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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
ches insonderheit noch nicht bekant/ so habe allein diesen rath insgemein zuerthei-
len/ daß sie sich allein ferner demjenigen lehr-meister überlasse/ der sie bereits da-
hin/ wo sie jetzo stehet/ gebracht hat/ und am gewissesten weiter führen wird:
Dieses ist nun der heilige Geist/ als der Geist ihres Heylands und eigen-
thums-herrn JEsu/ den er denen seelen/ die sich ihm gern wiedmen wollen/ wil-
lig giebet/ und sie durch denselbigen auff richtigem wege leitet. Wir wissen aber/
daß derselbige in uns kräfftiger seyn wolle durch das wort/ welches uns die Pro-
pheten und Apostel von ihm getrieben auffgeschrieben haben/ und dessen seele er
gleichsam bleibet/ durch dasselbe in uns zu würcken. Also lasse sie sich das wort
des HErrn ihr anbefohlen seyn als ihre regel/ ihr liecht/ ihre speiß/ ihre artzney.
Sie lese dasselbe fleißig/ sie höre es auch gerne/ und zwahr daß sie immer so zu
reden mit zweyen augen drauff schauende/ das eine richte auff die theure ver-
heissungen und wolthaten des Evangelii und der gnaden ihres liebsten Vaters in
Christo JEsu/ das andere aber auff dessen gebote und befehl/ was derselbe wie-
derumb von ihr fordere: damit durch jene betrachtung zum allerfördersten der
wahre göttliche glaube in ihr mehr entzündet und gestärcket/ die seele stets mit
den gnaden-schätzen/ die er erweget und begreiffet/ erfülle/ und sie denmach ihren
treuesten Vater immer mit mehr kindlichem vertrauen anzusehen/ und sich alles
zu ihm zuversehen lerne; durch die gebote ihres GOttes aber auch auffgemun-
tert werde/ der liebe desselben nach allem vermögen mit thätiger gegen-liebe gleich-
sam wiederum zu antworten. Welches unter beyden alleine bleibet/ giebet al-
lein ein halbes und nicht richtiges Christenthum; wolte man suchen sich allein
an den gnaden-gütern und dero trost zu ergötzen ohne einigen willen des recht-
schaffenen gehorsams/ würde solches kein wahrer glaube sondern betrügliche ein-
bildung seyn/ und sich eben durch das ausbleiben und versäumung der frucht
verrathen. Förchtet man sich hingegen vor der annehmung der güter des Evan-
gelii aus erkäntnüß der eigenen unwürdigkeit/ und meinet/ es gehen uns noch
allein der gehorsam der göttlichen gebote an/ dadurch erst zu jener tüchtig zu wer-
den/ so giebets ein gesetzliches wesen/ so die seele nur ängsteten und ihr die rechte
krafft gutes zu thun nie giebet/ als welche vor dem Heiligen Geist allein kommen
muß/ der den kindlichen gehorsam nicht eher in die seelen bringet/ biß er sie auch
der kindschafft versichert/ und sie zu gläubiger ergreiffung der liebe ihres treuesten
Vaters gebracht hat. Also müssen diese beyde stücke/ die der Geist unsers Got-
tes in dem wort zusammen gesetzet hat/ in der übung auch unzutrennet beysam-
men bleiben. Weil sie aber mit göttlichem wort nicht umbzugehen verlanget/
allein ein unfruchtbares wissen davon zu haben/ sondern daß auch dasselbe war-
hafftig in ihr hertz eingepflantzt werde/ so des Heiligen Geistes werck ist/ so wird
sie immer eingedenck seyn/ mit was andacht/ ehrerbietung/ gebet und auffmerck-

samkeit

Das fuͤnffte Capitel.
ches inſonderheit noch nicht bekant/ ſo habe allein dieſen rath insgemein zuerthei-
len/ daß ſie ſich allein ferner demjenigen lehr-meiſter uͤberlaſſe/ der ſie bereits da-
hin/ wo ſie jetzo ſtehet/ gebracht hat/ und am gewiſſeſten weiter fuͤhren wird:
Dieſes iſt nun der heilige Geiſt/ als der Geiſt ihres Heylands und eigen-
thums-herrn JEſu/ den er denen ſeelen/ die ſich ihm gern wiedmen wollen/ wil-
lig giebet/ und ſie durch denſelbigen auff richtigem wege leitet. Wir wiſſen aber/
daß derſelbige in uns kraͤfftiger ſeyn wolle durch das wort/ welches uns die Pro-
pheten und Apoſtel von ihm getrieben auffgeſchrieben haben/ und deſſen ſeele er
gleichſam bleibet/ durch daſſelbe in uns zu wuͤrcken. Alſo laſſe ſie ſich das wort
des HErrn ihr anbefohlen ſeyn als ihre regel/ ihr liecht/ ihre ſpeiß/ ihre artzney.
Sie leſe daſſelbe fleißig/ ſie hoͤre es auch gerne/ und zwahr daß ſie immer ſo zu
reden mit zweyen augen drauff ſchauende/ das eine richte auff die theure ver-
heiſſungen und wolthaten des Evangelii und der gnaden ihres liebſten Vaters in
Chriſto JEſu/ das andere aber auff deſſen gebote und befehl/ was derſelbe wie-
derumb von ihr fordere: damit durch jene betrachtung zum allerfoͤrderſten der
wahre goͤttliche glaube in ihr mehr entzuͤndet und geſtaͤrcket/ die ſeele ſtets mit
den gnaden-ſchaͤtzen/ die er erweget und begreiffet/ erfuͤlle/ und ſie denmach ihren
treueſten Vater immer mit mehr kindlichem vertrauen anzuſehen/ und ſich alles
zu ihm zuverſehen lerne; durch die gebote ihres GOttes aber auch auffgemun-
tert werde/ der liebe deſſelben nach allem vermoͤgen mit thaͤtiger gegen-liebe gleich-
ſam wiederum zu antworten. Welches unter beyden alleine bleibet/ giebet al-
lein ein halbes und nicht richtiges Chriſtenthum; wolte man ſuchen ſich allein
an den gnaden-guͤtern und dero troſt zu ergoͤtzen ohne einigen willen des recht-
ſchaffenen gehorſams/ wuͤrde ſolches kein wahrer glaube ſondern betruͤgliche ein-
bildung ſeyn/ und ſich eben durch das ausbleiben und verſaͤumung der frucht
verrathen. Foͤrchtet man ſich hingegen vor der annehmung der guͤter des Evan-
gelii aus erkaͤntnuͤß der eigenen unwuͤrdigkeit/ und meinet/ es gehen uns noch
allein der gehorſam der goͤttlichen gebote an/ dadurch erſt zu jener tuͤchtig zu wer-
den/ ſo giebets ein geſetzliches weſen/ ſo die ſeele nur aͤngſteten und ihr die rechte
krafft gutes zu thun nie giebet/ als welche vor dem Heiligen Geiſt allein kommen
muß/ der den kindlichen gehorſam nicht eher in die ſeelen bringet/ biß er ſie auch
der kindſchafft verſichert/ und ſie zu glaͤubiger ergreiffung der liebe ihres treueſten
Vaters gebracht hat. Alſo muͤſſen dieſe beyde ſtuͤcke/ die der Geiſt unſers Got-
tes in dem wort zuſammen geſetzet hat/ in der uͤbung auch unzutrennet beyſam-
men bleiben. Weil ſie aber mit goͤttlichem wort nicht umbzugehen verlanget/
allein ein unfruchtbares wiſſen davon zu haben/ ſondern daß auch daſſelbe war-
hafftig in ihr hertz eingepflantzt werde/ ſo des Heiligen Geiſtes werck iſt/ ſo wird
ſie immer eingedenck ſeyn/ mit was andacht/ ehrerbietung/ gebet und auffmerck-

ſamkeit
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[678/0686] Das fuͤnffte Capitel. ches inſonderheit noch nicht bekant/ ſo habe allein dieſen rath insgemein zuerthei- len/ daß ſie ſich allein ferner demjenigen lehr-meiſter uͤberlaſſe/ der ſie bereits da- hin/ wo ſie jetzo ſtehet/ gebracht hat/ und am gewiſſeſten weiter fuͤhren wird: Dieſes iſt nun der heilige Geiſt/ als der Geiſt ihres Heylands und eigen- thums-herrn JEſu/ den er denen ſeelen/ die ſich ihm gern wiedmen wollen/ wil- lig giebet/ und ſie durch denſelbigen auff richtigem wege leitet. Wir wiſſen aber/ daß derſelbige in uns kraͤfftiger ſeyn wolle durch das wort/ welches uns die Pro- pheten und Apoſtel von ihm getrieben auffgeſchrieben haben/ und deſſen ſeele er gleichſam bleibet/ durch daſſelbe in uns zu wuͤrcken. Alſo laſſe ſie ſich das wort des HErrn ihr anbefohlen ſeyn als ihre regel/ ihr liecht/ ihre ſpeiß/ ihre artzney. Sie leſe daſſelbe fleißig/ ſie hoͤre es auch gerne/ und zwahr daß ſie immer ſo zu reden mit zweyen augen drauff ſchauende/ das eine richte auff die theure ver- heiſſungen und wolthaten des Evangelii und der gnaden ihres liebſten Vaters in Chriſto JEſu/ das andere aber auff deſſen gebote und befehl/ was derſelbe wie- derumb von ihr fordere: damit durch jene betrachtung zum allerfoͤrderſten der wahre goͤttliche glaube in ihr mehr entzuͤndet und geſtaͤrcket/ die ſeele ſtets mit den gnaden-ſchaͤtzen/ die er erweget und begreiffet/ erfuͤlle/ und ſie denmach ihren treueſten Vater immer mit mehr kindlichem vertrauen anzuſehen/ und ſich alles zu ihm zuverſehen lerne; durch die gebote ihres GOttes aber auch auffgemun- tert werde/ der liebe deſſelben nach allem vermoͤgen mit thaͤtiger gegen-liebe gleich- ſam wiederum zu antworten. Welches unter beyden alleine bleibet/ giebet al- lein ein halbes und nicht richtiges Chriſtenthum; wolte man ſuchen ſich allein an den gnaden-guͤtern und dero troſt zu ergoͤtzen ohne einigen willen des recht- ſchaffenen gehorſams/ wuͤrde ſolches kein wahrer glaube ſondern betruͤgliche ein- bildung ſeyn/ und ſich eben durch das ausbleiben und verſaͤumung der frucht verrathen. Foͤrchtet man ſich hingegen vor der annehmung der guͤter des Evan- gelii aus erkaͤntnuͤß der eigenen unwuͤrdigkeit/ und meinet/ es gehen uns noch allein der gehorſam der goͤttlichen gebote an/ dadurch erſt zu jener tuͤchtig zu wer- den/ ſo giebets ein geſetzliches weſen/ ſo die ſeele nur aͤngſteten und ihr die rechte krafft gutes zu thun nie giebet/ als welche vor dem Heiligen Geiſt allein kommen muß/ der den kindlichen gehorſam nicht eher in die ſeelen bringet/ biß er ſie auch der kindſchafft verſichert/ und ſie zu glaͤubiger ergreiffung der liebe ihres treueſten Vaters gebracht hat. Alſo muͤſſen dieſe beyde ſtuͤcke/ die der Geiſt unſers Got- tes in dem wort zuſammen geſetzet hat/ in der uͤbung auch unzutrennet beyſam- men bleiben. Weil ſie aber mit goͤttlichem wort nicht umbzugehen verlanget/ allein ein unfruchtbares wiſſen davon zu haben/ ſondern daß auch daſſelbe war- hafftig in ihr hertz eingepflantzt werde/ ſo des Heiligen Geiſtes werck iſt/ ſo wird ſie immer eingedenck ſeyn/ mit was andacht/ ehrerbietung/ gebet und auffmerck- ſamkeit

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/686>, abgerufen am 23.11.2024.