Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das fünffte Capitel. aber/ wo man etwas dessen aus wichtigen ursachen verschweiget und verhä-let/ womit man andere vielmehr irre machen/ als ihnen nutzen schaffen würde. 2. Werde ich mir damit auch nicht wider die schuldige gelassenheit aus eignem willen einen glauben machen/ den ich behalten/ und damit GOttes wirckung zuvor kommen wolte. Sondern was ich thue in solcher sache/ gehet nicht wei- ter/ als daß ich nach vermögen bey derjenigen lehr und bekäntnüß zu bleiben mich bemühe/ zu dero mich vorher göttliche gütige fürsorge durch meine ge- burth und auffer ziehung geführet hat/ von welcher ich also mit gutem gewis- sen nicht eher zu weichen vermag/ als biß ich des gegentheils mit einer völli- gen versicherung überzeuget wäre: so lange aber mein vorhin gefaßtes mir nur durch aufsteigende zweiffel bestritten wird/ kan ich es noch nicht wegwerf- fen/ sondern es behält das andere noch so lang den ihm zukommenden vorzug/ daß ob ich wol nicht mehr fest drauff stehe/ ich gleichwol auch nichts dagegen thue/ und wo ich auff eine seite etwas thun muß/ wie in den predigten/ da eine der contradictoriarum austrücklich muß gebraucht werden/ dasjenige behal- te und treibe/ was solcher gemeinde gesetz und ordnungen ohne das mit sich bringen. Wie auch sonsten in zweiffelhafften fällen/ wo nothwendig etwas ge- than werden muß/ der sicherste theil zu erwehlen ist: welcher in diesem fall ist die behaltung der gemeinen lehr/ durch die niemand/ durch das gegentheil a- ber gewiß viele/ irre gemacht und geärgert würden. Deswegen ich so gar meine über die gemeine lehr habende scrupel in der öffentlichen rede vorzustel- len durch die schuldigkeit der auffrichtigkeit nicht verbunden werde/ daß ich vielmehr aus der schuldigen sorge/ die ich haben muß/ niemand anders in ge- fahr des irrthums zu führen/ verpflichtet bin/ wo ich eines reden muß/ bey der gemeinen lehr zu bleiben/ und zu trachten/ daß ich vielmehr aus anderer als meinem munde auf obengezeigte weise rede. 3. Wird also damit auch nicht wi- der Rom. 14/ 24. gesündiget/ sondern ich kan alsdenn aus dem glauben (in diesem verstand) thun/ was itzt vorgeschlagen: Dann ob ich wol in dem glau- ben nicht versichert bin/ ob diese lehr die unzweiffentliche wahrheit seye/ so bin ich doch in dem glauben versichert/ daß bey dieser bewandtnüß die liebe und das gebot des HErrn dergleichen von mir fordere. V. Jst noch übrig die letzte frage/ was bey gegenwärtigem zustand noch zu thun? cken/
Das fuͤnffte Capitel. aber/ wo man etwas deſſen aus wichtigen urſachen verſchweiget und verhaͤ-let/ womit man andere vielmehr irre machen/ als ihnen nutzen ſchaffen wuͤrde. 2. Werde ich mir damit auch nicht wider die ſchuldige gelaſſenheit aus eignem willen einen glauben machen/ den ich behalten/ und damit GOttes wirckung zuvor kommen wolte. Sondern was ich thue in ſolcher ſache/ gehet nicht wei- ter/ als daß ich nach vermoͤgen bey derjenigen lehr und bekaͤntnuͤß zu bleiben mich bemuͤhe/ zu dero mich vorher goͤttliche guͤtige fuͤrſorge durch meine ge- burth und auffer ziehung gefuͤhret hat/ von welcher ich alſo mit gutem gewiſ- ſen nicht eher zu weichen vermag/ als biß ich des gegentheils mit einer voͤlli- gen verſicherung uͤberzeuget waͤre: ſo lange aber mein vorhin gefaßtes mir nur duꝛch aufſteigende zweiffel beſtritten wird/ kan ich es noch nicht wegweꝛf- fen/ ſondern es behaͤlt das andere noch ſo lang den ihm zukommenden vorzug/ daß ob ich wol nicht mehr feſt drauff ſtehe/ ich gleichwol auch nichts dagegen thue/ und wo ich auff eine ſeite etwas thun muß/ wie in den predigten/ da eine der contradictoriarum austruͤcklich muß gebraucht weꝛden/ dasjenige behal- te und treibe/ was ſolcher gemeinde geſetz und ordnungen ohne das mit ſich bringen. Wie auch ſonſten in zweiffelhafften faͤllen/ wo nothwendig etwas ge- than werden muß/ der ſicherſte theil zu erwehlen iſt: welcher in dieſem fall iſt die behaltung der gemeinen lehr/ durch die niemand/ durch das gegentheil a- ber gewiß viele/ irre gemacht und geaͤrgert wuͤrden. Deswegen ich ſo gar meine uͤber die gemeine lehr habende ſcrupel in der oͤffentlichen rede vorzuſtel- len durch die ſchuldigkeit der auffrichtigkeit nicht verbunden werde/ daß ich vielmehr aus der ſchuldigen ſorge/ die ich haben muß/ niemand anders in ge- fahr des irrthums zu fuͤhren/ verpflichtet bin/ wo ich eines reden muß/ bey der gemeinen lehr zu bleiben/ und zu trachten/ daß ich vielmehr aus anderer als meinem munde auf obengezeigte weiſe rede. 3. Wird alſo damit auch nicht wi- der Rom. 14/ 24. geſuͤndiget/ ſondern ich kan alsdenn aus dem glauben (in dieſem verſtand) thun/ was itzt vorgeſchlagen: Dann ob ich wol in dem glau- ben nicht verſichert bin/ ob dieſe lehr die unzweiffentliche wahrheit ſeye/ ſo bin ich doch in dem glauben verſichert/ daß bey dieſer bewandtnuͤß die liebe und das gebot des HErrn dergleichen von mir fordere. V. Jſt noch uͤbrig die letzte frage/ was bey gegenwaͤrtigem zuſtand noch zu thun? cken/
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Das fuͤnffte Capitel.
aber/ wo man etwas deſſen aus wichtigen urſachen verſchweiget und verhaͤ-
let/ womit man andere vielmehr irre machen/ als ihnen nutzen ſchaffen wuͤrde.
2. Werde ich mir damit auch nicht wider die ſchuldige gelaſſenheit aus eignem
willen einen glauben machen/ den ich behalten/ und damit GOttes wirckung
zuvor kommen wolte. Sondern was ich thue in ſolcher ſache/ gehet nicht wei-
ter/ als daß ich nach vermoͤgen bey derjenigen lehr und bekaͤntnuͤß zu bleiben
mich bemuͤhe/ zu dero mich vorher goͤttliche guͤtige fuͤrſorge durch meine ge-
burth und auffer ziehung gefuͤhret hat/ von welcher ich alſo mit gutem gewiſ-
ſen nicht eher zu weichen vermag/ als biß ich des gegentheils mit einer voͤlli-
gen verſicherung uͤberzeuget waͤre: ſo lange aber mein vorhin gefaßtes mir
nur duꝛch aufſteigende zweiffel beſtritten wird/ kan ich es noch nicht wegweꝛf-
fen/ ſondern es behaͤlt das andere noch ſo lang den ihm zukommenden vorzug/
daß ob ich wol nicht mehr feſt drauff ſtehe/ ich gleichwol auch nichts dagegen
thue/ und wo ich auff eine ſeite etwas thun muß/ wie in den predigten/ da eine
der contradictoriarum austruͤcklich muß gebraucht weꝛden/ dasjenige behal-
te und treibe/ was ſolcher gemeinde geſetz und ordnungen ohne das mit ſich
bringen. Wie auch ſonſten in zweiffelhafften faͤllen/ wo nothwendig etwas ge-
than werden muß/ der ſicherſte theil zu erwehlen iſt: welcher in dieſem fall iſt
die behaltung der gemeinen lehr/ durch die niemand/ durch das gegentheil a-
ber gewiß viele/ irre gemacht und geaͤrgert wuͤrden. Deswegen ich ſo gar
meine uͤber die gemeine lehr habende ſcrupel in der oͤffentlichen rede vorzuſtel-
len durch die ſchuldigkeit der auffrichtigkeit nicht verbunden werde/ daß ich
vielmehr aus der ſchuldigen ſorge/ die ich haben muß/ niemand anders in ge-
fahr des irrthums zu fuͤhren/ verpflichtet bin/ wo ich eines reden muß/ bey der
gemeinen lehr zu bleiben/ und zu trachten/ daß ich vielmehr aus anderer als
meinem munde auf obengezeigte weiſe rede. 3. Wird alſo damit auch nicht wi-
der Rom. 14/ 24. geſuͤndiget/ ſondern ich kan alsdenn aus dem glauben (in
dieſem verſtand) thun/ was itzt vorgeſchlagen: Dann ob ich wol in dem glau-
ben nicht verſichert bin/ ob dieſe lehr die unzweiffentliche wahrheit ſeye/ ſo
bin ich doch in dem glauben verſichert/ daß bey dieſer bewandtnuͤß die liebe
und das gebot des HErrn dergleichen von mir fordere.
V. Jſt noch uͤbrig die letzte frage/ was bey gegenwaͤrtigem zuſtand noch zu thun?
Hier will ich abermal/ weil der beruͤhrte freund auch uͤber dieſelbe ſeinen rath gegeben/ wie bey den
vorigen beyden ſeine wort/ wie ſie lauten/ herſetzen. Die bekante mittel/ ſo hierinn zur hand zu neh-
men/ waͤren 1. fuͤr ſich ſelbs fleißig beten um goͤttliche ſtaͤrckung/ mit gaͤntzlicher ſubmiſſion in GOt-
tes weißheit und willen. 2. Gute getreue mit-bruͤder à part um fuͤrbitte anzuſprechen O das gebet
des gerechten vermag auch in dieſem ſtuͤck viel/ wanns ernſtlich iſt. Meines wenigen gebets ver-
ſichere ſolche liebe ſeele in dem HErrn HErrn. Ach der HErr wolle auch zu dieſem liebes-dienſt an-
dere mit-bruͤder und mich ermuntern/ und um JEſus willen erhoͤren. Amen Amen. 3. Fleißig die
bibel/ unſre ſymboliſche buͤcher/ und etwa eines geiſtreichen mannes wol eingerichtetes ſyſtema zu
leſen. 4. Die am meiſten truckende ſcrupul auffzuzeichnen/ wie ſie offt einfallen/ auch wenn es nicht
in einer ſo genauen ordnung waͤre. Doch von den penetrantſten/ die den tentatum am meiſten tru-
cken/
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