/ deswegen auch einiger ſchimpff zu ſorgen war. Jch habe es aber als
eine verſuchung angeſehen/ da mein GOtt mich uͤben wollen/ ob mir ſein wille ſo
lieb ſeyn wuͤrde/ um deſſelben willen meinen ſinn zu aͤndern: nachmahlen aber
mich wiederum frey zu laſſen. Er hat zwar dennoch ferner mit mir geſpielet/ daß
er mich erſtlich zu einen ſolchen dienſt/ wie ich haͤtte wuͤnſchen moͤgen nemlich der
frey prædicatur beruffen laſſen/ und mich/ der ich mich in deſſen ſuͤſſe ruhe/ weil kei-
ne beſondere ſelen-ſorge dabey war/ verliebet/ nichts deſto weniger mich nach mahlen
gegenwaͤrtige ſorgen-volle ſtelle geſetzt. Seiner heiligſten u. allweiſeſten guͤte ſey vor
alle ſolche dero fuͤhrung demuͤthigſt danck geſagt/ nicht nur die an mir erwieſene/
ſondern die ich in dieſem werck an meiner vielgeliebteſten ſchweſter auch erwieſen zu
ſeyn erkenne. Laßet uns untereinander ihn allezeit ehren/ der uns fuͤhret wie die
jugend. Er fuͤhre ſie ferner wunderlich/ aber ſeliglich. 1674.

SECT.
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[95/0113] ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII. faſt gleiche art hat uͤben wollen. Als ich eine groſſe furcht hatte vor der ſeelen ſor- ge/ und mein hertzliches verlangen war/ daß GOTT meiner damit ſchohnen und mir eine ſolche art in geiſtlichem ſtande zu leben zeigen moͤchte/ worinnen ich zwar arbeit/ aber dergleichen ſorge und verantwortung nicht/ haͤtte; So begab ſichs/ daß aus Straßburg durch einige gute goͤnner mir/ der damal zu Tuͤbingen war/ zu geſchrieben und eine vocation zu einer gewiſſen ſtelle in der Statt angetragen wurde/ wo ſolche ſeelen-ſorge nicht nur mit anhinge ſondern auch derſelben beſchwer- den vor anderen groß waren. Da gab es einen harten kampff. Auff einer ſei- te ſtunde die liebe der freyheit und furcht vor ſolcher verbindung. Auff der ande- ren ſeiten/ weil alles ohn mein geſuch geſchehen/ auch andere urſachen/ wolten mich glauben machen/ das werck ſey von dem HErrn/ und je groͤſſeren widerſtand ich in dem gemuͤth dagegen empfand/ ſo viel mehr fuͤrchtete ich/ fleiſch und blut wol- le GOtt ungehorſam ſeyn/ in dem es ſie ſauer ankaͤme. Jch ſandte endlich einen expreſſen boten an jemand der meinigen/ deſſen urtheil und rath ich vor andern trauete/ und ſuchte mir aus der angſt zuhelffen. Dieſes gutachten/ fiel auch da- hinaus/ GOttes finger habe ſich gezeiget/ ich ſolte dem nicht entweichen. GOtt gab gnade/ daß ich die natur uͤberwand/ und zu folgen mich reſolvirte: auch wuͤrck- lich nach Straßburg mich begab. Als ich da war/ ſo funden ſich einige conditi- ones bey angetragene ſtelle/ welche meiner leibes conſtitution halben mir un- muglich zu ſeyn/ ſo wol der præſes des kirchen convents erkante/ als auch folg- lich die jenige ſelbſt/ ſo das werck vorhin getrieben/ auff dieſelbe remonſtration ſich zu ruhe begaben. Daß alſo die ſache zuruͤcke ging: Und zwar da auch ſchon et- was unter die leute gekommen war/ ſo wol bey meinem abſchied aus Tuͤbingen/ als in der ſtatt/ deswegen auch einiger ſchimpff zu ſorgen war. Jch habe es aber als eine verſuchung angeſehen/ da mein GOtt mich uͤben wollen/ ob mir ſein wille ſo lieb ſeyn wuͤrde/ um deſſelben willen meinen ſinn zu aͤndern: nachmahlen aber mich wiederum frey zu laſſen. Er hat zwar dennoch ferner mit mir geſpielet/ daß er mich erſtlich zu einen ſolchen dienſt/ wie ich haͤtte wuͤnſchen moͤgen nemlich der frey prædicatur beruffen laſſen/ und mich/ der ich mich in deſſen ſuͤſſe ruhe/ weil kei- ne beſondere ſelen-ſorge dabey war/ verliebet/ nichts deſto weniger mich nach mahlen gegenwaͤrtige ſorgen-volle ſtelle geſetzt. Seiner heiligſten u. allweiſeſten guͤte ſey vor alle ſolche dero fuͤhrung demuͤthigſt danck geſagt/ nicht nur die an mir erwieſene/ ſondern die ich in dieſem werck an meiner vielgeliebteſten ſchweſter auch erwieſen zu ſeyn erkenne. Laßet uns untereinander ihn allezeit ehren/ der uns fuͤhret wie die jugend. Er fuͤhre ſie ferner wunderlich/ aber ſeliglich. 1674. SECT.

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/113>, abgerufen am 23.11.2024.