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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
eigenen ermessen heimstellete/ ob sie noch solche nacht obrigkeitlicher hülffe ge-
brauchen/ und die braut durch einige furcht zum gehorsam nöthigen/ oder
welches sicherer/ die hochzeit/ unter anderem vorwand/ weil die braut ohne
das etliche tage bettlägerig gewesen/ auffschieben wolten/ damit unterdessen
versuchet würde/ was in kurtzen stunden nicht geschehen könte. Haben sie a-
ber nicht davon gewust/ daß sie bey dem Pfarrer gewesen/ so würden sie von
selbsten einen der beyden wege/ welche er ihnen vorschlagen werde/ vor die
hand nehmen sollen/ darunter der ander nemlich der auffschub der sicherste;
indem der schimpff mit anderm vorwand leicht möchte abgewandt/ oder doch
gelindert werden/ auffs wenigste war kein ander mittel da. Titio aber wä-
re zuzusprechen gewesen/ gedult mit der hochzeiterin schwachheit zu tragen/
weil er ihre melancholiam selbsten sehe/ und so vielmehr/ weil er/ obschon oh-
ne seine schuld mit vorigem auffschub der hochzeit etlicher massen gelegenheit
zu solchem zustand gegeben/ sich jetzo auch nicht verdriessen zu lassen/ daß um
der braut gegenwärtiger beschaffenheit sie wiederum auff andere tage aus-
gestellet solte bleiben. Anders sehe ich nicht/ wie in solcher zeit zu verfahren
gewesen. Nach erhaltenem oder aus noth erfolgtem solchen auffschub wäre
alles zu persuasion der braut taugliches wieder zu versuchen gewest: so dann
wo nichts fruchten wollen/ hätte Titio müssen/ zwahr mit verschweigung
dessen/ so sie in confessione gesagt/ die sache vorgestellet werden/ daß seine
braut gantz von ihm wendig geworden/ daß er sich obrigkeitlicher hülffe ge-
brauchem müste. Jndem bey fortfahrender solcher hartnäckigkeit des schimpf-
fes nicht mehr zu schonen.

4. Ob Titio zu rathen/ diese braut zu heyrathen/ da schon sie die e-
he gebrochen/ auch unausbleibendes unglück darauff erfolgen
wird?

JN dieser frage scheinet ein falsum praesuppositum zu seyn/ daß Sempro-
nia
die ehe gebrochen habe. Nun finde ich davon in specie facti nichts/
vermuthe also/ es werde damit verstanden der ander verspruch: Aber ob wol
solcher verspruch gleichwie andere dinge mehr in foro poli & quoad con-
scientiae laesionem
ein ehebruch ist/ so ist es doch dergleichen nicht in foro soli
& quoad effectum solutionis matrimonii.
Denn solte jeglicher ehebruch/
der solches in göttlichem gericht ist/ zur ehescheidung gültig seyn/ so würde jeg-
liches unzüchtiges ansehen und begierde die ehe scheiden/ weil solches vor
GOtt ein ehebruch ist nach CHristi ausspruch Matth. 5. Wie aber dieses
niemand sagen wird/ so mag also nicht jeder vor GOttes gericht sträffli-
cher ehebruch eine ehe scheidung verursachen. Was aber einen andern ver-
spruch einer verlobten anlanget/ wird solcher niemalen unter die ursachen der

auf-

Das vierdte Capitel.
eigenen ermeſſen heimſtellete/ ob ſie noch ſolche nacht obrigkeitlicher huͤlffe ge-
brauchen/ und die braut durch einige furcht zum gehorſam noͤthigen/ oder
welches ſicherer/ die hochzeit/ unter anderem vorwand/ weil die braut ohne
das etliche tage bettlaͤgerig geweſen/ auffſchieben wolten/ damit unterdeſſen
verſuchet wuͤrde/ was in kurtzen ſtunden nicht geſchehen koͤnte. Haben ſie a-
ber nicht davon gewuſt/ daß ſie bey dem Pfarrer geweſen/ ſo wuͤrden ſie von
ſelbſten einen der beyden wege/ welche er ihnen vorſchlagen werde/ vor die
hand nehmen ſollen/ darunter der ander nemlich der auffſchub der ſicherſte;
indem der ſchimpff mit anderm vorwand leicht moͤchte abgewandt/ oder doch
gelindert werden/ auffs wenigſte war kein ander mittel da. Titio aber waͤ-
re zuzuſprechen geweſen/ gedult mit der hochzeiterin ſchwachheit zu tragen/
weil er ihre melancholiam ſelbſten ſehe/ und ſo vielmehr/ weil er/ obſchon oh-
ne ſeine ſchuld mit vorigem auffſchub der hochzeit etlicher maſſen gelegenheit
zu ſolchem zuſtand gegeben/ ſich jetzo auch nicht verdrieſſen zu laſſen/ daß um
der braut gegenwaͤrtiger beſchaffenheit ſie wiederum auff andere tage aus-
geſtellet ſolte bleiben. Anders ſehe ich nicht/ wie in ſolcher zeit zu verfahren
geweſen. Nach erhaltenem oder aus noth erfolgtem ſolchen auffſchub waͤre
alles zu perſuaſion der braut taugliches wieder zu verſuchen geweſt: ſo dann
wo nichts fruchten wollen/ haͤtte Titio muͤſſen/ zwahr mit verſchweigung
deſſen/ ſo ſie in confeſſione geſagt/ die ſache vorgeſtellet werden/ daß ſeine
braut gantz von ihm wendig geworden/ daß er ſich obrigkeitlicher huͤlffe ge-
brauchem muͤſte. Jndem bey fortfahrender ſolcher hartnaͤckigkeit des ſchimpf-
fes nicht mehr zu ſchonen.

4. Ob Titio zu rathen/ dieſe braut zu heyrathen/ da ſchon ſie die e-
he gebrochen/ auch unausbleibendes ungluͤck darauff erfolgen
wird?

JN dieſer frage ſcheinet ein falſum præſuppoſitum zu ſeyn/ daß Sempro-
nia
die ehe gebrochen habe. Nun finde ich davon in ſpecie facti nichts/
vermuthe alſo/ es werde damit verſtanden der ander verſpruch: Aber ob wol
ſolcher verſpruch gleichwie andere dinge mehr in foro poli & quoad con-
ſcientiæ læſionem
ein ehebruch iſt/ ſo iſt es doch dergleichen nicht in foro ſoli
& quoad effectum ſolutionis matrimonii.
Denn ſolte jeglicher ehebruch/
der ſolches in goͤttlichem gericht iſt/ zur eheſcheidung guͤltig ſeyn/ ſo wuͤrde jeg-
liches unzuͤchtiges anſehen und begierde die ehe ſcheiden/ weil ſolches vor
GOtt ein ehebruch iſt nach CHriſti ausſpruch Matth. 5. Wie aber dieſes
niemand ſagen wird/ ſo mag alſo nicht jeder vor GOttes gericht ſtraͤffli-
cher ehebruch eine ehe ſcheidung verurſachen. Was aber einen andern ver-
ſpruch einer verlobten anlanget/ wird ſolcher niemalen unter die urſachen der

auf-
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[596/0604] Das vierdte Capitel. eigenen ermeſſen heimſtellete/ ob ſie noch ſolche nacht obrigkeitlicher huͤlffe ge- brauchen/ und die braut durch einige furcht zum gehorſam noͤthigen/ oder welches ſicherer/ die hochzeit/ unter anderem vorwand/ weil die braut ohne das etliche tage bettlaͤgerig geweſen/ auffſchieben wolten/ damit unterdeſſen verſuchet wuͤrde/ was in kurtzen ſtunden nicht geſchehen koͤnte. Haben ſie a- ber nicht davon gewuſt/ daß ſie bey dem Pfarrer geweſen/ ſo wuͤrden ſie von ſelbſten einen der beyden wege/ welche er ihnen vorſchlagen werde/ vor die hand nehmen ſollen/ darunter der ander nemlich der auffſchub der ſicherſte; indem der ſchimpff mit anderm vorwand leicht moͤchte abgewandt/ oder doch gelindert werden/ auffs wenigſte war kein ander mittel da. Titio aber waͤ- re zuzuſprechen geweſen/ gedult mit der hochzeiterin ſchwachheit zu tragen/ weil er ihre melancholiam ſelbſten ſehe/ und ſo vielmehr/ weil er/ obſchon oh- ne ſeine ſchuld mit vorigem auffſchub der hochzeit etlicher maſſen gelegenheit zu ſolchem zuſtand gegeben/ ſich jetzo auch nicht verdrieſſen zu laſſen/ daß um der braut gegenwaͤrtiger beſchaffenheit ſie wiederum auff andere tage aus- geſtellet ſolte bleiben. Anders ſehe ich nicht/ wie in ſolcher zeit zu verfahren geweſen. Nach erhaltenem oder aus noth erfolgtem ſolchen auffſchub waͤre alles zu perſuaſion der braut taugliches wieder zu verſuchen geweſt: ſo dann wo nichts fruchten wollen/ haͤtte Titio muͤſſen/ zwahr mit verſchweigung deſſen/ ſo ſie in confeſſione geſagt/ die ſache vorgeſtellet werden/ daß ſeine braut gantz von ihm wendig geworden/ daß er ſich obrigkeitlicher huͤlffe ge- brauchem muͤſte. Jndem bey fortfahrender ſolcher hartnaͤckigkeit des ſchimpf- fes nicht mehr zu ſchonen. 4. Ob Titio zu rathen/ dieſe braut zu heyrathen/ da ſchon ſie die e- he gebrochen/ auch unausbleibendes ungluͤck darauff erfolgen wird? JN dieſer frage ſcheinet ein falſum præſuppoſitum zu ſeyn/ daß Sempro- nia die ehe gebrochen habe. Nun finde ich davon in ſpecie facti nichts/ vermuthe alſo/ es werde damit verſtanden der ander verſpruch: Aber ob wol ſolcher verſpruch gleichwie andere dinge mehr in foro poli & quoad con- ſcientiæ læſionem ein ehebruch iſt/ ſo iſt es doch dergleichen nicht in foro ſoli & quoad effectum ſolutionis matrimonii. Denn ſolte jeglicher ehebruch/ der ſolches in goͤttlichem gericht iſt/ zur eheſcheidung guͤltig ſeyn/ ſo wuͤrde jeg- liches unzuͤchtiges anſehen und begierde die ehe ſcheiden/ weil ſolches vor GOtt ein ehebruch iſt nach CHriſti ausſpruch Matth. 5. Wie aber dieſes niemand ſagen wird/ ſo mag alſo nicht jeder vor GOttes gericht ſtraͤffli- cher ehebruch eine ehe ſcheidung verurſachen. Was aber einen andern ver- ſpruch einer verlobten anlanget/ wird ſolcher niemalen unter die urſachen der auf-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/604>, abgerufen am 23.11.2024.