Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. II. SECTIO XXVIII. grösseste krafft ihrer anfechtung stecket/ erinnere sie sich nur/ was sie offt indem examine nicht nur gehöret/ sondern selbs bekant/ daß der glaube auch wol ohne empfindlichkeit bleibe/ daß GOtt das fühlen offt aus heiligen ur- sachen bey seinen kindern zurück ziehe/ und daß er alles solches in und aus gnaden thue. Jndessen kan ich ihr ihren glauben/ ob ich wol nicht bey ihr bin/ zeigen aus denjenigen früchten/ die davon unabsonderlich sind. Füh- let sie nicht ein grosses mißfallen an allem ihrem thun/ so gar daß sie auch das gute davor kaum erkennet/ sondern nur die demselben anklebende unreinigkeit sihet? Hat sie nicht einen inniglichen haß gegen das böse in sich/ so viel mehr als sie dessen ängsten fühlet? Jch bin versichert/ es mangle an solchem miß- fallen und haß nicht/ ja sie seyen ihr selbs zur quaal worden. Ferner hat sie nicht ein inniges verlangen nach göttlicher gnade und dero versicherung/ daß sie gern alles in der welt um solchen trost und gnade geben wolte? Gewiß ih- re angst und jammerklage über den mangel solcher empfindlichen gnade/ sind ungeheuchelte zeugen solches brünstigen verlangens. Wolte sie nicht wil- lig/ wo ihr der himmlische Vater nur seine gnade wieder schencken wolte/ ihr gantzes leben nach allen kräfften zu seinen ehren anwenden/ und alle des vori- gen lebens gebrechen wiederum nach vermögen einbringen? Jch bin versi- chert/ es mangle auch an diesem wollen und verlangen bey ihr nicht/ wie sie selbs bekennet/ sie habe das wollen/ aber an dem vollbringen mangle es/ wo- mit sie aber bezeuget/ daß sie in GOttes gnade stehe/ da sie ausser derselben zu stehen klaget/ denn eben solches ist der zustand Pauli Rom. 7. Nun alle diese dinge insgesamt sind unfehlbare zeugnüssen/ daß der wahre glaube/ auch ohne empfindlichkeit/ bey ihr seye. Und will sie das rechte contrafait ihres jetzigen innerlichen zustandes sehen/ so lese sie in Arnds Wahr. Christ. in dem andern buch das 52. cap. Es wird ein mensch in dieser noth so tieff in den unglauben gestürtzet/ daß er seines glaubens nicht kan gewahr wer- den. Es zeucht sich alle krafft des glaubens in ein punt/ und in ein un- aussprechliches seufftzen/ darinnen noch der glaube ihm unwissend verborgen ist. Und dieser verborgene glaube ist denn sein unglau- be/ und ist seine hölle und marter. Er kan in dieser hölle nicht glau- ben/ daß ihm GOTT gnädig seye/ und spricht: ach wie gern wolt ich glauben/ wenn mir GOTT die gnade gebe/ mit folgenden worten: welches sie alles fleißig lesen/ und ihr bild darinnen recht beschauen wolle. Jhre scrupel zu beantworten hat sie ja 1. an ihrer heiligen tauffe im geringsten nicht zu zweiffeln; ihr vater mag dabey andächtig gebetet haben/ (so ich am liebsten hoffen will) oder nicht: Denn obwol das gebet der umste- henden bey der tauffe dem täuffling ein so viel reichlicher gnaden-maaß er- lan- M m m m m 2
ARTIC. II. SECTIO XXVIII. groͤſſeſte krafft ihrer anfechtung ſtecket/ erinnere ſie ſich nur/ was ſie offt indem examine nicht nur gehoͤret/ ſondern ſelbs bekant/ daß der glaube auch wol ohne empfindlichkeit bleibe/ daß GOtt das fuͤhlen offt aus heiligen ur- ſachen bey ſeinen kindern zuruͤck ziehe/ und daß er alles ſolches in und aus gnaden thue. Jndeſſen kan ich ihr ihren glauben/ ob ich wol nicht bey ihr bin/ zeigen aus denjenigen fruͤchten/ die davon unabſonderlich ſind. Fuͤh- let ſie nicht ein groſſes mißfallen an allem ihrem thun/ ſo gar daß ſie auch das gute davor kaum erkennet/ ſondern nur die demſelben anklebende unreinigkeit ſihet? Hat ſie nicht einen inniglichen haß gegen das boͤſe in ſich/ ſo viel mehr als ſie deſſen aͤngſten fuͤhlet? Jch bin verſichert/ es mangle an ſolchem miß- fallen und haß nicht/ ja ſie ſeyen ihr ſelbs zur quaal worden. Ferner hat ſie nicht ein inniges verlangen nach goͤttlicher gnade und dero verſicherung/ daß ſie gern alles in der welt um ſolchen troſt und gnade geben wolte? Gewiß ih- re angſt und jammerklage uͤber den mangel ſolcher empfindlichen gnade/ ſind ungeheuchelte zeugen ſolches bruͤnſtigen verlangens. Wolte ſie nicht wil- lig/ wo ihr der himmliſche Vater nur ſeine gnade wieder ſchencken wolte/ ihr gantzes leben nach allen kraͤfften zu ſeinen ehren anwenden/ und alle des vori- gen lebens gebrechen wiederum nach vermoͤgen einbringen? Jch bin verſi- chert/ es mangle auch an dieſem wollen und verlangen bey ihr nicht/ wie ſie ſelbs bekennet/ ſie habe das wollen/ aber an dem vollbringen mangle es/ wo- mit ſie aber bezeuget/ daß ſie in GOttes gnade ſtehe/ da ſie auſſer derſelben zu ſtehen klaget/ denn eben ſolches iſt der zuſtand Pauli Rom. 7. Nun alle dieſe dinge insgeſamt ſind unfehlbare zeugnuͤſſen/ daß der wahre glaube/ auch ohne empfindlichkeit/ bey ihr ſeye. Und will ſie das rechte contrafait ihres jetzigen innerlichen zuſtandes ſehen/ ſo leſe ſie in Arnds Wahr. Chriſt. in dem andern buch das 52. cap. Es wird ein menſch in dieſer noth ſo tieff in den unglauben geſtuͤrtzet/ daß er ſeines glaubens nicht kan gewahr wer- den. Es zeucht ſich alle krafft des glaubens in ein punt/ und in ein un- ausſprechliches ſeufftzen/ darinnen noch der glaube ihm unwiſſend verborgen iſt. Und dieſer verborgene glaube iſt denn ſein unglau- be/ und iſt ſeine hoͤlle und marter. Er kan in dieſer hoͤlle nicht glau- ben/ daß ihm GOTT gnaͤdig ſeye/ und ſpricht: ach wie gern wolt ich glauben/ wenn mir GOTT die gnade gebe/ mit folgenden worten: welches ſie alles fleißig leſen/ und ihr bild darinnen recht beſchauen wolle. Jhre ſcrupel zu beantworten hat ſie ja 1. an ihrer heiligen tauffe im geringſten nicht zu zweiffeln; ihr vater mag dabey andaͤchtig gebetet haben/ (ſo ich am liebſten hoffen will) oder nicht: Denn obwol das gebet der umſte- henden bey der tauffe dem taͤuffling ein ſo viel reichlicher gnaden-maaß er- lan- M m m m m 2
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ARTIC. II. SECTIO XXVIII.
groͤſſeſte krafft ihrer anfechtung ſtecket/ erinnere ſie ſich nur/ was ſie offt in
dem examine nicht nur gehoͤret/ ſondern ſelbs bekant/ daß der glaube auch
wol ohne empfindlichkeit bleibe/ daß GOtt das fuͤhlen offt aus heiligen ur-
ſachen bey ſeinen kindern zuruͤck ziehe/ und daß er alles ſolches in und aus
gnaden thue. Jndeſſen kan ich ihr ihren glauben/ ob ich wol nicht bey ihr
bin/ zeigen aus denjenigen fruͤchten/ die davon unabſonderlich ſind. Fuͤh-
let ſie nicht ein groſſes mißfallen an allem ihrem thun/ ſo gar daß ſie auch das
gute davor kaum erkennet/ ſondern nur die demſelben anklebende unreinigkeit
ſihet? Hat ſie nicht einen inniglichen haß gegen das boͤſe in ſich/ ſo viel mehr
als ſie deſſen aͤngſten fuͤhlet? Jch bin verſichert/ es mangle an ſolchem miß-
fallen und haß nicht/ ja ſie ſeyen ihr ſelbs zur quaal worden. Ferner hat ſie
nicht ein inniges verlangen nach goͤttlicher gnade und dero verſicherung/ daß
ſie gern alles in der welt um ſolchen troſt und gnade geben wolte? Gewiß ih-
re angſt und jammerklage uͤber den mangel ſolcher empfindlichen gnade/ ſind
ungeheuchelte zeugen ſolches bruͤnſtigen verlangens. Wolte ſie nicht wil-
lig/ wo ihr der himmliſche Vater nur ſeine gnade wieder ſchencken wolte/ ihr
gantzes leben nach allen kraͤfften zu ſeinen ehren anwenden/ und alle des vori-
gen lebens gebrechen wiederum nach vermoͤgen einbringen? Jch bin verſi-
chert/ es mangle auch an dieſem wollen und verlangen bey ihr nicht/ wie ſie
ſelbs bekennet/ ſie habe das wollen/ aber an dem vollbringen mangle es/ wo-
mit ſie aber bezeuget/ daß ſie in GOttes gnade ſtehe/ da ſie auſſer derſelben
zu ſtehen klaget/ denn eben ſolches iſt der zuſtand Pauli Rom. 7. Nun alle
dieſe dinge insgeſamt ſind unfehlbare zeugnuͤſſen/ daß der wahre glaube/ auch
ohne empfindlichkeit/ bey ihr ſeye. Und will ſie das rechte contrafait ihres
jetzigen innerlichen zuſtandes ſehen/ ſo leſe ſie in Arnds Wahr. Chriſt. in dem
andern buch das 52. cap. Es wird ein menſch in dieſer noth ſo tieff in den
unglauben geſtuͤrtzet/ daß er ſeines glaubens nicht kan gewahr wer-
den. Es zeucht ſich alle krafft des glaubens in ein punt/ und in ein un-
ausſprechliches ſeufftzen/ darinnen noch der glaube ihm unwiſſend
verborgen iſt. Und dieſer verborgene glaube iſt denn ſein unglau-
be/ und iſt ſeine hoͤlle und marter. Er kan in dieſer hoͤlle nicht glau-
ben/ daß ihm GOTT gnaͤdig ſeye/ und ſpricht: ach wie gern
wolt ich glauben/ wenn mir GOTT die gnade gebe/ mit folgenden
worten: welches ſie alles fleißig leſen/ und ihr bild darinnen recht beſchauen
wolle. Jhre ſcrupel zu beantworten hat ſie ja 1. an ihrer heiligen tauffe im
geringſten nicht zu zweiffeln; ihr vater mag dabey andaͤchtig gebetet haben/
(ſo ich am liebſten hoffen will) oder nicht: Denn obwol das gebet der umſte-
henden bey der tauffe dem taͤuffling ein ſo viel reichlicher gnaden-maaß er-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 827. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/835>, abgerufen am 30.06.2024. |