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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
zu zeigen/ wie eben diese anfechtung so gar heilsam/ und daher von GOtt aus
hertzlicher liebe und wolmeinen zugesandt seye. Wie dann alle die ursa-
chen/ welche ich in der zweyten gedruckten predigt von der anfechtung lästerli-
cher gedancken/ angeführet/ und wie heilsam die anfechtungen seyen/ gewie-
sen habe/ sonderlich in dieser gegenwärtigen des Hl. schwagern anfechtung
platz haben. Er gedencke der sache nur selbs nach: wird er nicht finden/
daß er die tage seines lebens die sündliche verderbnüß an sich und andern
nicht so nachtrücklich erkant/ wie er sie jetzt erkennet/ und fühlet? So viel
nöthiger uns nun solche erkäntnüß ist/ um unserer selbst und unsers heils/ so
dann was uns prediger anlanget/ auch um unserer zuhörer willen: so viel
nützlicher ist diese schul zuhalten/ da wir obwol mit fühlung so scharffer ruth
und unter so strengem zuchtmeister in dieser materie studiren. Also will
GOTT ihm auch erst recht in dieser schul den articul der rechtfertigung/ den
wir aus seinem wort müssen unserer gemeinde vortragen/ zu verstehen geben:
daß er lerne/ wie wir vor GOtt gerecht werden müssen/ auch um die zeit/ da
wir bey uns nichts anders als lauter greuel finden/ wo uns GOTT die
abscheuligkeit der sünden recht lässet gewahr werden/ und deswegen dem
teuffel zuläßt/ uns dieselbe groß zumachen; weil es dieser zwahr zu dem en-
de thut/ daß er uns zur verzweiffelung treibe/ da hingegen GOtt gar eine
andere absicht darunter hat/ nemlich wo die sünde überaus sündig und
gantz mächtig worden seye/ in unsern gewissen/ daß dann die gnade auch
noch mächtiger werde: Und wir damit auffs neue die hohe wichtigkeit der
gnaden erkennen/ welche nicht nur kleine/ sondern solche sünden/ die uns
centner schwehr in dem gewissen gelegen sind/ vergeben habe. Damit ob
wol der glaube scheinet gantz untertrucket zuwerden/ so wird er doch in
dieser übung durch die verborgene krafft GOttes gestärcket/ auch sich
die stärckung desselben zu seiner zeit dermaleins zeigen. Wie viel andäch-
tige und ängstliche seuffzen er in dieser noth zu seinem GOTT geschicket/
die wol ohne dieselbe würden ausgeblieben seyn/ wird sich in dem nachden-
cken leicht finden. Und ob ihm wol deucht/ es habe diese unruhe des her-
tzens ihn so vielmehr an seinem etwa sonsten gewöhnlichen gebet/ gehin-
dert/ dasselbige nicht mehr mit solcher freudigkeit/ wie er vor deme ge-
pfleget/ vor GOTT zuthun/ so mag er doch gewiß seyn/ daß solches vor

sei-

Das fuͤnffte Capitel.
zu zeigen/ wie eben dieſe anfechtung ſo gar heilſam/ und daher von GOtt aus
hertzlicher liebe und wolmeinen zugeſandt ſeye. Wie dann alle die urſa-
chen/ welche ich in der zweyten gedruckten predigt von der anfechtung laͤſterli-
cher gedancken/ angefuͤhret/ und wie heilſam die anfechtungen ſeyen/ gewie-
ſen habe/ ſonderlich in dieſer gegenwaͤrtigen des Hl. ſchwagern anfechtung
platz haben. Er gedencke der ſache nur ſelbs nach: wird er nicht finden/
daß er die tage ſeines lebens die ſuͤndliche verderbnuͤß an ſich und andern
nicht ſo nachtruͤcklich erkant/ wie er ſie jetzt erkennet/ und fuͤhlet? So viel
noͤthiger uns nun ſolche erkaͤntnuͤß iſt/ um unſerer ſelbſt und unſers heils/ ſo
dann was uns prediger anlanget/ auch um unſerer zuhoͤrer willen: ſo viel
nuͤtzlicher iſt dieſe ſchul zuhalten/ da wir obwol mit fuͤhlung ſo ſcharffer ruth
und unter ſo ſtrengem zuchtmeiſter in dieſer materie ſtudiren. Alſo will
GOTT ihm auch erſt recht in dieſer ſchul den articul der rechtfertigung/ den
wir aus ſeinem wort muͤſſen unſerer gemeinde vortragen/ zu verſtehen geben:
daß er lerne/ wie wir vor GOtt gerecht werden muͤſſen/ auch um die zeit/ da
wir bey uns nichts anders als lauter greuel finden/ wo uns GOTT die
abſcheuligkeit der ſuͤnden recht laͤſſet gewahr werden/ und deswegen dem
teuffel zulaͤßt/ uns dieſelbe groß zumachen; weil es dieſer zwahr zu dem en-
de thut/ daß er uns zur verzweiffelung treibe/ da hingegen GOtt gar eine
andere abſicht darunter hat/ nemlich wo die ſuͤnde uͤberaus ſuͤndig und
gantz maͤchtig worden ſeye/ in unſern gewiſſen/ daß dann die gnade auch
noch maͤchtiger werde: Und wir damit auffs neue die hohe wichtigkeit der
gnaden erkennen/ welche nicht nur kleine/ ſondern ſolche ſuͤnden/ die uns
centner ſchwehr in dem gewiſſen gelegen ſind/ vergeben habe. Damit ob
wol der glaube ſcheinet gantz untertrucket zuwerden/ ſo wird er doch in
dieſer uͤbung durch die verborgene krafft GOttes geſtaͤrcket/ auch ſich
die ſtaͤrckung deſſelben zu ſeiner zeit dermaleins zeigen. Wie viel andaͤch-
tige und aͤngſtliche ſeuffzen er in dieſer noth zu ſeinem GOTT geſchicket/
die wol ohne dieſelbe wuͤrden ausgeblieben ſeyn/ wird ſich in dem nachden-
cken leicht finden. Und ob ihm wol deucht/ es habe dieſe unruhe des her-
tzens ihn ſo vielmehr an ſeinem etwa ſonſten gewoͤhnlichen gebet/ gehin-
dert/ daſſelbige nicht mehr mit ſolcher freudigkeit/ wie er vor deme ge-
pfleget/ vor GOTT zuthun/ ſo mag er doch gewiß ſeyn/ daß ſolches vor

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[718/0726] Das fuͤnffte Capitel. zu zeigen/ wie eben dieſe anfechtung ſo gar heilſam/ und daher von GOtt aus hertzlicher liebe und wolmeinen zugeſandt ſeye. Wie dann alle die urſa- chen/ welche ich in der zweyten gedruckten predigt von der anfechtung laͤſterli- cher gedancken/ angefuͤhret/ und wie heilſam die anfechtungen ſeyen/ gewie- ſen habe/ ſonderlich in dieſer gegenwaͤrtigen des Hl. ſchwagern anfechtung platz haben. Er gedencke der ſache nur ſelbs nach: wird er nicht finden/ daß er die tage ſeines lebens die ſuͤndliche verderbnuͤß an ſich und andern nicht ſo nachtruͤcklich erkant/ wie er ſie jetzt erkennet/ und fuͤhlet? So viel noͤthiger uns nun ſolche erkaͤntnuͤß iſt/ um unſerer ſelbſt und unſers heils/ ſo dann was uns prediger anlanget/ auch um unſerer zuhoͤrer willen: ſo viel nuͤtzlicher iſt dieſe ſchul zuhalten/ da wir obwol mit fuͤhlung ſo ſcharffer ruth und unter ſo ſtrengem zuchtmeiſter in dieſer materie ſtudiren. Alſo will GOTT ihm auch erſt recht in dieſer ſchul den articul der rechtfertigung/ den wir aus ſeinem wort muͤſſen unſerer gemeinde vortragen/ zu verſtehen geben: daß er lerne/ wie wir vor GOtt gerecht werden muͤſſen/ auch um die zeit/ da wir bey uns nichts anders als lauter greuel finden/ wo uns GOTT die abſcheuligkeit der ſuͤnden recht laͤſſet gewahr werden/ und deswegen dem teuffel zulaͤßt/ uns dieſelbe groß zumachen; weil es dieſer zwahr zu dem en- de thut/ daß er uns zur verzweiffelung treibe/ da hingegen GOtt gar eine andere abſicht darunter hat/ nemlich wo die ſuͤnde uͤberaus ſuͤndig und gantz maͤchtig worden ſeye/ in unſern gewiſſen/ daß dann die gnade auch noch maͤchtiger werde: Und wir damit auffs neue die hohe wichtigkeit der gnaden erkennen/ welche nicht nur kleine/ ſondern ſolche ſuͤnden/ die uns centner ſchwehr in dem gewiſſen gelegen ſind/ vergeben habe. Damit ob wol der glaube ſcheinet gantz untertrucket zuwerden/ ſo wird er doch in dieſer uͤbung durch die verborgene krafft GOttes geſtaͤrcket/ auch ſich die ſtaͤrckung deſſelben zu ſeiner zeit dermaleins zeigen. Wie viel andaͤch- tige und aͤngſtliche ſeuffzen er in dieſer noth zu ſeinem GOTT geſchicket/ die wol ohne dieſelbe wuͤrden ausgeblieben ſeyn/ wird ſich in dem nachden- cken leicht finden. Und ob ihm wol deucht/ es habe dieſe unruhe des her- tzens ihn ſo vielmehr an ſeinem etwa ſonſten gewoͤhnlichen gebet/ gehin- dert/ daſſelbige nicht mehr mit ſolcher freudigkeit/ wie er vor deme ge- pfleget/ vor GOTT zuthun/ ſo mag er doch gewiß ſeyn/ daß ſolches vor ſei-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/726>, abgerufen am 23.11.2024.