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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO III.
einiger melancholie befallen werden/ in solchen dingen ihnen selbs tausend
sorgen und damit das leben sauer machen: Also fället gemeiniglich bey den
jenigen/ welche das geistliche ihre haupt-sorge haben seyn lassen der affectus
melancholicus
auff solches objectum, das ihnen jederzeit am höchsten
angelegen gewesen/ und findet dann in ängstlicher sorge über demselbigen
sein pabulum. Weßwegen aber bereits auch aus solcher ursach es mir
bey dergleichen leuten eine gute anzeige ihres auffrichtigen Christenthums/
und daß dasselbe ihr vornehmstes anligen allezeit gewesen seye/ gi-
bet/ daß sich ihre betrübnüß/ wo sie auff etwas sich schlagen muß/ auff das
geistliche leget/ ob wol mit so viel empfindl icheren schmertzen als wegen der
wichtigkeit die geistliche gefahr und angst vor aller weltlichen tieffer einschnei-
det. Jch erinnere dieses zum fördristen deswegen wofern der Herr schwa-
ger finden solte/ oder verständige medici mit ihren gedancken dahin gingen/
daß die constitutio corporis mit theil an dieser seelen-kranckheit habe/
darzu ursach gegeben oder sie doch fomentirte/ als dann in dem nahmen
GOttes auch solchem leiblichen affectui, der so viel tieffer stecket/ so vielwe-
niger der patient desselben gewahr wird/ noch an dem leib mangel zuhaben
meinet/ mit artzneyen begegnet/ und die geistliche cur durch GOttes segen so
vielmehr facilitiret würde/ wozu der Herr schwager gelegenheit gnugsam hat/
mit denen nahe angehörigen und verschwägerten Hn. medicis in vertrauen
zu conferiren/ und was dann nöthig seyn würde/ auff ihr einrathen vorzu-
nehmen. Nechst deme so versichere ich den Herrn schwager und bruder
hiemit/ daß derjenige zustand/ in deme er liget/ und über den er sich also bekla-
get/ ihm eine grosse wohlthat des lieben GOttes seye. Es ist zwahr dieses
ein sehr hartes postulatum solches zuglauben/ ja fast das grösseste absur-
dum,
in demjenigen/ was uns alle gnade GOttes entziehen will/ auch offters
alle empfindlichkeit derselben entzeucht/ und unserm bedüncken nach uns zu
dem genuß anderer göttlicher wohlthaten gleich als gantz untüchtig machet/
eine gnade und wohlthat zuerkennen; ich gründe mich aber in meinem satz
nicht nur darauff/ daß nach aussage der schrifft denen die GOtt lieben
alles/ und also auch diese anfechtungen/ zum besten dienen Rom. 8. so
dann die anfechtungen erst recht einen Theologum, ja Christen/ machen müs-
sen. Non tentatus qualia scit? Sondern verhoffe auch absonderlich

zu
X x x x 3

ARTIC. II. SECTIO III.
einiger melancholie befallen werden/ in ſolchen dingen ihnen ſelbs tauſend
ſorgen und damit das leben ſauer machen: Alſo faͤllet gemeiniglich bey den
jenigen/ welche das geiſtliche ihre haupt-ſorge haben ſeyn laſſen der affectus
melancholicus
auff ſolches objectum, das ihnen jederzeit am hoͤchſten
angelegen geweſen/ und findet dann in aͤngſtlicher ſorge uͤber demſelbigen
ſein pabulum. Weßwegen aber bereits auch aus ſolcher urſach es mir
bey dergleichen leuten eine gute anzeige ihres auffrichtigen Chriſtenthums/
und daß daſſelbe ihr vornehmſtes anligen allezeit geweſen ſeye/ gi-
bet/ daß ſich ihre betruͤbnuͤß/ wo ſie auff etwas ſich ſchlagen muß/ auff das
geiſtliche leget/ ob wol mit ſo viel empfindl icheren ſchmertzen als wegen der
wichtigkeit die geiſtliche gefahr und angſt vor aller weltlichen tieffer einſchnei-
det. Jch erinnere dieſes zum foͤrdriſten deswegen wofern der Herr ſchwa-
ger finden ſolte/ oder verſtaͤndige medici mit ihren gedancken dahin gingen/
daß die conſtitutio corporis mit theil an dieſer ſeelen-kranckheit habe/
darzu urſach gegeben oder ſie doch fomentirte/ als dann in dem nahmen
GOttes auch ſolchem leiblichen affectui, der ſo viel tieffer ſtecket/ ſo vielwe-
niger der patient deſſelben gewahr wird/ noch an dem leib mangel zuhaben
meinet/ mit artzneyen begegnet/ und die geiſtliche cur durch GOttes ſegen ſo
vielmehr facilitiret wuͤrde/ wozu der Herr ſchwager gelegenheit gnugſam hat/
mit denen nahe angehoͤrigen und verſchwaͤgerten Hn. medicis in vertrauen
zu conferiren/ und was dann noͤthig ſeyn wuͤrde/ auff ihr einrathen vorzu-
nehmen. Nechſt deme ſo verſichere ich den Herrn ſchwager und bruder
hiemit/ daß derjenige zuſtand/ in deme er liget/ und uͤber den er ſich alſo bekla-
get/ ihm eine groſſe wohlthat des lieben GOttes ſeye. Es iſt zwahr dieſes
ein ſehr hartes poſtulatum ſolches zuglauben/ ja faſt das groͤſſeſte abſur-
dum,
in demjenigen/ was uns alle gnade GOttes entziehen will/ auch offters
alle empfindlichkeit derſelben entzeucht/ und unſerm beduͤncken nach uns zu
dem genuß anderer goͤttlicher wohlthaten gleich als gantz untuͤchtig machet/
eine gnade und wohlthat zuerkennen; ich gruͤnde mich aber in meinem ſatz
nicht nur darauff/ daß nach ausſage der ſchrifft denen die GOtt lieben
alles/ und alſo auch dieſe anfechtungen/ zum beſten dienen Rom. 8. ſo
dañ die anfechtungen erſt recht einen Theologum, ja Chriſten/ machen muͤſ-
ſen. Non tentatus qualia ſcit? Sondern verhoffe auch abſonderlich

zu
X x x x 3
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[717/0725] ARTIC. II. SECTIO III. einiger melancholie befallen werden/ in ſolchen dingen ihnen ſelbs tauſend ſorgen und damit das leben ſauer machen: Alſo faͤllet gemeiniglich bey den jenigen/ welche das geiſtliche ihre haupt-ſorge haben ſeyn laſſen der affectus melancholicus auff ſolches objectum, das ihnen jederzeit am hoͤchſten angelegen geweſen/ und findet dann in aͤngſtlicher ſorge uͤber demſelbigen ſein pabulum. Weßwegen aber bereits auch aus ſolcher urſach es mir bey dergleichen leuten eine gute anzeige ihres auffrichtigen Chriſtenthums/ und daß daſſelbe ihr vornehmſtes anligen allezeit geweſen ſeye/ gi- bet/ daß ſich ihre betruͤbnuͤß/ wo ſie auff etwas ſich ſchlagen muß/ auff das geiſtliche leget/ ob wol mit ſo viel empfindl icheren ſchmertzen als wegen der wichtigkeit die geiſtliche gefahr und angſt vor aller weltlichen tieffer einſchnei- det. Jch erinnere dieſes zum foͤrdriſten deswegen wofern der Herr ſchwa- ger finden ſolte/ oder verſtaͤndige medici mit ihren gedancken dahin gingen/ daß die conſtitutio corporis mit theil an dieſer ſeelen-kranckheit habe/ darzu urſach gegeben oder ſie doch fomentirte/ als dann in dem nahmen GOttes auch ſolchem leiblichen affectui, der ſo viel tieffer ſtecket/ ſo vielwe- niger der patient deſſelben gewahr wird/ noch an dem leib mangel zuhaben meinet/ mit artzneyen begegnet/ und die geiſtliche cur durch GOttes ſegen ſo vielmehr facilitiret wuͤrde/ wozu der Herr ſchwager gelegenheit gnugſam hat/ mit denen nahe angehoͤrigen und verſchwaͤgerten Hn. medicis in vertrauen zu conferiren/ und was dann noͤthig ſeyn wuͤrde/ auff ihr einrathen vorzu- nehmen. Nechſt deme ſo verſichere ich den Herrn ſchwager und bruder hiemit/ daß derjenige zuſtand/ in deme er liget/ und uͤber den er ſich alſo bekla- get/ ihm eine groſſe wohlthat des lieben GOttes ſeye. Es iſt zwahr dieſes ein ſehr hartes poſtulatum ſolches zuglauben/ ja faſt das groͤſſeſte abſur- dum, in demjenigen/ was uns alle gnade GOttes entziehen will/ auch offters alle empfindlichkeit derſelben entzeucht/ und unſerm beduͤncken nach uns zu dem genuß anderer goͤttlicher wohlthaten gleich als gantz untuͤchtig machet/ eine gnade und wohlthat zuerkennen; ich gruͤnde mich aber in meinem ſatz nicht nur darauff/ daß nach ausſage der ſchrifft denen die GOtt lieben alles/ und alſo auch dieſe anfechtungen/ zum beſten dienen Rom. 8. ſo dañ die anfechtungen erſt recht einen Theologum, ja Chriſten/ machen muͤſ- ſen. Non tentatus qualia ſcit? Sondern verhoffe auch abſonderlich zu X x x x 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/725>, abgerufen am 23.11.2024.