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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
wiederholung so gewichtig seye/ das stehen der liebe gegen andre zu über-
wiegen. Zwahr möchte man sagen/ man bedörffte in diesen so gefährlichen
zeiten so viel mehrere stärckung/ als des teuffels gewalt und grimm zunim-
met; weil dann nun die gläubige ihn überwinden sollen durch des lam-
mes blut/ Offenb. Joh. 12/ 11.
so seye nöthig/ daß sie desselben öffters theil-
hafftig werden. Aber wie freylich ein mittel/ ja das offenbahrste dessen ist
die sacramentliche geniessung/ die ich also nicht ausschliesse/ so ist sie es doch
nicht allein/ ja in gewisser maß ist noch nöthiger die geistliche niessung in dem
glauben/ die ohne das auch zu der sacramentlichen kommen muß/ und in
dero wir auch des leibes und blutes des HErrn nach Joh. 6. auff geistliche
art theilhafftig werden. Wie dann Christus vorgestellet ist zu einem
gnaden-stuhl durch den glauben in seinem blut/ Rom. 3/ 25.

Da wir sehen/ daß sich der glaube an das blut JEsu hält/ und es also allezeit
ergreifft/ daher sich auch ausser dem Sacrament zu eigen macht. Weßwe-
gen solche liebe leute sich auch mit dieser täglichen gemeinschafft sofern ver-
gnügen lassen sollen. Ja wird es heissen/ es ist das Sacrament nicht verge-
bens eingesetzt/ so muß also die sacramentliche niessung etwas noch weiteres
haben/ als die geistliche. Nun/ dieses gestehe ich auch zu/ und sehe die eine
als die speise/ die andre als eine artzeney an/ davon auch bereits anregung
geschehen; daher verlange ich nicht/ daß solche seelen sich des Sacraments
gar enthalten sollen/ daran sie freylich ihrer stärckung schaden thun würden/
vielmehr sollen sie auch zu dem eusserlichen abendmahl sich nach ihrem ha-
benden hunger so offt einfinden/ als es ihnen bey ihrem verlangen werden
mag. Aber dieses sage allein/ da sie dieses Sacrament nicht eben so offt ha-
ben können/ als sie begehrten/ daß die tägliche glaubens-niessung sie die
übrige zeit wohl vergnügen könne/ daß sie zu einer solchen eigenmächtigen
communion zu schreiten nicht ursach haben. Vielmehr 7. haben sie aus der
güte ihres liebsten JESU sich zu versichern/ wo sie sich aus einer liebe ande-
rer zu schonen/ und nicht dergleichen anstoß/ welcher viel sünde veranlassen
würde/ zu setzen/ der ihnen nach ihren gedancken gegönnten freyheit begeben/
das ist/ sie nicht gebrauchen/ daß derselbe ihre geistliche niessung desto kräff-
tiger segnen/ und sie endlich erfahren werden/ daß ihnen in der that nichts
von geistlicher krafft/ die sie aus jenem mittel sonsten gehofft/ abgehen sol-
te. Also haben sie sich allezeit die regel Pauli vorzustellen: 1. Cor. 10/ 23.
Jch habe es zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles. Jch
habe es alles macht/ aber es bessert nicht alles.
Dann ob wol der
liebe Apostel solche anführet aus gelegenheit der mittel-dinge/ dörffen wir
dannoch nicht gedencken/ daß dieselbe sich nicht weiter erstrecke: sondern wie

sie

Das dritte Capitel.
wiederholung ſo gewichtig ſeye/ das ſtehen der liebe gegen andre zu uͤber-
wiegen. Zwahr moͤchte man ſagen/ man bedoͤrffte in dieſen ſo gefaͤhrlichen
zeiten ſo viel mehrere ſtaͤrckung/ als des teuffels gewalt und grimm zunim-
met; weil dann nun die glaͤubige ihn uͤberwinden ſollen durch des lam-
mes blut/ Offenb. Joh. 12/ 11.
ſo ſeye noͤthig/ daß ſie deſſelben oͤffters theil-
hafftig werden. Aber wie freylich ein mittel/ ja das offenbahrſte deſſen iſt
die ſacramentliche genieſſung/ die ich alſo nicht ausſchlieſſe/ ſo iſt ſie es doch
nicht allein/ ja in gewiſſer maß iſt noch noͤthiger die geiſtliche nieſſung in dem
glauben/ die ohne das auch zu der ſacramentlichen kommen muß/ und in
dero wir auch des leibes und blutes des HErrn nach Joh. 6. auff geiſtliche
art theilhafftig werden. Wie dann Chriſtus vorgeſtellet iſt zu einem
gnaden-ſtuhl durch den glauben in ſeinem blut/ Rom. 3/ 25.

Da wir ſehen/ daß ſich der glaube an das blut JEſu haͤlt/ und es alſo allezeit
ergreifft/ daher ſich auch auſſer dem Sacrament zu eigen macht. Weßwe-
gen ſolche liebe leute ſich auch mit dieſer taͤglichen gemeinſchafft ſofern ver-
gnuͤgen laſſen ſollen. Ja wird es heiſſen/ es iſt das Sacrament nicht verge-
bens eingeſetzt/ ſo muß alſo die ſacramentliche nieſſung etwas noch weiteres
haben/ als die geiſtliche. Nun/ dieſes geſtehe ich auch zu/ und ſehe die eine
als die ſpeiſe/ die andre als eine artzeney an/ davon auch bereits anregung
geſchehen; daher verlange ich nicht/ daß ſolche ſeelen ſich des Sacraments
gar enthalten ſollen/ daran ſie freylich ihrer ſtaͤrckung ſchaden thun wuͤrden/
vielmehr ſollen ſie auch zu dem euſſerlichen abendmahl ſich nach ihrem ha-
benden hunger ſo offt einfinden/ als es ihnen bey ihrem verlangen werden
mag. Aber dieſes ſage allein/ da ſie dieſes Sacrament nicht eben ſo offt ha-
ben koͤnnen/ als ſie begehrten/ daß die taͤgliche glaubens-nieſſung ſie die
uͤbrige zeit wohl vergnuͤgen koͤnne/ daß ſie zu einer ſolchen eigenmaͤchtigen
communion zu ſchreiten nicht urſach haben. Vielmehr 7. haben ſie aus der
guͤte ihres liebſten JESU ſich zu verſichern/ wo ſie ſich aus einer liebe ande-
rer zu ſchonen/ und nicht dergleichen anſtoß/ welcher viel ſuͤnde veranlaſſen
wuͤrde/ zu ſetzen/ der ihnen nach ihren gedancken gegoͤnnten freyheit begeben/
das iſt/ ſie nicht gebrauchen/ daß derſelbe ihre geiſtliche nieſſung deſto kraͤff-
tiger ſegnen/ und ſie endlich erfahren werden/ daß ihnen in der that nichts
von geiſtlicher krafft/ die ſie aus jenem mittel ſonſten gehofft/ abgehen ſol-
te. Alſo haben ſie ſich allezeit die regel Pauli vorzuſtellen: 1. Cor. 10/ 23.
Jch habe es zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles. Jch
habe es alles macht/ aber es beſſert nicht alles.
Dann ob wol der
liebe Apoſtel ſolche anfuͤhret aus gelegenheit der mittel-dinge/ doͤrffen wir
dannoch nicht gedencken/ daß dieſelbe ſich nicht weiter erſtrecke: ſondern wie

ſie
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[66/0074] Das dritte Capitel. wiederholung ſo gewichtig ſeye/ das ſtehen der liebe gegen andre zu uͤber- wiegen. Zwahr moͤchte man ſagen/ man bedoͤrffte in dieſen ſo gefaͤhrlichen zeiten ſo viel mehrere ſtaͤrckung/ als des teuffels gewalt und grimm zunim- met; weil dann nun die glaͤubige ihn uͤberwinden ſollen durch des lam- mes blut/ Offenb. Joh. 12/ 11. ſo ſeye noͤthig/ daß ſie deſſelben oͤffters theil- hafftig werden. Aber wie freylich ein mittel/ ja das offenbahrſte deſſen iſt die ſacramentliche genieſſung/ die ich alſo nicht ausſchlieſſe/ ſo iſt ſie es doch nicht allein/ ja in gewiſſer maß iſt noch noͤthiger die geiſtliche nieſſung in dem glauben/ die ohne das auch zu der ſacramentlichen kommen muß/ und in dero wir auch des leibes und blutes des HErrn nach Joh. 6. auff geiſtliche art theilhafftig werden. Wie dann Chriſtus vorgeſtellet iſt zu einem gnaden-ſtuhl durch den glauben in ſeinem blut/ Rom. 3/ 25. Da wir ſehen/ daß ſich der glaube an das blut JEſu haͤlt/ und es alſo allezeit ergreifft/ daher ſich auch auſſer dem Sacrament zu eigen macht. Weßwe- gen ſolche liebe leute ſich auch mit dieſer taͤglichen gemeinſchafft ſofern ver- gnuͤgen laſſen ſollen. Ja wird es heiſſen/ es iſt das Sacrament nicht verge- bens eingeſetzt/ ſo muß alſo die ſacramentliche nieſſung etwas noch weiteres haben/ als die geiſtliche. Nun/ dieſes geſtehe ich auch zu/ und ſehe die eine als die ſpeiſe/ die andre als eine artzeney an/ davon auch bereits anregung geſchehen; daher verlange ich nicht/ daß ſolche ſeelen ſich des Sacraments gar enthalten ſollen/ daran ſie freylich ihrer ſtaͤrckung ſchaden thun wuͤrden/ vielmehr ſollen ſie auch zu dem euſſerlichen abendmahl ſich nach ihrem ha- benden hunger ſo offt einfinden/ als es ihnen bey ihrem verlangen werden mag. Aber dieſes ſage allein/ da ſie dieſes Sacrament nicht eben ſo offt ha- ben koͤnnen/ als ſie begehrten/ daß die taͤgliche glaubens-nieſſung ſie die uͤbrige zeit wohl vergnuͤgen koͤnne/ daß ſie zu einer ſolchen eigenmaͤchtigen communion zu ſchreiten nicht urſach haben. Vielmehr 7. haben ſie aus der guͤte ihres liebſten JESU ſich zu verſichern/ wo ſie ſich aus einer liebe ande- rer zu ſchonen/ und nicht dergleichen anſtoß/ welcher viel ſuͤnde veranlaſſen wuͤrde/ zu ſetzen/ der ihnen nach ihren gedancken gegoͤnnten freyheit begeben/ das iſt/ ſie nicht gebrauchen/ daß derſelbe ihre geiſtliche nieſſung deſto kraͤff- tiger ſegnen/ und ſie endlich erfahren werden/ daß ihnen in der that nichts von geiſtlicher krafft/ die ſie aus jenem mittel ſonſten gehofft/ abgehen ſol- te. Alſo haben ſie ſich allezeit die regel Pauli vorzuſtellen: 1. Cor. 10/ 23. Jch habe es zwahr alles macht/ aber es frommet nicht alles. Jch habe es alles macht/ aber es beſſert nicht alles. Dann ob wol der liebe Apoſtel ſolche anfuͤhret aus gelegenheit der mittel-dinge/ doͤrffen wir dannoch nicht gedencken/ daß dieſelbe ſich nicht weiter erſtrecke: ſondern wie ſie

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/74>, abgerufen am 22.11.2024.